| # taz.de -- Film über Charlottesville: Unsere Stadt, unsere Straßen! | |
| > Am 12. August sind Neonazis gewaltsam in der US-Stadt aufmarschiert. | |
| > „Charlottesville: Our Streets“ versucht zu ergründen, was genau geschah. | |
| Bild: Blockade weißer Nationalisten, die in Charlottesville den Erhalt eines K… | |
| Charlottesville taz | Die Ortsfremden am Morgen sind gut zu erkennen: Sie | |
| haben Kameras und gehen zum Emancipation Park. Das ist der Platz, in dessen | |
| Mitte wie an zahlreichen anderen Orten in den Südstaaten eine Statue des | |
| Feldherrn Robert E. Lee steht, hoch zu Ross, das Pferd bäumt sich auf. Die, | |
| die jetzt dorthin gehen, sehen allerdings – nichts: Die Statue ist mit | |
| schwarzen Planen verhüllt, wie ausgediente Bronzestücke in einer | |
| Abstellkammer. | |
| Auf sechs Pfeilern steht „No Trespassing City personnell only“. Jemand hat | |
| Flugblätter für African Drumming an die Metallstelen geklebt. Daneben ein | |
| einsamer Aufkleber: Antifascist action. Ein Immergrünkranz mit der | |
| Aufschrift „Veterans“ würdigt die U.S. Army 1830–61 und ist direkt am Fu… | |
| der schwarzen Plastikplane aufgestellt. Damit ist der Sezessionskrieg | |
| gemeint, den die Nordstaaten für sich entschieden hatten. Das Ende der | |
| Sklaverei wurde eingeläutet. Robert E. Lee war Kommandeur der | |
| Konföderierten. | |
| Zum dreißigsten Mal findet in Charlottesville gerade das Virginia Film | |
| Festival statt. Der prominente US-Regisseur Spike Lee besucht in diesem | |
| Jahr das Festival zum ersten Mal. Er zeigt „Four Little Girls“ von 1997, | |
| einen Film, in dem es um Rassismus und Segregation geht. Lees Anwesenheit | |
| ist ein Symbol für die 50.000-Einwohner-Stadt, die in diesem Sommer zum | |
| Hashtag wurde. | |
| Weil die Bewohner von Charlottesville beschlossen hatten, dass ihr | |
| zentraler Platz, gleich neben der Hauptfußgängerzeile, nicht mit der | |
| Robert-E.-Lee-Statue, dem Symbol der Sklaverei, geschmückt sein sollte, kam | |
| es im vergangenen August in der Stadt zu gewalttätigen | |
| Auseinandersetzungen. Die ultrarechte Bewegung Alt-Right hatte schon im Mai | |
| und im Juli USA-weit nach Charlottesville mobilisiert, um gegen das | |
| Entfernen der Statue zu protestieren. Im August trafen sich erneut Hunderte | |
| White Supremacists und Neonazis mit Ku-Klux-Klan-Kutten, unverhüllten | |
| Gesichtern und Fackeln in den Händen, um rassistische und antijüdische | |
| Slogans zu rufen. | |
| ## Gedenken an Heather Heyer | |
| An der Ecke Water and 4th Street liegen Blumen zum Gedenken an Heather | |
| Heyer. Zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt, als der zwanzigjährige | |
| Naziverehrer James Alex Fields am 12. August 2017 mit dem Auto in die Menge | |
| der Gegendemonstranten raste. Heather Heyer starb. Später verunglückten | |
| zwei Polizisten tödlich, als sie mit dem Helikopter abstürzten. | |
| Charlottesvilles Bürgermeister Michael Signer und sein Vize Wes Bellamy | |
| hatten vergeblich versucht, mit juristischen Mitteln zu erreichen, dass die | |
| Alt-Right-Ralley gar nicht erst so weit in die Stadt würde vordringen | |
| können. Dieses Duo – ein jüdischer und ein afroamerikanischer Repräsentant | |
| der Bürgerschaft – hatte für einen demokratischen Kurs in dieser sehr | |
| liberalen Universitätsstadt gestanden, in der es eine Menge anzupacken | |
| galt. Jetzt steht der Bürgermeister unter Beschuss. | |
| Niemand in Charlottesville hätte je gedacht, dass die Stadt national und | |
| international ein Symbol werden würde. Friseurin Natalie, die der Liebe | |
| wegen von Chicago hierher gezogen ist, erzählte mir schon im Mai: „Da gibt | |
| es noch ein paar Ewiggestrige, die demonstrieren dagegen, die Statue zu | |
| entfernen. Aber das ist ohne Bedeutung, und die sind völlig isoliert.“ | |
| Architekturstudent John Harris fand, dass die Statue ins Museum gehört, | |
| „aber nicht hierher auf einen öffentlichen Platz. Das war ein Rassist. | |
| Warum sollen wir Denkmäler haben, die die Sklaverei verherrlichen?“ | |
| In der Konsequenz verhüllten Studenten auch das Denkmal von Thomas | |
| Jefferson, der zwar den Satz für die Verfassung „All men are equal“ (Alle | |
