# taz.de -- Containerdorf für Geflüchtete: Lagerkoller im Niemandsland | |
> In einem Lager in Horst leben 300 Flüchtlinge. Sie sind isoliert, die | |
> Zustände mies. Aktivisten haben eine Woche lang bei den Containern | |
> gecampt. | |
Bild: Endlich wieder selbst kochen: Frauen im Solidaritätscamp | |
HORST taz | Mitten im Wald zwischen Lauenburg und Boizenburg, im | |
westlichsten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern, liegt die | |
Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Hier, in Nostorf-Horst, verlief zu | |
DDR-Zeiten die Grenze zu Westdeutschland, das Dorf lag im Sperrgebiet. In | |
der ehemaligen Kaserne leben heute laut Innenministerium mehr als 300 | |
Geflüchtete. | |
Betrieben wird das Lager von den Maltesern. Auch die Hansestadt Hamburg | |
bringt hier Geflüchtete unter. Und zwar: Weitgehend isoliert von der | |
Außenwelt und unter Bedingungen, die viele von ihnen immer wieder als | |
„psychische Folter“ beschreiben. Etwa ein Drittel ist minderjährig. Eine | |
Woche lang haben antirassistische Aktivisten in Wohnwagen vor dem Heim | |
gecampt. | |
Kurz nach der Ankunft in Horst kommt die Polizei. Eine Taxifahrerin, die | |
Geflüchtete im Auftrag der Heimleitung hin und her fährt, hatte sich | |
aufgebracht beschwert, dass einer der Aktivisten aus dutzenden Metern | |
Entfernung ein Foto von der Heimeinfahrt gemacht hatte, während sie mit | |
ihren Taxi dort stand. Nichts Verbotenes, doch es illustriert die Stimmung, | |
die den Unterstützern hier entgegengebracht wird. „Dass da nichts bei | |
rauskommt, wissen wir beide, aber ich verschrifte das jetzt mal“, sagt der | |
junge Polizist, als er die Personalien aufnimmt. | |
## Ein Metalltor versperrt den Eingang | |
Die Aktivisten stammen von „Pro Bleiberecht“, einer noch junge Vernetzung | |
von antirassistischen Initiativen, Flüchtlingshelfern und anderen aus | |
Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Ziel ist die Schließung des Lagers. Über die | |
Mahnwache wollten sie vor allem in Kontakt mit Bewohnern kommen und einen | |
„Monitoring-Effekt“ erzielen, um einen Eindruck von den Vorgängen im | |
Inneren zu erhalten. Denn Zutritt zur Einrichtung haben sie nicht. Der | |
Hamburger Flüchtlingsrat und Pro Asyl klagen deshalb derzeit. Sie berufen | |
sich dabei auf die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie von 2013, die aber von | |
der Bundesrepublik bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt worden | |
ist. | |
Die Zufahrt zum Lager wird von einem Metalltor versperrt. Seitlich davor | |
stehen trostlose Wohncontainer, drumherum Maschendrahtzaun. In diesen | |
Containern – auf verwaltungsdeutsch „vorgelagerte Unterkunftseinrichtung“ | |
genannt – werden die Neuzugänge untergebracht. | |
Am Zaun hängt ein Banner der Malteser, darauf steht „Willkommen“ in 20 | |
Sprachen. Dabei ist Horst für viele Menschen Endstation, sie werden von | |
hier aus abgeschoben. Fast 200 der aktuell hier untergebrachten Menschen | |
haben laut Ministerium eine geringe Bleibeperspektive. | |
Die Campingwagen der Aktivisten stehen am Rande eines vom Regen | |
durchgeweichten Sandweges, nur wenige Meter von den Wohncontainern | |
entfernt. Es gibt ein großes, beheizbares Zelt mit Tischen, Bänken, | |
