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# taz.de -- Videospiel-Musik in Techno und HipHop: Schöner elektronischer Schm…
> Die Compilation „Diggin’ in the Carts“ beleuchtet den Einfluss von
> japanischen Videospiel-Soundtracks auf die Klangwelten von Techno und
> HipHop.
Bild: Viele Farben – viele Stimmungen
„Manchmal musste man das Spiel auch durchspielen, und den Track direkt
aufnehmen – dann hört man den Chip arbeiten, die Persönlichkeit des
speziellen Chips dieses speziellen Games … Klar haben wir überlegt, das
sauber zu machen, digital, aber so ist es, als würde durch diesen Chip und
die Soundspuren seiner Benutzung dem Track ein menschlicher Charakterzug
mitgegeben.“ Das sagt der Brite Nick Dwyer mit einer Begeisterung, die
sonst nur kleine Jungs aufbringen – oder alte Plattensammler, die am
Schleifen des Schellacks den Neigungswinkel eines Grammofons aus den
1920ern heraushören.
Dwyer ist Regisseur der Webserie „Diggin’ In The Carts“ und, gemeinsam mit
Steve Goodman alias Kode9, Dubstep-Pionier und Gründer des einflussreichen
Hyperdub-Labels, Kurator der nach der Serie benannten Compilation mit
wegweisender japanischer Videospielmusik aus den Achtzigern und frühen
Neunzigern.
Nicht nur formten die Soundtracks der 8-Bit- und 16-Bit-Konsolenchips eine
eigenwillige Soundästhetik, deren Reiz gerade in ihrer Begrenzung lag. Sie
waren auch – unbewusst aber wirkungsvoll – für eine ganze Generation die
erste Berührung mit elektronischer Musik.
Es war eine Goldene Ära der japanischen Spieleindustrie, die Marktführer
Namco und Nintendo sind bis heute Begriffe, aber auch um sie herum boomte
der Markt: Auf der von Dwyer erstellten Liste aller bekannter
Game-Soundtracks standen 200.000 Stücke, Hunderttausende Stücke voller
Pings, Pongs, treibender, nervöser Rhythmen und kitschiger Soundleitern.
## Gleichzeitigkeit vieler Stimmungen
Die KomponistInnen, Angestellte der Industrie, waren ehrgeizig darin, die
Limitierung der Hardware mit maximalem Effekt zu nutzen, weniger Künstler
als Tüftler, aber immer mit einem musikalischen Background: Ihre Vorbilder
kamen aus Reggae, Funk und vor allem vom Yellow Magic Orchestra, die für
die Entwicklung des elektronischen J-Pop die Rolle übernehmen, die
Kraftwerk für Europa und Nordamerika spielt. Sie alle prägten den Klang,
den die Soundtrack-Macher nachbauten.
Was ihre Musik auszeichnet, ist eine Gleichzeitigkeit vieler Stimmungen.
„Was alle verbindet“, sagt Steve Goodman, „ist ihre Melodramatik. Es ist
beschleunigt und hochkonzentriert: Die melancholischen Tracks sind richtig
melancholisch, die trippigen Tracks sind richtig trippy. Nichts daran ist
subtil, und darin liegt die Attraktivität. Im Grunde sind sie wie Prog-Rock
mit seinen Twists und plötzlichen Stimmungsänderungen.“
Unter diesem Aspekt betrachtet, müsste die Ahnenreihe der Musikgeschichte
neu verhandelt werden: Wenn es gerade die japanischen Spielsoundtracks
waren, die die erste HipHop-Generation mit Loops und Beats konfrontierte,
Arcade-Games wie „PacMan“ und „Space Invader“, dann verliefe eine direk…
Entwicklungslinie vom extraweißen Progressive Rock zu den wichtigsten
Stilen der schwarzen, urbanen Musik.
Tatsächlich erklingen in den Tracks häufig Bezugspunkte einer Musik, die
sich, wie Prog, zwischen Hoch- und Trivialkultur verortete: Michiharu
Hasuyas Soundtrack zum Puzzlespiel „Solomon’s Key“ (1986) etwa gräbt
süßlich in barocken Fantasien und polyphonen Arpeggios, während sich
„Mister Diviner“, ein Stück von Soshi Hosoi aus dem Spiel „The Majhong
Touhaiden“ (1993) überraschend nah an der Minimal-Music eines Steve Reich
bewegt.
## Keine Super-Mario-Nostalgie
Andere Tracks sind einfach wunderschöner elektronischer Schmelz: Hiroto
Saitous Soundtrack zum Shooter „Metal Stoker“ (1991), der sich zwischen
Techno und Yacht-Rock bewegt, oder Goodmans Favorit „An-Un“ vom Soundtrack
des Action-Rollenspiels „Xak II“ (1990), komponiert von Tadahiro Nitta.
„Ich glaube, die meisten Technoproduzenten in Detroit hatten düstere
Visionen von einer dystopischen Zukunft, und die japanischen Komponisten
machten den Soundtrack zu genau solchen Szenarien. Da gibt es eine
Verwandtschaft“, erklärt Nick Dwyer. Goodmans Hyperdub-Label, wo „Diggin in
the Carts“ veröffentlicht wird, hat eine Reihe solcher Erben: Die britische
Produzentin Ikonika etwa, die US-Experimental-Pop-Künstlerin Laurel Halo
und die kuwaitische Künstlerin Fatima Al Quadiri, die dem Kriegsspiel
„Desert Strike“ 2012 eine EP gewidmet hat.
„Diggin’ In The Carts“ mit seinen 34 Tracks verzichtet auf große Namen,
statt Super-Mario-Nostalgie ist eine feine Auswahl wirklich
außergewöhnlicher Musik zu hören. „Ich bin mit den Tracks rumgelaufen, bis
ich mich in den Magic Miner verwandelt habe“ – ein Charakter des
gleichnamigen Spiels von 1983 –, „und die, zu denen ich am besten manisch
rennen konnte, die sind drauf“, erklärt Goodman.
So nerdig solche Aussagen klingen mögen: Auch ohne den Background der
Videospiele funktioniert die Musik. „Eine Stradivari-Geige ist etwas ganz
Besonderes. Aber auch die extreme Einfachheit und der Trash der Chips ist
ein Wert, der von keinem anderen Instrument reproduziert werden kann.
Beides sind tolle Instrumente, die ich liebe“, sagt die Komponistin Junko
Ozawa in Dwyers Webserie. „Diggin’ In The Carts“ macht es leicht, das
nachzuvollziehen.
4 Jan 2018
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Videospiele
HipHop
Techno
Japan
In a Paraventral Scale
Alt-Right-Bewegung
Sexismus
Grand Theft Auto V
Videospiele
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