# taz.de -- Beginn der Gamescom: Fehlende Vielfalt in Videospielen | |
> Die meisten Videospiele sind immer noch männlich, weiß und heterosexuell | |
> geprägt. Wer Diversität fordert, erhält wütende Proteste. | |
Bild: Das Spiel „Splatoon“ steht fernab der Realität und heißt alle Spiel… | |
Louis Jung sitzt mit dem Controller in der Hand vor dem Fernseher in seinem | |
Zimmer einer WG in Neukölln. Er ist 24 Jahre alt, seit seiner Kindheit | |
beschäftigt er sich mit Videospielen. Gerade steuert er ein Kind, das sich | |
jederzeit in einen Tintenfisch verwandeln kann. Ziel des Spiels „Splatoon2“ | |
ist es, die Umgebung mit Farbe zu bespritzen. Das Team, das am Ende am | |
meisten in seine Farbe umgefärbt hat, gewinnt. Jung gefallen solche Spiele. | |
Sie stehen fernab der Realität, heißen alle Spieler*innen willkommen. | |
Er selbst habe „die Arschkarte gezogen“ als leidenschaftlicher Gamer, wie | |
er sagt. „Person of Color und queer, da kannst du eigentlich gleich deine | |
Konsole verkaufen“, sagte er. „Es ist doch verrückt, in einem Spiel wie | |
‚Splatoon 2‘ kann ich auswählen, welche Hautfarbe mein Tintenfischmensch | |
haben soll, in so vielen anderen ‚realistischen‘ Spielen geht das nicht.“ | |
Laut dem [1][Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware] konsumierten | |
2016 34 Millionen Menschen in Deutschland digitale Spiele, also gut 40 | |
Prozent aller Deutschen. 47 Prozent davon waren Frauen. Das steht im | |
Missverhältnis zu den Beschäftigten in der internationalen | |
Videospieleindustrie, also denjenigen, die für die Inhalte der Spiele | |
zuständig sind. So sind nur 22 Prozent der Menschen, die in der | |
internationalen Videospiel-Industrie arbeiten, Frauen. Zudem werden Frauen | |
in Onlinespielen häufig sexistisch beleidigt, laut einer Umfrage aus dem | |
letzten Jahr ist das ungefähr 75 Prozent der Teilnehmerinnen schon mal | |
passiert. | |
Ebenso erleben Spielerinnen und Entwicklerinnen in sozialen Medien immer | |
wieder Diskriminierung. Besonders durch die sogenannte Gamergate-Bewegung | |
werden marginalisierte Menschen – besonders Frauen – online belästigt. | |
## Frauen werden untergeordnet und sexualisiert | |
Die Bewegung fand 2013 ihren Ursprung. Sie schrieb sich damals auf die | |
Fahnen, für ethischen Videospiel-Journalismus zu kämpfen. Kämpft aber | |
eigentlich gegen alle gefühlten Anflüge von politischer Korrektheit in | |
Videospielen. Denn Studien bestätigen immer wieder, dass Frauen in | |
Videospielen oft sexualisiert dargestellt werden. Wie etwa eine Arbeit aus | |
dem Journal of Communication aus dem Jahr 2016, die Videospiele von 1983 | |
bis 2014 untersuchte. | |
Zwar seien positive Tendenzen zu erkennen, doch würden Frauen noch immer | |
eher untergeordnete Rollen in Videospielen haben. Diese seien dann | |
zusätzlich noch stark sexualisiert. Ebenso ergab eine [2][Umfrage] aus den | |
USA im Jahr 2015, dass sich LGBT-Menschen in Videospielen nur selten | |
adäquat repräsentiert finden. Auch hier mangelt es an Repräsentanz. | |
„Jede marginalisierte Person hat inzwischen wohl schon gelernt, mit dem | |
Fakt umzugehen, wie sie in westlichen Videospielen behandelt wird“, | |
schreibt Robert Yang, Indie-Entwickler aus New York City, USA per E-Mail. | |
Doch das lasse er gar nicht mehr an sich heran. Stattdessen programmiert er | |
selbst Spiele, in denen queere Menschen die Hauptpersonen sind. | |
Sein aktuelles Spiel etwa, „The Tearoom“, behandelt die Geschichte | |
öffentlicher WCs, in denen schwule Männer sich zum Sex trafen und treffen. | |
Die Spieler*innen müssen in diesem Spiel darauf achten, dass sie nicht von | |
der Polizei erwischt werden, die immer wieder diese Orte kontrollieren. | |
## „Wie originell von dir, mich eine Bitch zu nennen“ | |
Damit sein Spiel ohne Restriktionen verkauft werden kann, holen die | |
Figuren jedoch Pistolen aus ihren Hosen, keine Penisse. Seine Prognose für | |
die Branche ist düster. „Wir können nicht mehr viel tun“, sagt Yang, „es | |
ist zu spät. Videospiele werden immer von wütenden, sexistischen weißen | |
Männern dominiert sein“. | |
Statt also die gesamte Industrie umkrempeln zu wollen, müsse die Losung | |
sein, eigene Räume zu schaffen, in der Diversität ohne Angst vor | |
