# taz.de -- Präventionsarbeit an Berliner Schulen: In allerbester Absicht | |
> Ein Verein zeichnet Schulen mit der Plakette „Schule ohne Rassismus“ aus. | |
> Ob diese dem schmückenden Titel gerecht werden, wird nicht überprüft. | |
Bild: Echt engagiert? Logo „Schule ohne Rassismus“ an einer Schulfassade in… | |
Die Schulband schmettert den bekannten Song der Rockband „Die Ärzte“ durch | |
die Aula, zwei Schülerinnen im Publikum singen mit: „Deine Gewalt ist nur | |
ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach | |
Zärtlichkeit.“ Der Song gegen Nazis bietet das passende Intro zur | |
Verleihung des Titels „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an die | |
Pankower Kurt-Tucholsky-Oberschule in der vergangenen Woche. | |
Mit diesem Titel verpflichten sich die Schüler*innen und Pädagog*innen | |
der Schule, „sich bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und | |
Gewalt zu wenden“. So steht es auf der Website des Netzwerks, dem | |
bundesweit bereits mehr als 2.500 Schulen angehören. Die | |
Tucholsky-Oberschule ist die 95. in Berlin. | |
Der Weg in das Netzwerk ist nicht schwer: Mindestens 70 Prozent aller | |
Menschen, die an der Schule lernen und arbeiten, müssen unterschreiben, | |
dass sie sich künftig aktiv gegen Diskriminierung im Schulalltag einsetzen | |
werden – schon hängt der Titel am Tor oder an der Fassade. | |
Das klingt, als sei die Plakette reines Schmuckwerk. Tatsächlich ist der | |
Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ weniger | |
Zustandsbeschreibung als Zielsetzung. Dass dieses Ziel nicht immer erreicht | |
wird, zeigt das Beispiel der Friedenauer Gemeinschaftsschule, ebenfalls | |
einer „Schule ohne Rassismus“. Dort war im vergangenen April ein jüdischer | |
Junge von Mitschülern so lange beschimpft und angegriffen worden, bis seine | |
Eltern den 14-Jährigen von der Schule nahmen. | |
## Das Thema ins Bewusstsein bringen | |
„Wenn ihr diesen Titel erhaltet, heißt das nicht, dass es ab morgen keinen | |
Rassismus mehr an eurer Schule gibt“, erklärt Funda Semedo von der Berliner | |
Landeskoordination des Courage-Netzwerks bei der Übergabe der | |
schwarz-weißen Plakette. Das Netzwerk „begleite“ zwar die Schulen, sagt | |
Semedo, man kontrolliere aber nicht, ob sie tatsächlich Projekte umsetzen. | |
Es gibt also keine Pflicht neben der Selbstverpflichtung. Seitens der | |
Schulleitung der Tucholsky-Schule heißt es, es sei zunächst ein Projekttag | |
pro Jahr zum Thema Rassismus geplant. | |
Das ist natürlich ein Anfang, der das Thema ins Bewusstsein bringt – doch | |
eine kontinuierliche Präventionsarbeit im Schulalltag findet damit noch | |
lange nicht statt. „Dass sich eine Schule gegen Rassismus positioniert, ist | |
ja zunächst positiv zu bewerten“, sagt auch Aliyeh Yegane von der | |
Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (Adas) in Neukölln, einer | |
berlinweiten Beratungsstelle für Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte. | |
„Manche Schulen machen da wirklich sehr viel und andere nur das Nötigste, | |
um an die Plakette zu kommen.“ | |
Yegane plädiert denn auch dafür, den Schulen sehr konkrete Instrumente an | |
die Hand zu geben: Mehr Fortbildungen für Lehrkräfte etwa, um sie für das | |
Thema Rassismus zu sensibilisieren – denn oft werde Diskriminierung, zum | |
Beispiel Rassismen im Sprachgebrauch, gar nicht als solche eingestuft. | |
Viele der Anrufe, die bei der Hotline der Beratungsstelle eingingen, | |