| Menschen sind gleich) niederschrieb, aber selbst Sklavenhalter geblieben | |
| ist und die Sklavin Sarah Hemings im Alter von 13 Jahren zu seiner | |
| Geliebten gemacht hatte. Die Bürger_innen mögen dabei ihren Ort gern als | |
| Paradies gesehen haben, als einen Ort, wo sie, wie der Journalist Jackson | |
| Landers sagt, die Kinder allein zur Pedestrian Mall laufen lassen. | |
| ## Premiere ausverkauft | |
| Landers ist für das Skript des Dokumentarfilms verantwortlich, der auf dem | |
| Festival in Charlottesville zum wichtigsten Ereignis wurde: | |
| „Charlottesville: Our Streets“. Der Filmtitel gemahnt an „Whose Streets? | |
| Our Streets!“, einen Slogan der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die | |
| Vorstellung im Paramount Theatre, das 1.040 Menschen aufnimmt, ist zur | |
| Premiere ausverkauft. Eine Stunde vor Beginn bildet sich bereits eine lange | |
| Schlange vor dem Kino. Mit drei Sicherheitsschleusen und Taschenkontrollen | |
| wird der Einlass abgewickelt. | |
| Regisseur Brian Wimer und Jackson Landers haben zusammen mit der | |
| Journalistin Natalie Jacobsen in zwei Monaten diesen Film | |
| zusammengeschnitten und Interviews gedreht. Das Material stammt nicht nur | |
| von Brian Wimer selbst, sondern von Ausschnitten, die die Bürger_innen | |
| selbst festgehalten haben. Mehr als hundert Stunden Videomaterial haben sie | |
| gesichtet, ausgewertet, mit 30 Zeug_innen gesprochen und sich dafür | |
| entschieden, diesen einen Tag im August, den 12. 8. 2017, so genau wie | |
| möglich nachzuzeichnen. | |
| Der Film ist noch immer in verschiedener Hinsicht in progress. Durch das | |
| Zeigen des Films werden weitere Menschen erreicht, die neues Material | |
| abgeben können. Wesley Harris, stellvertretender Festivalleiter, sagt zu | |
| Beginn, dass es jederzeit möglich sei, den Kinoraum zu verlassen, dass man | |
| sich um seinen Nachbarn vielleicht kümmern müsse, aber dass das Festival | |
| alles darangesetzt habe, den Film zu realisieren. Damit die Leute von | |
| Charlottesville ihre Geschichte selbst schreiben und selbst beurteilen | |
| können, was hier geschehen ist. | |
| ## Unfassbares Panoptikum Rechtsextremer | |
| Es entrollt sich ein unfassbares Panoptikum rechtsextremer und | |
| rechtsaffiner Gruppierungen: von Rassisten, Ku-Klux-Klan, Antisemiten bis | |
| zu einer waffenstarrenden Miliz und uniformierten Kohlearbeitern aus West | |
| Virginia, die sich als Sozialisten definieren. Ein Aktivist der | |
| Antifaschistischen Aktion kommt zu Wort, Leute von der Ersten Hilfe, | |
| Afroamerikaner_innen, der klerikal orientierte, alle Religionen umfassende | |
| Widerstand. „We are ready to die“, sagt ein Prediger, bevor die Gruppe der | |
| Gegendemonstrant_innen singend aufbricht. Einer spricht aus der Innensicht | |
| der rechtsextremen Kräfte. Im Saal rufen Leute: „Keine Plattform für | |
| Nazis!“ | |
| Auf der anschließenden Podiumsdiskussion wird Brian Wimer sagen, dass er | |
| nicht habe urteilen wollen. Er wollte wissen, was genau geschehen ist. | |
| Durch wen, wann. Er wolle die Tür offen lassen. Wo waren die Kräfte der | |
| Polizei? Warum haben sie die Leute nicht geschützt? Welche Befehle die | |
| untätige Bundespolizei hatte, weiß bis heute niemand. Don Gathers, der zur | |
| religiösen Gruppe zählte, fordert personelle Konsequenzen. Und er will | |
| wissen, wie sich die Menschen vor dieser Invasion in Zukunft schützen | |
| könnten. | |
| Katrina Turner aus der afroamerikanischen Nachbarschaft wiederholt einige | |
| Male einen Satz: „Dass weiße Leute uns geschützt haben“, sagt sie, „dass | |
| weiße Leute uns geschützt haben …“ Sie ist nicht die Einzige auf diesem | |
| Podium, der die Stimme bricht. Sarah McConnell, Radioproduzentin und | |
| Journalistin, sagt: „Diese Sache tut uns weiterhin emotional und finanziell | |
| weh, aber es war gut zu sehen, was danach in Boston passiert ist, als | |
| Alt-Right versuchte, hier zu marschieren. 30.000 Menschen haben sie | |
| davongejagt.“ | |
| 16 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Dischereit | |
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