# taz.de -- Kritik an Berliner „Schulprivatisierung“: „Das ist Verfassung… | |
> Eine GmbH soll künftig den Schulneubau managen. Berlin privatisiere so | |
> seine Schulen, warnt Carl Waßmuth von der Initiative Gemeingut in | |
> Bürgerhand. | |
Bild: Eine einzige Baustelle: Das Thema Schulbau | |
Es ist eines der zentralen Vorhaben, das die rot-rot-grüne Regierung auf | |
den Weg bringen will, weit über diese Wahlperiode hinaus: 52 Schulen sollen | |
bis 2026 neu entstehen, Dutzende von Grund auf saniert werden. Rund 5,5 | |
Milliarden Euro sollen in die oft beschworene „Zukunft der Kinder“ fließen. | |
Nach jahrelangem Sparen wird angesichts voller Kassen nun wieder | |
investiert. „Das ist richtig viel Geld, das hier zur Verfügung steht“, | |
brachte es Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei der Vorstellung der | |
„Schulbauoffensive“ im April auf den Punkt. | |
Trotz des vielen Geldes haben die Politiker ein Problem: Die | |
Schuldenbremse, die Berlin wie allen Bundesländern ab 2020 verbietet, neue | |
Kredite aufzunehmen. Rot-Rot-Grün hat sich daher auf einen „kreativen | |
Umgang“ mit der Zwangsmaßnahme geeinigt. Eine Schulbau-GmbH soll Neubau und | |
größere Sanierungsmaßnahmen zentral und, so die Hoffnung, auch effizienter | |
managen als bisher die Bezirke. Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) | |
will dazu eine Tochter-Gesellschaft des landeseigenen Wohnungsunternehmens | |
Howoge gründen: Sie darf Schulden aufnehmen, ganz legal. Nach bisherigen | |
Plänen etwa 1,5 Milliarden. | |
Nun kann man das für einen kreativen Umgang mit der Schuldenbremse halten, | |
die zumindest die Linke stets abgelehnt hat. Aber Kritiker wie die | |
Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand kritisieren das Vorhaben | |
grundsätzlich: Die „öffentliche Gesellschaft für Schulbau und Sanierung“ | |
ist als privatrechtliche GmbH jederzeit verkäuflich, so der zentrale | |
Vorwurf. | |
Und: Die Bezirke würden das Hausrecht über ihre Schulgebäude verlieren. | |
Nicht nur für die Linke, sondern auch für die in Berlin | |
privatisierungskritischen Sozialdemokraten und Grünen ist das brisant. Ist | |
es ausgerechnet eine linke Regierung, die wieder privatisiert, trotz aller | |
schlechten Erfahrungen? Nach dem Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW | |
unter einem damals rot-roten Senat und zuvor der Teilprivatisierung der | |
Wasserbetriebe unter Schwarz-Rot jetzt die Schulen? | |
Das Konstrukt (und das Risiko) einer Schulbau-GmbH, die frühestens Ende | |
2018 kommen soll, ist für den Laien schwer nachvollziehbar – und das gilt | |
vermutlich auch für einige der Politiker, die darüber zu entscheiden haben. | |
Doch ganz ohne Diskussion wird es dann doch nicht gehen, in der | |
Linken-Basis regt sich Widerstand gegen die Pläne: Auf ihrem Parteitag am | |
Samstag will die Linke über einen [1][Antrag des Kreisverbands Neukölln] | |
diskutieren, der sich gegen eine Schulbau-GmbH ausspricht. Der Verein | |
Gemeingut in BürgerInnenhand sammelt seit vergangener Woche mit einer | |
[2][Onlinepetition] Unterschriften gegen das Vorhaben. „Es läuft gut an“, | |
sagt Gemeingut-Mitbegründer Carl Waßmuth. Die taz sprach mit ihm über die | |
Schulbaupläne. | |
taz: Herr Waßmuth, Sie sagen, Berlin drohe die Schulprivatisierung. Damit | |
hören die Leute Ihnen natürlich erst einmal zu. Jetzt müssen Sie Ihre These | |
nur noch begründen. | |
Carl Waßmuth: Sehen Sie, heute kann keiner ein Schulgebäude verkaufen, in | |
dem noch öffentlicher Schulbetrieb stattfindet. Jetzt aber soll ein | |
relevanter Teil der Berliner Schulgebäude in eine privatrechtliche GmbH | |
übertragen werden … | |
Moment, im Gespräch ist die Gründung einer Tochter der | |
Wohnungsbaugesellschaft Howoge, die bekanntlich in Landesbesitz ist. | |
Die Howoge ist eine privatwirtschaftliche GmbH, eine Tochtergesellschaft | |
