# taz.de -- Antifeminismus in Nordamerika: Sie wollen nur spielen | |
> Sie wollen Männlichkeit und den Westen verteidigen: Die „Proud Boys“ | |
> begannen als Medien-Stunt, inzwischen sind sie eine Kampftruppe. | |
Bild: So sehen sie aus, die Proud Boys – mit Cowboy-Hut, MAGA-Kappe und Thors… | |
New York/Berlin taz | Sie tragen Poloshirts als Erkennungszeichen und sie | |
tauchen immer dann auf, wenn es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen | |
zwischen Rechtsextremen und linken Gegendemonstranten kommt. Dabei ging es | |
ihnen ursprünglich mal darum, die Männlichkeit vor den Feministinnen zu | |
retten. Die „Proud Boys“ sind eine Art Fight Club für Rechte in den USA. | |
Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Antifa am | |
vergangenen Samstag in der US-Stadt Portland waren sie als eine der rechten | |
Gruppen präsent. Vor wenigen Jahren waren sie noch die Schnapsidee eines | |
rechten Provokateurs. | |
Eine Kleinstadt im Bundesstaat New York, Gavin McInnes möchte nicht, dass | |
man schreibt, welche es ist. Der Mann mit dem nach oben gezwirbelten | |
Schnurrbart öffnet die Beifahrertür, er hat schlechte Laune. Keine Zeit, | |
muss in die Autowaschanlage. 2016 hat er die „Proud Boys“ gegründet, als | |
„Club von Männern, die Bier trinken“, wie er sagt. McInnes ist überzeugt, | |
dass ein „Kulturkampf“ stattfindet. „Es gibt eine Koalition, die Männer | |
weich machen und den Westen schwächen will“, sagt er. McInnes fährt los, | |
flucht, weil ihm eine Autofahrerin zu langsam fährt. Er ist ein Choleriker | |
und offensichtlich stolz drauf. | |
Vor ein paar Jahren war er noch Chef eines beliebten Magazins für | |
Subkultur: Der Kanadier mit schottischem Migrationshintergrund [1][gründete | |
1994 mit zwei Partnern das Magazin Vice]. Lifestyle, Drogen, anarchistische | |
Skaterkultur – mit provokanten Thesen und Tabubrüchen wurde Vice schnell | |
zum Sinnbild des „Hipstermagazins“. Heute gibt es unter anderem einen | |
Onlineableger in Deutschland. | |
Im Jahr 2007 verlässt McInnes Vice. „Es gab Streit darüber, ob wir weiter | |
mutig sein wollen“, sagt er, während vier Männer sein Auto schrubben, „od… | |
weicher, femininer werden, wie sich die Marketingabteilung das gewünscht | |
hat.“ Wahrscheinlicher ist: McInnes war mit seinen „provokanten“ Äußeru… | |
nicht mehr tragbar – so freute er sich in einem Interview, dass die Hipster | |
in gentrifizierten Nachbarschaften in Brooklyn „wenigstens weiß“ seien. | |
Safe Space für Männer | |
2016 gründet McInnes die „Proud Boys“. Es ist das Jahr der | |
Präsidentschaftswahl, für die USA eine Art Urknall für rechte Bewegungen. | |
Neue rechte Onlinemedien entstehen, neue Verschwörungstheorien, neue | |
Selbstbezeichnungen. Man spricht jetzt plötzlich von der „Alt-Right“. | |
McInnes, der gerade wegen transfeindlicher Kommentare wieder bei einem | |
Medienunternehmen rausgeflogen ist, lässt sich von dem Stimmungswechsel im | |
Land mittragen und initiiert den Männerbund. Seine Idee klingt so | |
aberwitzig, dass sie als Medien-Stunt gedacht gewesen sein muss. McInnes | |
bestreitet das. Die „Proud Boys“ funktionieren nach dem Vorbild einer | |
„Fraternity“, einer Studentenverbindung, wie sie in den Staaten üblich | |
sind. Mit dem Unterschied, dass die „Proud Boys“ sich als „westliche | |
Chauvinisten“ bezeichnen und den Schwur ablegen, dass sie sich „nicht dafür | |
entschuldigen werden, die moderne Welt erschaffen zu haben“. | |
„Es gibt eine lange Tradition von Männerklubs in den USA, wir wollen diese | |
Tradition wiederaufleben lassen“, sagt McInnes. Genau betrachtet sind die | |
„Proud Boys“ allerdings eher eine Art Safe Space für Männer, die mit | |
diversen kritischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte ihre Probleme haben. | |
Kritik am Kolonialismus, das Infragestellen der westlichen Hegemonie, | |
Feminismus, neue Männlichkeit, Antirassismus – die „Proud Boys“ lehnen a… | |
das ab und beziehen sich stattdessen stolz auf | |
Familienernährer-Männlichkeit und westlichen Nationalismus. Westlichen, | |
wohlgemerkt. McInnes vermeidet das Wort „weiß“ oder alles, was auf | |
rassistische Ideologien hinweist. Es ist der Dreh, der die „Proud Boys“ und | |
andere neurechte Bewegungen erfolgreich macht: andere Wörter verwenden und | |
im Kern dasselbe sagen. | |
„Wir sind keine Nazis und wir sind keine Antisemiten – ich erzähle | |
Journalisten immer dasselbe, aber sie schreiben dann doch wieder das | |
Gegenteil auf.“ McInnes ist bekannt dafür, dass er bei Telefoninterviews | |
