| # taz.de -- Kolumne Macht: Schöne, einfache Mythenbildung | |
| > Charlottesville und der Kitsch der Geschichte: Im US-Bürgerkrieg ging es | |
| > zunächst keineswegs um die Abschaffung der Sklaverei. | |
| Bild: Nicht Orry Maine, sondern General Robert E. Lee. Statue, Charlottesville | |
| Bekanntlich sind es die Sieger historischer Konflikte, die Geschichte | |
| schreiben. Das moderne Stichwort heißt Deutungshoheit. Was allerdings nicht | |
| dasselbe bedeutet wie Wahrheit oder Gerechtigkeit, wie sich derzeit bei der | |
| Kontroverse über den richtigen Blick auf den US-Bürgerkrieg zeigt. | |
| Angesichts des rassistischen Mobs in Charlottesville und eines Präsidenten, | |
| der den Faschisten zuzwinkert, fällt es schwer, ausgerechnet diejenigen zu | |
| kritisieren, die sich den Extremisten auf dem Weg in die Barbarei | |
| entgegenstellen. Aber es ist nötig. Denn in diesen Tagen lässt sich | |
| besichtigen, wie Mythenbildung entsteht. | |
| Wer noch nie vom Sezessionskrieg gehört hat, hat es im Augenblick – | |
| scheinbar – leicht, die Wissenslücken aufzufüllen: Böse Sklavenhalter im | |
| Süden lehnten sich 1861 widerrechtlich gegen aufrechte Gegnerinnen und | |
| Gegner der Sklaverei in den Nordstaaten auf. 1865 siegten die Guten. So | |
| klar, so einfach, so schön. So falsch. | |
| ## Marx hatte Recht | |
| Im US-Bürgerkrieg ging es zunächst einmal keineswegs um die Abschaffung der | |
| Sklaverei. Sondern, Überraschung, vor allem um Wirtschaftsfragen. Bill | |
| Clinton – „it’s the economy, stupid“ – und Karl Marx hatten eben doch | |
| Recht. | |
| Die Industrialisierung in den Nordstaaten und der dadurch gestiegene Bedarf | |
| an Lohnarbeitern kollidierte mit den Interessen der Agrarstaaten im Süden. | |
| Verschärft wurde der Konflikt durch die Zollpolitik. Nordstaaten wünschten | |
| höhere Schutzzölle, um so den Absatz heimischer Industriegüter zu erhöhen. | |
| Südstaaten, die diese Güter importieren mussten, fürchteten eine massive | |
| Teuerung. | |
| Die Menschenrechte von Sklavinnen und Sklaven? Na ja. US-Präsident Abraham | |
| Lincoln schrieb noch 1862 in einem offenen Brief an die New York Tribune: | |
| „Mein oberstes Ziel in diesem Krieg ist es, die Union zu retten; es ist | |
| nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Könnte ich die Union | |
| retten, ohne auch nur einen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun.“ Erst | |
| im folgenden Jahr trat seine Proklamation in Kraft, die alle Sklaven für | |
| frei erklärte. Mit Mythenbildung haben die USA einige Erfahrung. Bis heute | |
| werden jene Siedler als die wahren Pioniere gefeiert, die 1621 in Plymouth | |
| – heute: Nordstaat Massachusetts – landeten. Die Stichworte sind bekannt: | |
| Mayflower, Kampf um religiöse Freiheit. Und irgendwie um Freiheit | |
| überhaupt. | |
| Blöd nur: In Wahrheit wurde die – unzweifelhaft – erste dauerhafte | |
| englische Siedlung auf nordamerikanischem Boden 1607 in Jamestown | |
| gegründet, auf dem heutigen Gebiet von Virginia. Deren Bewohnern ging es um | |
| schnelle Gewinne ihrer Handelsgesellschaft Virginia Company in der Neuen | |
| Welt. Von der Geschichtsschreibung werden diese Siedler behandelt wie etwas | |
| peinliche Verwandte, die man gern ignoriert. Südstaatler halt. | |
| Ich kann gut leben, ohne Militärs zu verehren. Für die Mehrheit der | |
| US-Bevölkerung gilt das offenbar nicht. Die Anerkennung soldatischer | |
| Leistungen ist dort Teil der Alltagskultur. | |
| Der Südstaatengeneral Robert E. Lee war ein begabter militärischer Führer. | |
| Und ein Kind der Widersprüche seiner Zeit. Er war ein Sklavenhalter – und | |
| er nannte die Sklaverei dennoch ein „moralisches und politisches Übel“. | |
| Jetzt aber ist er der Böse, und Lincoln ist der Gute? Wer kein Rassist ist, | |
| muss es toll finden, dass seine Denkmäler bei Nacht und Nebel aus | |
| Kleinstädten entfernt werden? | |
| Das ist alles ziemlich verlogen. Und dürfte – unter anderem – dazu führen, | |
| dass auch viele Südstaatler, die keine Rassisten sind, auf stur schalten. | |
| Weil sie sich von der offiziellen Geschichtsschreibung diskriminiert | |
| fühlen, zu Recht übrigens. | |
| Wem nützt das? Ja, genau. Leuten wie Donald Trump. | |
| 19 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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