ist es also auch. Es ist also zunächst einmal eine formelle Privatisierung | |
– die aber auf der Objektebene, also mit Blick auf die Schulgebäude, | |
tatsächlich auch eine weitreichende materielle Privatisierung erlaubt. | |
Was heißt das? | |
Ganz einfach: Diese GmbH selbst ist verkäuflich, und damit sind es dann | |
auch die Schulgebäude in ihrem Eigentum. | |
Aber warum sollte denn die Howoge überhaupt ein Interesse daran haben, | |
Schulgebäude zu verkaufen? | |
Weil es hoch attraktiv ist. Die Howoge bekommt die Gebäude und die | |
Grundstücke. Die haben zusammen einen Wiederbeschaffungswert von 11,65 | |
Milliarden Euro, wie eine Arbeitsgruppe der SPD ausgearbeitet hat. Die | |
Zahlen kommen aus den Bezirken, diese Summe hat auch noch niemand | |
dementiert. Und die Howoge hat nur einen Bruchteil des Kapitals, um diesen | |
Gegenwert zu bezahlen. | |
Die Howoge bekommt die Schulen und Grundstücke also geschenkt? | |
Das wird so sein. Und das Geld für Sanierung und Neubau bekommt die Howoge | |
vom Land. Dann schließt sie Mietverträge mit den Bezirken, die öffentliche | |
Hand zahlt also dafür, die Schulen nutzen zu dürfen. Ein sicheres Geschäft | |
in einer wachsenden Stadt – und deshalb eben auch interessant für private | |
Investoren. Nicht umsonst lobt die Unternehmensberatung PWC in einer Studie | |
im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums den Berliner Weg. | |
Damit eben kein Verkauf passiert, will der Finanzsenator Matthias | |
Kollatz-Ahnen (SPD) die Mietverträge so anlegen, dass die Gebäude nach | |
einer Laufzeit von 20 bis 30 Jahren automatisch wieder an die Bezirke | |
fallen. | |
30 Jahre sind eine lange Zeit. Die Frage ist: Was passiert in der Zeit, da | |
das Land seine Verfügungsgewalt über die Schulen an eine privatrechtliche | |
GmbH abgegeben haben? SPD, Linke und Grüne wollen nicht verkaufen, das | |
glaube ich ihnen auch. Aber: Dieser Senat legt die Schulen in die Auslage | |
und hängt ein Preisschild dran. Und eine nächste Regierung hat dann | |
vielleicht doch die Absicht, zu privatisieren – und findet dann die | |
rechtlichen Rahmenbedingungen vor, das zu tun. | |
Die Howoge kann Kredite aufnehmen, ohne die Schuldenbremse zu verletzen. | |
Was ist daran verkehrt? Dass die Schulen saniert und neu gebaut werden | |
müssen, ist inzwischen politischer Konsens. | |
Das Land macht Schulden, die aber nicht als solche auftauchen. Hier wird | |
eine Umgehung der Schuldenbremse vorbereitet, die Berlin ab 2020 einhalten | |
muss – die SPD hat die Schuldenbremse übrigens interessanterweise mit | |
eingeführt. Jetzt hat der Finanzsenator gesagt: Man muss mit dem | |
Grundgesetz „umgehen“. Da sagen wir: Herzlichen Dank, das ist | |
Verfassungsbruch. | |
Trotzdem: ein legales Konstrukt. Sind da 1,5 Milliarden Euro für den | |
Schulbau, die über Kredite finanziert werden sollen – bei einem | |
Investitionsvolumen von insgesamt 5,5 Milliarden Euro – nicht vertretbar, | |
wenn es der Sache dient? | |
Geld ist mehr als genug da, auch ohne dass man die Schuldenbremse umgeht. | |
Für 2017 gibt es für die Schulen 830 Millionen Euro im Landeshaushalt. Im | |
vergangenen Jahr konnten aber nur 162,2 Millionen Euro tatsächlich verbaut | |
werden – das sind Zahlen, die wir aus den Bezirken und den zuständigen | |
Senatsverwaltungen zusammengetragen haben. Es steht also schon in diesem | |
Jahr ein Vielfaches dessen bereit, was man ausgeben kann. Im übrigen hat ja | |
keiner etwas dagegen – die SPD nun offenbar auch nicht mehr – dass die | |
öffentliche Hand Schulden aufnimmt, um zu investieren. So funktioniert | |
öffentliche Daseinsvorsorge, dafür gibt es Steuern! Doch jetzt wird | |
privatisiert, um zu investieren. Und dagegen ist etwas zu sagen. | |
Gut, aber 2020 greift die Schuldenbremse, und Schulen müssen immer noch | |
saniert und neu gebaut werden. | |
