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# taz.de -- Abschiebung in die Obdachlosigkeit: Verzweifelt, aber gesund
> Eine Afghane wird nach Italien abgeschoben, obwohl Experten vor den
> Zuständen dort warnen. Kritik gibt es auch am Polizeiarzt.
Bild: Die Lage von Geflüchteten in Italien wird immer wieder als katastrophal …
BREMEN taz | Omid F. soll abgeschoben werden. Nach Italien. Das Landgericht
Bremen hat dagegen keine Einwände, Flüchtlingshilfsorganisationen aber
warnen vor den Zuständen dort. Und auch der Anwalt Sven Sommerfeldt sagt:
„Die Situation in Italien gibt das derzeit nicht her“.
Seinem 22-jährigen Mandanten drohe dort die Obdachlosigkeit und eine Leben
unter menschenunwürdigen Bedingungen, so Sommerfeldt. „Die Bedingungen
haben sich seit dem Regierungswechsel nicht verbessert“, sagt auch Marc
Millies vom Flüchtlingsrat. „Das kann man eindeutig festhalten.“ [1][Dabei
hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg bereits im 2017 – noch vor dem
Regierungswechsel – entschieden, dass Geflüchtete vorerst nicht mehr nach
Italien abgeschoben werden könnten.] Ihnen drohe dort, „bei einem Leben
völlig am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu verelenden“,
schrieb der Richter. Er berief sich dabei auf zwei vorangegangene,
gleichlautende Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg und des
Bundesverwaltungsgerichts.
Viele Geflüchtete in Italien leben auf den Straßen oder in der Nähe von
Bahnhöfen und betteln, um zu überleben. Immer wieder berichten
Flüchtlingshelfer, das italienische Sozialsystem sei völlig unzureichend
entwickelt, Integrationsprogramme fehlten weitgehend, ein Integrationsplan
existiere nicht – und Nichtregierungsorganisationen oder Kirchen könnten
das nicht auffangen. Immer wieder wird von Verstößen gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention berichtet. Auch die Schweizerische
Flüchtlingshilfe attestierte Italien schon im vergangenen Jahr, dass selbst
anerkannte Flüchtlinge „[2][praktisch keine Chance auf ein sicheres Dach
über dem Kopf, auf Arbeit und auf soziale Unterstützung“] haben.
Wann genau Omid F. in die EU kam, ist unklar, sicher ist nur, dass er schon
in Italien, Frankreich, Schweden und Ungarn war und im November vergangenen
Jahres über Flensburg nach Deutschland kam. Sein Asylantrag wurde als
„unzulässig“ abgelehnt, im Juni wurde er erstmals nach Italien abgeschoben.
Zudem bekam er ein sechsmonatiges Einreiseverbot.
Daran gehalten hat er sich nicht: Vier Tage nach seiner Abschiebung war er
wieder in Bremen, nur zwei weitere Tage vergingen, eh er in Abschiebehaft
kam. Dabei war F. gar nicht untergetaucht: Seiner ersten Abschiebung hatte
er sich nicht widersetzt, und nach seiner Wiedereinreise meldete er sich
umgehend bei der zuständigen Aufnahmeeinrichtung.
Trotzdem sieht das Landgericht Bremen „[3][erhebliche Fluchtgefahr“, wie es
in dem Beschluss heißt.] Der Afghane sei „nicht ansatzweise bereit“,
Entscheidungen gegen ihn zu akzeptieren. Ohne Sicherungshaft werde er sich
der erneuten Abschiebung nach Italien „tatsächlich oder faktisch
entziehen“. Auf seinen Anwalt Sven Sommerfeldt wirkt diese Entscheidung
hingegen „wie eine gesetzlich nicht vorgesehene Sanktion“ gegen Omid F. –
und nicht nur wie ein Mittel zur Absicherung der Abschiebung.
Zwei Mal wurde der Afghane mittlerweile von Amts- und Polizeiarzt E.
begutachtet, ausweislich seines Stempels ein Facharzt für Allgemeinmedizin
und Spezialist für Verkehrsmedizin. In seinem Befund vom 5. Juli beschreibt
er den Geflüchteten als „etwas labil“ und „verzweifelt wg.
Lebenssituation“, stuft ihn aber als „unverändert haft- sowie flug- und
reisefähig“ ein. E. diagnostiziert „situationsbedingte Schlafstörungen“…
schreibt in der Anamnese über den Geflüchteten, „die Situation im
Polizeigewahrsam belaste ihn …“.
Es stelle sich die Frage, ob der Polizeiarzt kompetent genug sei, um eine
etwaige Suizidgefahr auszuschließen, so Sommerfeldt. Der Präsident der
Bremer Psychotherapeutenkammer, Karl Heinz Schrömgens, kann zum Einzelfall
nichts sagen, sagt aber grundsätzlich: Es sei „zwingend erforderlich“, dass
ein Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie oder ein psychologischer
Psychotherapeut die Frage der Suizidgefahr oder etwaiger psychischer
Erkrankungen beurteile. „In der Vergangenheit“ sei so ein Verfahren in
Bremen auch „durchaus üblich“ gewesen. Das Innenressort hingegen sagt: „…
Einschätzung der Suizidalität kann zunächst von jedem approbierten Arzt
durchgeführt werden“, und Herr E., der seinen Namen nicht in der Zeitung
lesen will, sei ein „erfahrener Gutachter“. Bei Anzeichen einer
Suizidalität werde aber sofort ein Psychiater hinzugezogen, so die Behörde.
31 Jul 2018
## LINKS
[1] /!5445496/
[2] https://www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender/dublin-staaten/italien-1.…
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__2.html
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Abschiebung
Italien
Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
Afghanische Flüchtlinge
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Seenotrettung
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