zeigten das, sagt Yegane. | |
Auch trauten sich jüdische Kinder oder Schüler*innen aus Romafamilien oft | |
nicht, ihre Religion oder Herkunft preiszugeben. Tatsächlich hatten auch | |
Ergebnisse einer stichprobenartigen Umfrage des American Jewish Committee | |
im vergangenen Jahr nahegelegt, dass insbesondere unter muslimischen | |
Kindern und Jugendlichen antisemitische und antiisraelische Einstellungen | |
ein zunehmend größer werdendes Problem an Berliner Schulen sind. Allerdings | |
machten auch muslimische Schüler*innen häufig Mobbingerfahrungen aufgrund | |
ihrer Religion, betont Yegane. | |
## Was wird gemeldet? | |
„Die Schulen müssen ihre Beschwerdesysteme überprüfen“, fordert die | |
Politikwissenschaftlerin deshalb. „Wie wird damit umgegangen, wenn sich ein | |
Schüler an einen Schulsozialarbeiter wendet, weil er diskriminiert wird?“ | |
Die Frage ist auch: Wird damit überhaupt umgegangen – oder macht die | |
Lehrkraft aus Hilflosigkeit überhaupt keine Meldung? | |
Auch die Schüler*innen der Tucholsky-Oberschule wünschen sich, dass nicht | |
nur sie im Fokus stehen, sondern auch die Lehrkräfte besser geschult | |
werden. Besonders schockiert habe sie zuletzt der Fall des Weddinger | |
Grundschullehrers, der auf YouTube rechte Verschwörungstheorien verbreitet, | |
sagt Schülersprecherin Vanessa Beer. | |
Anfang Januar hatte die Senatsbildungsverwaltung den Lehrer Nikolai N. vom | |
Dienst freigestellt und Strafanzeige wegen Verdachts der Volksverhetzung | |
gegen ihn erstattet, nachdem Medien über seinen YouTube-Kanal berichtet | |
hatten. | |
Tatsächlich ist N., dessen Videobotschaften inzwischen 14.000 | |
Abonnent*innen finden, wohl kaum ein Einzelfall – sondern eher beispielhaft | |
für ein grundsätzliches Problem: Die meisten Beschwerden, die bei der | |
Adas-Hotline eingingen, berichtet auch Yegane, bezögen sich auf | |
diskriminierende Lehrkräfte und Schulstrukturen. | |
## Ein Projekttag pro Jahr reicht nicht | |
An die Adas-Hotline können Betroffene Diskriminierungsvorfälle melden – | |
auch Fälle von Sexismus oder Ausgrenzung vom Behinderten. Oft seien auch | |
Formen von Rassismus darunter, „die erst einmal nicht ins Auge springen“, | |
so Yegane. | |
Zum Beispiel würden Familien mit Migrationshintergrund häufig schlechter | |
über ihre Rechte informiert, etwa wenn es um die Feststellung eines | |
sogenannten Sonderpädagogischen Förderbedarfs eines Kindes geht. „Die | |
Eltern denken, es handle sich nur um eine Art Nachhilfe, und erfahren erst | |
zu spät von den damit verbundenen Konsequenzen für die Schul- und | |
Berufslaufbahn ihres Kindes.“ | |
Dass Rassismus kein Problem ist, das sich mit einem Projekttag pro Jahr | |
lösen ließe, haben die Jugendlichen der Pankower Oberschule bereits | |
erkannt. Die beiden Schüler*innen Georg Dirlack und Mathilda Kramp wollten | |
bereits im Rahmen der alljährlichen Schul-Projektwoche im Januar mit ihren | |
Mitschüler*innen Ideen entwickeln, wie sich ihre Schule mit | |
Diskriminierung auseinandersetzen könnte. Jeweils einen Tag der | |
Projektwoche hatten sie den Themen Homophobie, Sexismus und Rassismus | |
gewidmet. „Leider waren nur drei Leute daran interessiert“, sagte Mathilda | |
Kramp vergangene Woche am Rande der Titelverleihung an ihre Schule. „Aber | |
das wird jetzt bestimmt anders.“ | |
5 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannah El-Hitami | |
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