Gaskocher und eine eigene Solaranlage, die Strom produziert. | |
Im Zelt erzählt Dunja von ihren Erlebnissen im Lager. Die junge Mutter | |
heißt in Wirklichkeit anders und alle Angaben werden bewusst vage gehalten, | |
weil sie Angst hat, dass es schlechte Auswirkungen auf ihr Asylverfahren | |
hätte, wenn sie mit der Presse spricht. | |
Gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern floh sie vor religiöser Verfolgung | |
aus ihrem Heimatland. Freunde und Verwandte waren verhaftet worden, sie | |
selbst wurden gewarnt und konnten über mehrere Stationen nach Deutschland | |
fliehen. | |
Sichtlich erschüttert rattert sie zu Beginn herunter, was in Horst für sie | |
nicht in Ordnung ist. „Für die Kinder gibt es keine Schule, keinen | |
Kindergarten, nur einen Raum zum Spielen“, erzählt sie. „Die Kinder lernen | |
gar nichts. Die Hygiene und Sauberkeit ist schlecht und in den Waschräumen | |
gibt es keine Seife.“ | |
## Die Bewohner vertrauen den Mitarbeitern nicht | |
Immer wieder berichten aktuelle und ehemalige Bewohner, dass sie ihre Räume | |
nicht abschließen könnten und in ihrer Abwesenheit ihre Sachen von | |
Mitarbeitern des Lagers durchsucht würden – angeblich, um Kochutensilien zu | |
suchen, sagt Dunja. | |
Denn selbst zu kochen, ist den Bewohnern verboten. Jeden Tag bringt ein | |
Caterer das Essen, jeden Tag gebe es Kartoffeln, Reis oder Nudeln und | |
Sauce. Ein ehemaliger Lager-Bewohner und ein Hamburger Rechtsanwalt, der | |
Geflüchtete unterstützt, berichten beide, dass der ausgeschenkte Tee | |
teilweise bis zu drei Tage alt sei und manchmal Magenbeschwerden | |
hervorrufe. | |
Das Innenministerium teilt dazu mit, dass die Zimmer durch eine sogenannte | |
Hotelschließung von innen verriegelbar seien. Durchsuchungen der Räume – | |
jedenfalls ohne, dass die Bewohner dabei sind – fänden nicht statt. Beim | |
Kochverbot verweist eine Sprecherin auf Brandschutz und Hygiene. Zum | |
fehlenden Schulunterricht für die Kinder heißt es knapp: „Für in der | |
Erstaufnahmeeinrichtung aufhältige Kinder besteht keine Schulpflicht.“ | |
Dabei schreibt die EU-Aufnahmerichtlinie vor, dass die Schulbildung | |
höchstens für drei Monate ausgesetzt werden darf, nachdem die Eltern Asyl | |
beantragt haben. | |
Doch schlimmer sei der Umgang durch das Personal und den Sicherheitsdienst | |
mit den Menschen, erzählt Dunja. Einer Schwangeren habe ein Mitarbeiter, an | |
den sie sich mit einem Problem gewandt hatte, gesagt, dass Horst eben kein | |
Hotel sei. Dieser Spruch begegnet einem in Gesprächen mit Bewohnern immer | |
wieder. „Sie mögen die Menschen hier nicht“, klagt Dunja über die | |
Mitarbeiter. „Sie erklären nichts, sie befehlen nur. Sie sind einfach | |
Rassisten.“ | |
Als ihre Kinder sich einmal nach dem Essen auf ihr Bett erbrachen, habe sie | |
erst nach langen Diskussionen eine neue Bettdecke bekommen, erzählt Dunja. | |
Die alte war vom Reinigen noch nass. Für die Kinder gebe es keine oder zu | |
wenig warme Kleidung. Um Winterschuhe für ihre Kinder zu bekommen, habe sie | |
im Gegenzug deren Sneakers abgeben müssen – die einzigen Schuhe, die die | |
Kinder besessen hatten. | |
„Das Schlimme ist, die meisten Menschen hier hatten ein Leben, Jobs, | |
