| # taz.de -- Anita Sarkeesian über Hetzkampagnen: „Du musst nicht mit Nazis r… | |
| > 2012 beschäftigte sich Anita Sarkeesian mit Frauen in Computerspielen. | |
| > Nun spricht sie über den Hass der „Gamergate“-Bewegung. | |
| Bild: Heute ist Sarkeesian vorsichtig, sie gibt nur selten Interviews | |
| Es ist nur eine kleine Veränderung, ein leichter Schatten, der sich über | |
| Anita Sarkeesians Gesicht legt, als das Mikrofon zum ersten Mal ins | |
| Publikum wandert. Sie steht auf der Bühne des Gaming Festivals Play17 in | |
| Hamburg, hat eine Stunde lang über die Darstellung von Frauen in | |
| Computerspielen gesprochen – und über die Hasswelle, die vor fünf Jahren | |
| auf sie zukam. | |
| Damals, 2012, startet Sarkeesian eine [1][Crowdfunding-Kampagne]. Sie will | |
| eine Videoreihe über Geschlechterstereotype in Videospielen produzieren. | |
| Ihr Projekt mit dem Titel „Tropes vs. Women in Videogames“ soll aus kurzen | |
| Clips bestehen, die Erzählmuster in Spielen aufdecken. 6.000 Dollar will | |
| die US-amerikanisch-kanadische Medienkritikerin dafür sammeln – | |
| überraschend nimmt sie 160.000 Dollar ein. | |
| Doch anstatt sich über diesen Erfolg freuen zu können, sieht sich | |
| Sarkeesian plötzlich einer Hasskampagne ausgesetzt. Sie wird beleidigt, | |
| beschimpft und bedroht, in Foren, Kommentarspalten und E-Mails. Man | |
| versucht, ihre Accounts zu hacken. Aus einem Foto von ihr produzieren ihre | |
| Gegner ein Online-Spiel, in dem man sie zusammenschlagen kann. Jemand | |
| veröffentlicht ihre Adresse. Vor Veranstaltungen, auf denen sie sprechen | |
| soll, werden Attentate angedroht. | |
| Fünf Jahre später, am vergangen Freitag, steht Sarkeesian auf der Bühne in | |
| Hamburg und wartet. Wartet auf die ersten Worte aus dem Publikum. Ein | |
| junger Mann nimmt das Mikrofon, stellt eine harmlose Frage. Der Schatten | |
| über Sarkeesians Gesicht verschwindet – aber nur so lange, bis die nächste | |
| Person nach dem Mikrofon greift. | |
| Drohungen und Gewalt haben Anita Sarkeesian verändert. Sie ist vorsichtig | |
| auf Veranstaltungen, gibt nur selten Interviews. Nach dem Vortrag, | |
| backstage, spricht sie über Angst. | |
| „Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, da gab es eine Schlange von | |
| Menschen, die mit mir sprechen wollten. In dieser Schlange stand ein Typ | |
| mit einem Hoodie, die Hände vergraben in den Pullover. Ich fragte mich die | |
| ganze Zeit: Was hat er da? Wenn du genügend Morddrohungen bekommen hast, | |
| fragst du dich einfach: Was passiert, wenn eine Person es wirklich | |
| probiert?“ | |
| Hier im Hinterraum auf dem Sofa, einen Plastikteller mit Reis und Linsen | |
| vor sich, fällt die Anspannung von ihr ab. Da sitzt eine erschöpfte Frau. | |
| Im Laufe des Interviews wird Sarkeesian sagen: „Es ist anstrengende und | |
| ermüdende Arbeit, für Gerechtigkeit zu kämpfen, aber es ist wichtig und | |
| nötig.“ | |
| [2][2009 gründet Sarkeesian die Webseite „Feminist Frequency“] und | |
| veröffentlicht knappe, unterhaltsame und sehr erfolgreiche Videos über die | |
| Repräsentation von Frauen in der Popkultur. So erläutert sie etwa das | |
| [3][„Manic Pixie Dream Girl“], ein wiederkehrendes Motiv der kindähnlichen, | |
| abenteuerlustigen und wunderschönen Frau, die depressiven Männern aus ihrem | |
| Tief hilft. In der Reihe „Tropes vs. Women in Video Games“ schaut sie sich | |
| schließlich Figuren in Computerspielen an. Etwa die [4][„Damsel in | |
| Distress“], eine Frau in Not wie Princess Peach bei „Super Mario“. | |