Noch einmal: Es ist jetzt schon mehr Geld da, als auf lange Sicht verbaut | |
werden kann. Aber mal abgesehen von der Diskussion um einen | |
Schattenhaushalt: Überlegen Sie doch mal, was es heißt, wenn die Bezirke an | |
ihren Gebäuden das Eigentumsrecht verlieren – mal ganz außer Acht gelassen, | |
dass sie verkauft werden könnten. | |
Sie spielen auf die Frage des Hausrechts an. | |
Ja, klar. Wer entscheidet denn zum Beispiel, ob es künftig Werbeflächen an | |
den Schulen geben darf, oder Kameras, oder einen Sicherheitsdienst? Die | |
Howoge vielleicht, oder der Bezirk? Wer gewährt, ob Gebäudeteile weiter | |
vermietet werden? Wer regelt den Zutritt für Dritte? Ist das schon | |
durchgespielt? Wer definiert, wie der bauliche Zustand bei der Rückübergabe | |
zu sein hat. Und wer kontrolliert, ob es so ist, wie die öffentliche Hand | |
es sich wünscht? Das sind alles Fragen, die mit dem Eigentum | |
zusammenhängen, das sind keine Petitessen. | |
Stellen Sie nicht vor allem rhetorische Fragen? Das sind schließlich alles | |
Aspekte, die man in privatrechtlichen Verträgen regeln kann. | |
Da sind wir bei der demokratischen Mitbestimmung. Privatrechtliche | |
Verträge, wie sie die GmbH, die Bezirke und das Land werden abschließen | |
müssen, fallen nicht unter das Informationsfreiheitsgesetz. Für die | |
Offenlegung der Wasserverträge brauchte es deshalb 2011 nicht umsonst einen | |
Volksentscheid. | |
Was sagen Sie zu dem Argument der Zentralisierung? Eine Schulbau GmbH hätte | |
nicht den bürokratischen Reibungsverlust zwischen Bezirken und Land, der | |
Bauprozesse bisher verlangsamt. | |
Zentralisierung ist nicht unbedingt ein Garant für Effizienz. Die | |
Schulbau-GmbH ist zudem quasi ein Start-up, das bei null beginnt. Es müssen | |
Leute gefunden und Strukturen aufgebaut werden. Erst dann kann es | |
vielleicht gelingen, 200, 300 Millionen Euro pro Jahr auszugeben. Bis das | |
alles so weit ist, herrscht Stillstand. In dieser Zeit machen nur noch die | |
Bezirke mit ihren kleineren Bauvorhaben weiter. | |
Einige Bezirksstadträte befürchten, die neue GmbH könnte ihnen das ohnehin | |
schon knappe und schwer zu findende Personal aus dem Hochbaubereich | |
abwerben, weil sie besser zahlt. | |
Und sie haben recht. Im übrigen ist die Howoge-Tochter ja erst mal nur mit | |
Planungs- und Vergabemechanismen beschäftigt – bei den Summen, die da im | |
Raum stehen, kann das die Howoge unmöglich alleine stemmen, und auch nicht | |
die regionale Bauwirtschaft. Also wird man über einen Generalunternehmer | |
nachdenken – und da kommen wir zum Thema öffentlich-private Partnerschaft, | |
die nicht so heißt, aber genau das beinhaltet: Die öffentliche Hand | |
garantiert für Mietzahlungen der Bezirke, die die Howoge an private | |
Unternehmer als Sicherheit verpfänden kann. | |
Sie haben vergangene Woche eine Onlinepetition „Gegen Schulprivatisierung“ | |
gestartet. Der Rat der Bürgermeister, also die Bezirke, haben sich mit dem | |
Senat kürzlich bereits auf wichtige Details der Schulbauoffensive geeinigt. | |
Kommen Sie mit Ihrem Versuch einer öffentlichen Debatte nicht zu spät? | |
Na ja, erst einmal hat sich ja nur die Exekutive mit der Exekutive | |
verständigt. Aber da sieht man mal, wie schwierig es gerade ist, dass | |
Berlin im Moment eine vernünftige parlamentarische Opposition bei diesem | |
Thema fehlt: CDU und FDP stellen sich natürlich nicht dagegen. Ich glaube | |
aber, dass diese Regierung, und auch Rot-Rot-Grün im Abgeordnetenhaus, | |
unterschätzt, was für einen Unmut gegen Privatisierung es in der Berliner | |
Bevölkerung tatsächlich gibt. | |
23 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.die-linke-berlin.de/die_linke/parteitage/6_landesparteitag/3_tag… | |
[2] https://www.gemeingut.org/ | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
Erik Peter | |
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