Wohnungen, aber sie konnten nur ihr Leben retten. Alle Menschen hier sind | |
wütend, sie fühlen sich wie in einem Gefängnis.“ Doch bei Konflikten, wie | |
sie bei so vielen unterschiedlichen Menschen auf engem Raum beinahe | |
unvermeidlich sind, heiße es vom Personal oft: „Klärt das unter euch.“ | |
Ihre Kinder lässt Dunja nicht alleine draußen spielen, das sei zu | |
gefährlich. „Die Sicherheit ist ein großes Problem.“ Und so bleibt den | |
Menschen kaum etwas anderes, als tagein, tagaus zu warten. „Diesem | |
Bundesland sind Flüchtlinge egal“, sagt Dunja. | |
## Alle Bewohner werden von der Polizei geweckt | |
Bis zu sechs Monate, der Laufzeit des Asylverfahrens, können die Menschen | |
in Horst behalten werden. Geflüchtete aus sogenannten sicheren | |
Herkunftsstaaten oder deren Asylverfahren wenig Aussicht auf Erfolg hat, | |
können bis zu einem Jahr hier untergebracht werden. | |
In Mecklenburg-Vorpommern wird wieder unangekündigt und auch nachts | |
abgeschoben werden. Die Polizei, so berichten es Unterstützer und Bewohner | |
übereinstimmend, rücke dann in Mannschaftsstärke an. In allen Räumen werde | |
das Licht angeschaltet und die Bewohner geweckt, damit sich niemand in | |
anderen Zimmern verstecken kann. Mit stockender Stimme erzählt Dunja davon, | |
dass Kinder, die mit ihrer Mutter abgeschoben werden sollten, zu ihr ins | |
Zimmer flohen und sie anflehten, ihnen zu helfen. Dann fängt sie an zu | |
weinen. | |
Unter den Bewohnern herrsche Angst und Schrecken, Schlafstörungen seien die | |
Regel, sagt auch Ernst-Ludwig Iskenius von Pro Bleiberecht. Der 65-Jährige | |
ist pensionierter Arzt und wohnt für die Mahnwache in einem der | |
Campingwagen. 15 Jahre leitete er in Baden-Württemberg ein Zentrum für | |
traumatisierte Kinder und Jugendliche mit Schwerpunkt auf | |
Flüchtlingskindern. Das Lager Horst bezeichnet er als „offene Wunde“ für | |
die Zivilgesellschaft, für den Rechtsstaat und die Werte, die Politiker in | |
Sonntagsreden gerne hochhalten. „Was hier passiert, hat mit einem humanem | |
Umgang nichts mehr zu tun.“ | |
In der fehlenden Beschulung und der mangelhaften Beratung sieht Iskenius | |
einen Verstoß gegen die EU-Aufnahmerichtlinie. Juristische Gegenwehr ist | |
praktisch nicht möglich: Selbst wenn ein Bewohner bereit wäre, zu klagen, | |
entfällt sein Klagerecht, sobald er in eine andere Einrichtung umverteilt | |
wird. Es ist ein Fehler im System. | |
Kontinuierlich kommen während der Mahnwache Bewohner in Iskenius’ | |
Wohnwagen. Um die zehn am Tag, sagt er, doch nicht alle würden sich trauen. | |
„Der Beratungsbedarf ist riesig.“ Das liege auch daran, dass es, bis auf | |
eine Sprechstunde des Flüchtlingsrates und – laut Ministerium – einer | |
staatlichen Beratung, keine Hilfestellung für die Bewohner gebe. | |
„Was die Leute bekommen, ist ein Zettel mit ihren Rechten und Pflichten, | |
das wars“, sagt er. Häufig kann Iskenius keine Hoffnung machen: „Für die | |
Masse der Leute ist das hier Endstation.“ Sie sind Dublin-Fälle, also über | |
einen sicheren Staat nach Deutschland eingereist und werden dorthin | |
zurückgeschoben. | |
6 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannes Stepputat | |
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