gerne ausrastet, die Interviewenden beleidigt – und dann auflegt. Der | |
gerechte Zorn gehört zu seinem Image. | |
„Der Westen“ statt „die Weißen“ | |
Doch so säuberlich lassen sich die „Proud Boys“ von Neonazis nicht | |
abgrenzen. Als vor einem Jahr der „Proud Boy“ Jason Kessler eine rechte | |
Kundgebung in Charlottesville im Bundesstaat Virginia anmeldet, kommt es | |
zum Streit. Weil Kessler einen expliziten „Weißsein“-Nationalismus | |
vertritt, wirft McInnes ihn aus der Organisation. „Proud Boys“-Mitglieder | |
gehen trotzdem zu der „Unite the Right“-Demo am 12. August 2017. Es ist der | |
Tag, an dem ein Autofahrer in die Menge der Gegendemonstrant*innen rast und | |
eine Frau tötet. Es ist das Ereignis, über das Donald Trump sagen wird, es | |
habe „schlimme Gewalt auf vielen Seiten“ gegeben. | |
Charlottesville sollte eine neue rechte Bewegung zusammenbringen, | |
stattdessen hat es eine Spaltung offensichtlich gemacht, die vor allem mit | |
Begrifflichkeiten zu tun hat. Auf der einen Seite sind die klassischen | |
Neonazis, die sich alter Nazi-Symbole und -Begriffe bedienen, den Holocaust | |
leugnen und offen antisemitisch sind. Dagegen steht eine neue Rechte, auch | |
„Alt-Light“ genannt, weil sie versucht, rechte Ideologie bekömmlicher und | |
dem Zeitgeist entsprechender zu verpacken. | |
Dazu gehören die „Proud Boys“. Referenzpunkte sind nicht mehr „die Weiß… | |
sondern „der Westen“, Rassismus richtet sich nicht gegen Amerikaner*innen, | |
sondern gegen alle, die neu dazukommen, also Migrant*innen. Und so sind | |
unter den „Proud Boys“ auch Mitglieder, die nicht weiß sind. Gemeinsam hat | |
die Gruppe mit der klassischen US-Rechten allerdings: die Verherrlichung | |
dessen, was angeblich einmal war, das gewaltsame Bekämpfen von allem, was | |
sich verändert – und die Neigung, Sheriff zu spielen. | |
Als Hurricane „Irma“ im August letzten Jahres den Süden Floridas verwüste… | |
posieren bewaffnete „Proud Boys“ für [2][ein Facebook-Foto] und erklären, | |
dass sie auf den überfluteten Straßen patrouillierten, um Plünderungen zu | |
verhindern. Für ihre Demos suchen sich die „Proud Boys“ liberale Orte aus, | |
in denen es eine große Antifa-Präsenz gibt – wie zuletzt Portland in | |
Oregon. Sie suchen die gewaltsame Konfrontation. Das Southern Poverty Law | |
Center, eine linksgerichtete Nichtregierungsorganisation, stuft die „Proud | |
Boys“ deshalb als Miliz und bewaffnete „Hate Group“ ein. Aufgetaucht sind | |
die „Proud Boys“ neben Charlottesville, Florida und Portland auch in | |
London, dort im [3][Zusammenhang mit Protesten für die rechtsextreme | |
Heldenfigur Tommy Robinson]. | |
Westliche Männlichkeit gegen alles andere | |
Gavin McInnes weist jede Definition seiner Gruppe als rechtsextrem, | |
faschistisch oder militant zurück, beruft sich auf Selbstverteidigung. Über | |
das rhetorische Mittel des „Kulturkampfs“ schafft er eine Plattform, auf | |
der sich antifeministische, islamophobe und nationalistische Ideologien mit | |
der Lust auf gewaltsame Konfrontation paaren – modelliert nach einer der | |
US-amerikanischsten Erfindungen schlechthin, der „Fraternity“. Verbreitet | |
wird ein neues Überlegenheitsdenken, das ohne Parolen wie „White Power“ | |
auskommt. | |
Für das Wochenende hat Ex-„Proud Boy“ Jason Kessler eine Neuauflage von | |
„Unite the Right“ in der Hauptstadt Washington angemeldet. Dann wird sich | |
zeigen, ob die Rechtsextremen sich von dem PR-Desaster von vor einem Jahr | |
erholt haben und es schaffen, sich wieder als geeinte Bewegung zu | |
inszenieren – und welche der beiden Schulen sich dabei durchsetzt. Die alte | |
oder die neue Rechte. | |
Am Ende des Gesprächs will McInnes, dass das Aufnahmegerät noch einmal | |
angeschaltet wird. Er, der keine Gelegenheit auslässt, über die | |
„Mainstream-Medien“ herzuziehen, will nun unbedingt seine These vom | |
„Kulturkampf“ noch einmal klar und deutlich aufs Band sprechen. Kurz | |
zusammengefasst: Westliche Männlichkeit gegen alles andere. Und um das zu | |
verbreiten, sind ihm auch die „Fake News“-Medien recht. McInnes bleibt | |
letztlich ein Medienprofi, mit großem Sendungsbewusstsein und einem Gespür | |
dafür, wie man seine Erzählung platziert. | |
10 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-New-York-Times-Recherche/!5473338 | |
[2] https://www.rawstory.com/2017/08/armed-right-wing-militias-ripped-for-bring… | |
[3] /Verfahren-gegen-britischen-Neonazi/!5526295 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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