| Sie kämpft für die Repräsentation von Frauen in Spielen ganz allgemein – | |
| und nun auch um ihre eigene emotionale und körperliche Unversehrtheit. | |
| Mit der einstigen Fantasie, das Netz könne ein egalitärer Raum sein, hat | |
| diese Realität nichts mehr zu tun. Was ist hier schiefgelaufen? | |
| „Das Netz und die sozialen Netzwerke haben einen Raum geschaffen, in dem | |
| Menschen andere finden konnten, die ihnen ähnlich sind – auch wenn sie | |
| Hunderte Kilometer entfernt wohnten. Wenn du etwa ein einsamer, junger, | |
| queerer Mann irgendwo auf dem Land in den USA bist, findest du im Netz | |
| Menschen, denen du dich öffnen kannst, weil sie wie du sind oder dich | |
| verstehen. Das gab es vorher nicht, diese Support-Netzwerke. Das Netz | |
| bringt aber beispielsweise auch die Menschen zusammen, die Frauen hassen.“ | |
| Wie geht man damit um, wenn Menschen einen offenen Raum für ihren Hass | |
| missbrauchen? Wie geht eine Medienkritikerin mit dem Hass in ihren | |
| Kommentarspalten um? | |
| „Unsere Kommentarfunktion auf YouTube ist abgestellt. Würde ich sie wieder | |
| einschalten, gäbe es eine Scheiß-Albtraum-Show von Vergewaltigungs- und | |
| Morddrohungen. Also schließe ich die Kommentarspalte und werde angegriffen, | |
| weil ich angeblich die Meinungsfreiheit einschränke.“ | |
| Es ist eine bekannte Argumentation: Hass auf Personen oder Personengruppen | |
| wird zur Meinung erhoben, seine Verbreitung dadurch gerechtfertigt. | |
| Besonders laut dröhnte diese Auslegung von Meinungsfreiheit im Sommer und | |
| Herbst 2014, als eine Hetzkampagne unter dem Namen „Gamergate“ das Netz | |
| dominierte. | |
| [5][Gamergate richtete sich gezielt gegen Frauen], die in der | |
| Videospiel-Subkultur sehr präsent sind. Neben Sarkeesian etwa gegen die | |
| Entwicklerinnen Zoë Quinn und Brianna Wu – Frauen, die es gewagt hatten, | |
| sich in die männlich dominierte Gamerszene einzumischen. | |
| Für Anita Sarkeesian ist der direkte Austausch im Netz kaum noch eine | |
| Option. Die Social-Media-Kanäle von Feminist Frequency betreut sie nicht | |
| mehr. Unter jedem geteilten Video auf Twitter stapeln sich bis heute | |
| Beleidigungen. | |
| „Mein Ansatz ist nicht, mit einzelnen Leuten zu sprechen. Ich mache Videos, | |
| man kann sie sich anschauen. Das funktioniert für mich. Sozialer Wandel | |
| geschieht durch systemische Veränderung, nicht durch individuelle | |
| Gespräche. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA war nicht etwa erfolgreich, | |
| weil die Aktivist*innen an alle möglichen Türen geklopft haben und die | |
| Leute davon überzeugt haben, keine Rassist*innen mehr zu sein. Sie haben | |
| die Systeme verändert, in denen Leute leben, und das zwang Menschen, sich | |
| anders zu verhalten.“ | |
| Das System im Netz zu verändern, heißt zu großen Teilen auch, die | |
| Plattform-Betreiber*innen mitverantwortlich zu machen für das, was auf | |
| ihren Seiten passiert. Seit 2012 ist in dieser Hinsicht viel passiert. | |
| Twitter hat einen Sicherheitsrat, setzt immer mehr Maßnahmen um. Facebook | |
| unterhält ganze Löschzentren. Für eine gewaltlose Debatte auf den | |
| Plattformen reicht das noch lange nicht. Und: Braucht es nicht auch | |
| Diskurs statt nur Löschrichtlinien? | |
| „Die Linke war bisher schlecht darin, zu kommunizieren. Wir lieben | |
| Wissenschaft und Fakten. Zum Beispiel, um zu verstehen, dass wir gerade den | |
| Planeten zerstören. Aber zu jemandem zu gehen und zu sagen: ‚Schau dir | |
| meine Liste an Fakten an‘, ist keine effektive Strategie. Wir müssen | |