Missrepräsentation erlebt werden kann. Er baut diese Räume mit seinen | |
Spielen. | |
Amina S. spielt gerade „Overwatch“, als ihr mal wieder ein Spieler | |
Obszönitäten ins Ohr brüllt. „Overwatch“ ist ein Onlinespiel, in dem sie | |
mit Spielern aus der ganzen Welt spielen kann. Um sich zu verständigen, | |
trägt sie ein Headset. Sie will in diesem Artikel nicht mit ihrem richtigen | |
Namen genannt werden, weil sie Belästigungen befürchtet. Ihr Konter im | |
Videospiel ist schon Routine: „Wie originell von dir, mich eine Bitch zu | |
nennen, bist du da von ganz allein drauf gekommen?“. S. gehe das | |
Onlinespielen oftmals auf die Nerven, wie sie sagt. | |
Dabei ist „Overwatch“ doch eigentlich ein Spiel, das Diversität umarmt. In | |
dem Shooter stehen den Spieler*innen Helden und Heldinnen mit verschiedenen | |
Nationalitäten, Hautfarben und Persönlichkeiten zur Verfügung. S. spielt am | |
liebsten die Heldin „Pharah“. Diese ist eine mit blauer Panzerung | |
geschützte Soldatin, die aus Ägypten stammt und die Welt zu einem besseren | |
Ort machen möchte. | |
## Viele Marginalisierte müssen Abwehrkämpfe ausfechten | |
„Natürlich gefällt mir das, wenn ich jemanden spielen kann, der mir ähnlich | |
sieht, meine Hautfarbe hat“, sagt S.. „Es freut mich, dass sie einfach zu | |
diesem Spiel gehört, ohne dass da ein großer Wirbel drum gemacht wird.“ | |
Zumindest vonseiten der Entwickler. Denn einige Spieler nehmen diese | |
Diversität nicht ganz so gut auf. | |
So gab es etwa Aufruhr als die „Overwatch“-Heldin „Tracer“ eine feste | |
Freundin bekam. In Foren und Kommentarspalten beschwerten sich viele | |
Spieler*innen über die vermeintlich unnötige Politisierung. „Das habe ich | |
genau verfolgt“, sagt S., „was da wieder für Spinner ankamen, die meinten, | |
dass ihr liebstes Spiel jetzt von ‚Social Justice Warriors‘ ruiniert wird. | |
Wie kann man sich nur so anstellen?“ | |
Es sind Abwehrkämpfe, die viele marginalisierte Spieler ausfechten müssen. | |
Immer wieder ist in Foren und Blogeinträgen zu lesen, dass Videospiele | |
„nicht politisch werden dürfen“. Und noch immer bewerben große Teile der | |
Industrie Videospiele als Hobby für einen eingeschworenen Kreis. Kaum eine | |
Videospielmesse, kaum eine Werbung wird nicht für diese Inszenierung | |
genutzt. | |
Freilich gibt es diese Problematik nicht nur in der Videospielbranche. Man | |
denke nur an die diskursive Lautstärke um die Neuauflage des Films | |
„Ghostbusters“ 2016. Zwar mag die Qualität des Films nicht allen Fans | |
genügt haben. Viele sahen sich betrogen, da die originalen Filme aus den | |
1980er Jahren ihnen besser gefielen. Doch gab es bereits im Vorfeld der | |
Veröffentlichung große Kritik an der Idee, so einen „Nerd-Film“ mit Frauen | |
als Hauptrolle neu aufzulegen. | |
## Die Branche entwickelt sich nur langsam weiter | |
Diese Inszenierung als nischige Nerds, die von der Gesellschaft nicht | |
verstanden werden, ist ein Diskurs, der auch in der Videospielwelt virulent | |
ist. | |
Doch langsam, aber sich entwickelt sich die Branche weiter. Entwickler | |
nutzen das Medium, um von Menschen zu erzählen die nicht männlich sind. | |
Nicht heterosexuell. Nicht weiß. Nicht nur für die Zielgruppe selbst, | |
sondern auch für Spieler*innen, die möglicherweise ein Interesse an anderen | |
Geschichten haben. | |
Louis Langs Team hat mittlerweile die meiste Farbe verteilt und damit | |
gewonnen. Die Umgebung ist jetzt neongrün. Auch er sieht, dass sich die | |
Industrie langsam entwickelt. „Im neuen „Uncharted“ darf ich zwei Frauen | |
spielen, die nicht weiß sind“, sagt er. „Das ist doch toll.“ | |
Die Spielereihe erinnert an Indiana Jones und handelt von einem Mann, der | |
auf Abenteuerreise geht, um sagenumwobene Schätze zu finden. Bisher konnten | |
Spieler*innen in „Uncharted“ nur einen Mann steuern. In der neusten Ausgabe | |
wurde der Mann jedoch durch zwei Frauen ersetzt. | |
22 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.biu-online.de/wp-content/uploads/2016/07/BIU_Jahresreport_2016.… | |
[2] http://www.nielsen.com/us/en/insights/news/2015/how-diverse-are-video-gamer… | |
## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
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