# taz.de -- Kongress Antisemitismus an Schulen: Allen Grund zum Nachsitzen | |
> Viele Lehrer wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wenn jüdische | |
> SchülerInnen diskriminiert werden. Berlin will Präventionsarbeit nun mit | |
> einem festen Etat fördern. | |
Bild: Praktischer Anschauungsunterricht: Schülerinnen am Holocaust Mahnmal | |
Ein jüdischer Schüler findet einen Zettel in seiner Schulmappe, „Magst du | |
Zyklon B?“, haben seine MitschülerInnen darauf geschrieben. Die | |
Schulleitung legt den Fall als „nicht relevant“ zu den Akten. Ein | |
drastisches Beispiel für die Unbeholfenheit einer Schulleitung? Eher ein | |
Beispiel von vielen, sagt Marina Chernivsky von der Zentralen | |
Wohlfahrtstelle der Juden in Deutschland, die am Dienstag zu einer | |
zweitägigen Fachkonferenz ins Pfefferwerk in der Schönhauser Allee geladen | |
hatte. Das Thema: „Antisemitismus in der Schule – ein beständiges Problem?… | |
Die Frage war selbstverständlich rhetorisch gemeint: Es fehle, sagt | |
Chernivsky in ihrer Eröffnungsrede, ein Problembewusstsein in den Schulen – | |
mit dem Ergebnis, dass viele Lehrer schlicht nicht wüssten, wie sie mit | |
Antisemitismus im Klassenzimmer umgehen sollen. | |
Das gilt auch für Berlin. Das Beispiel mit dem Zyklon-B-Zettel im Ranzen, | |
das Chernivsky am Dienstag zitiert, stammt zwar aus einer Studie der | |
Frankfurter Wissenschaftlerin Julia Bernstein. Doch in Berlin geriet das | |
Thema zuletzt im Frühjahr in den Blick der Öffentlichkeit – als ein | |
jüdischer Junge an einer Schule in Friedenau so gemobbt wurde, dass seine | |
Eltern ihn von der Schule nahmen. Spricht man heute mit Gemma Michalski, | |
der Mutter des Jungen, wird vor allem eins deutlich: wie schwerfällig | |
Schulleitungen bei dem Thema reagieren können – sei es aus Hilflosigkeit, | |
sei es aus Bequemlichkeit, an dieser Hilflosigkeit etwas ändern zu wollen. | |
Gemma Michalski erzählt am Telefon, wie sie der Schulleitung einen | |
Bluterguss auf dem Rücken ihres Sohnes zeigte, nachdem ein Mitschüler aus | |
der Nachbarklasse Martin* heftig geboxt hatte. Die Klassenlehrerin und sie | |
selbst hatten darauf gedrängt, den Mitschüler vom unterricht zu | |
suspendieren – das Ergebnis war, dass man seitens der Schulleitung Martin | |
aufgefordert habe, nicht mehr seine Freunde in der Nachbarklasse zu | |
besuchen. „Es hieß, sonst würde er diesen Mitschüler unnötig provozieren�… | |
sagt Michalski. „Diese Haltung, dass mein Sohn selbst schuld sein sollte, | |
und dieses Nichthandeln fanden wir erstaunlich.“ | |
Die Mitschüler, die Martin mobbten, waren Muslime. Insbesondere bei | |
Antisemitismus, der durch den Nahostkonflikt motiviert sei, fehle es in den | |
Lehrerkollegien aber an Wissen – und damit auch an Mut, kompetent zu | |
reagieren, sagt Chernivsky, die selbst Fortbildungen für Lehrkräfte gibt. | |
## Enormer Fortbildungsbedarf | |
Das war auch der Tenor einer stichprobenhaften Befragung von 27 Lehrkräften | |
an 21 Berliner Schulen durch das American Jewish Committee im Sommer. Das | |
AJC ist Partner im zentralen Modellprojekt der Bildungsverwaltung zur | |
Antisemitismusprävention, „Demokratie stärken! Aktiv gegen Antisemitismus | |
und Salafismus“. | |
Der Fortbildungsbedarf der LehrerInnen sei enorm, bestätigt auch Dervis | |
Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz Kiga. Er | |
sieht dabei nicht nur das Problem – wie auch Chernivsky es tut –, dass | |
Schulleitungen nicht bereit seien, sich dem Problem zu stellen. „Wir haben | |
deutlich mehr Anfragen, als wir annehmen können.“ | |
An vier Berliner Schulen ist die Kiga derzeit mit Schülerseminaren und | |
Lehrerfortbildungen aktiv, „die über eintägige Workshops hinausgehen“, sa… | |
Hizarci. Das AJC teilt mit, seit Start des Modellprojekts „Demokratie | |
stärken!“ im November 2015 20 Schulen erreicht zu haben. Das ist nicht | |
wenig. Doch es heißt auch, dass man nur einen verschwindend geringen | |
Prozentsatz der Berliner Schulen erreicht hat – selbst wenn man annehmen | |
kann, dass nicht an allen Schulen das Antisemitismusproblem auftritt. | |
Der kommende Doppelhaushalt, der im Dezember beschlossen wird, sieht | |
immerhin erstmals einen fixen, sechsstelligen Etat für die Arbeit der Kiga | |
vor. „Was wir bei der Präventionsarbeit brauchen, ist genau das: eine | |
Regelförderung“, sagt Hizarci. Fest etablierte Förderstrukturen statt eines | |
Flickenteppichs aus Projekten, das ist auch eine der Forderungen auf der | |
Tagung im Pfefferwerk. | |
Michalski schaute sich zwei Monate lang an, wie ihr Sohn an seiner Schule | |
mal verbal beleidigt, mal körperlich angegriffen wurde. Sie rief das | |
Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an – die Friedena… | |
Schule ist darin Mitglied. Dort sagte man ihr, man könne selbstverständlich | |
mit Workshops intervenieren: Die Schulleitung müsse das anfordern. | |
Die, sagt Michalski, habe erst reagiert, als der Fall in der Presse war und | |
sich die Antidiskriminierungsbeauftragte bei der Senatsbildungsverwaltung, | |
Saraya Gomis, einschaltete. Gomis sagt, die Schule sei vorher schon bemüht | |
gewesen. Jenseits von nachträglichen Schuldzuschreibungen spiegele der Fall | |
aber das „grundsätzliche Problem, dass Umgang mit Diskriminierungen | |
schlicht keinen Platz in der Lehramtsausbildung hat“. Doch Kompetenz, sagt | |
auch Chernivsky, falle ja nun mal nicht vom Himmel. | |
*Name geändert | |
25 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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