| Geschichten mit Gefühl erzählen und verstehen, wo die Leute stehen, warum | |
| sie denken, wie sie denken. Es ist aber auch legitim, wenn manche nicht mit | |
| der Alt-Right-Bewegung sprechen wollen. Zum Beispiel, weil ihre ganze | |
| Existenz in Frage gestellt wird – weil sie Migrant*innen oder Schwarze | |
| sind. Du musst nicht mit den Leuten sprechen, die denken, dass du ein | |
| minderwertiger Mensch bist. Du musst nicht mit Nazis sprechen.“ | |
| Rassist*innen in den USA, die sogenannten „White Supremacists“, fühlen sich | |
| mit einem Präsidenten Donald Trump derzeit im Aufwind. Den | |
| Gamergate-Protagonist*innen dürfte es ähnlich gehen. Sarkeesian weist immer | |
| wieder auf die Verbindungen hin: Gamergate, Hass gegen Frauen, | |
| Migrant*innen und Schwarze im Netz, Alt-Right – diese Phänomene sind | |
| miteinander verwoben. | |
| „Rechte Thinktanks haben von Gamergate gelernt. Sie haben von den | |
| Strategien gelernt, wie sich Wut und Ärger mobilisieren lassen. Beides, | |
| Gamergate und die Wahl von Donald Trump, ist die Spiegelung einer | |
| wachsenden Unzufriedenheit und einer rassistischen Ideologie in den USA.“ | |
| An einer Stelle in ihrer [6][neuen Videoreihe „The Freq Show“] wirkt | |
| Sarkeesian fast verzweifelt. Seit Jahren berichtet sie von Sexismus in der | |
| Kultur, der Gesellschaft, auch von ihren eigenen Erlebnissen, rassistischen | |
| Diffamierungen – und doch sind Menschen mit Blick auf die Wahl Donald | |
| Trumps oder die Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein immer wieder aufs | |
| Neue überrascht. Am Ende ruft sie in die Kamera: „Start. Listening. To. | |
| Women.“ Hört Frauen endlich zu! | |
| Immer wieder aufmerksam sein, immer wieder reden. Ist in einem | |
| aktivistischen Leben Platz für so etwas wie Feierabend? Auf dem Sofa? Ohne | |
| die feministische Brille auf der Nase? | |
| „Die Möglichkeit zu haben, etwas nicht zu sehen, von etwas nicht zu wissen, | |
| ist ein Privileg. Diejenigen, die von Unterdrückung betroffen sind, können | |
| nicht wegschauen. Das ist ihr Leben. Ich kann keinen rassistischen Witz | |
| hören, ohne eine Notiz im Kopf zu machen, dass das ein rassistischer Witz | |
| ist. Aber nur weil ich weiter hinschaue, heißt das nicht, dass ich nicht | |
| auch Spaß haben kann.“ | |
| Mittlerweile gibt es immer mehr weibliche Hauptcharaktere in Spielen, immer | |
| mehr Initiativen für Frauen in der Gaming-Szene, es entstehen nerdige Filme | |
| wie „Ghostbusters“ mit ausschließlich weiblichen Hauptrollen. | |
| Produzent*innen haben gemerkt, dass es auch in diesen Subkulturen Frauen | |
| gibt und dass ihre Repräsentation den Verkauf fördert. Das ist auch | |
| Sarkeesians Verdienst. | |
| Am Ende ihres Vortrags in Hamburg folgt langer Applaus. Sarkeesian steht | |
| auf der Bühne wie eine Veteranin. Wie eine, die in den Krieg gezogen ist. | |
| Ihre Waffen: feministische Text- und Bildanalyse – und Humor. Trockener, | |
| leicht zynischer Humor. Wäre dieser Text ein Vortrag von Sarkeesian, würde | |
| im Hintergrund vermutlich das pastellfarbene Videospiel „Flower“ laufen, | |
| würden Blütenblätter sanft über den Bildschirm gleiten. Zur Beruhigung. Und | |
| Aufmunterung. | |
| 10 Nov 2017 | |
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| [2] https://feministfrequency.com/ | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=uqJUxqkcnKA | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Gottschalk | |
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