# taz.de -- Astrologie in queeren Communities: Der queere Hang zum Mythos | |
> Dass Queers Horoskope lieben, ist ein Klischee. Oder könnte es daran | |
> liegen, dass der Tierkreis eine Utopie ist? Esoterische Spekulationen. | |
Bild: Vielleicht ist das uneigentliche Ernstnehmen unserer Sternbilder der Prot… | |
Merkur ist in diesen Tagen rückläufig. Das kein Grund zur Beunruhigung, es | |
handelt sich um eine optische Täuschung am Planetenhimmel und bedeutet | |
bloß, dass die Welt ein bisschen aus den Fugen gerät. | |
Angeblich passieren außergewöhnlich viele unerwartete Zufälle, Planbarkeit | |
nimmt ab, Intuition regiert. Das Spektakel dauert bis zum 3. November. | |
Vielleicht ein Grund, nicht auf errechnete Prognosen zur US-Wahl zu | |
vertrauen. Wobei es dafür bessere Gründe gibt. | |
Astrologie ist eine belächelte Form spiritueller Praxis. Im 20. Jahrhundert | |
als Ratgeberchen in Zeitungen popularisiert, gilt sie als Interessensgebiet | |
der kleinbürgerlichen Hausfrau und hat damit einen schlechten Ruf. Einen | |
weitaus schlechteren noch als der christliche Glaube – je nachdem, mit wem | |
man es zu tun hat. | |
## Das Geschlecht ist auch ein Mythos | |
Denn gerade, weil Horoskope [1][mit Weiblichkeit assoziiert] sind, macht | |
sie attraktiv für alle, die das Feminine zelebrieren. Zum Beispiel queere | |
Communities. Nicht für sämtliche natürlich: Je nach Kontext, etwa beim | |
cis-schwulen Dating, können auch queere Räume patriarchal sein. In anderen | |
aber ist es selbstverständlich, dass ich zumindest meinen Aszendenten, mein | |
Sonne- und mein Mondzeichen ins Gespräch einbringen kann. | |
Der queere Trend zum Sternedeuten ist schon häufig besprochen worden. | |
Queere Magazine wie LMag oder Autostraddle bieten ihren Leser*innen ganz | |
[2][selbstverständlich Horoskope an]. In einer Welt voller gefühlter | |
Wahrheiten und zurechtgezimmerten Fakten mag jede Tendenz zu Pseudowissen | |
irritieren oder verstören. Und das Versprechen, sich drei rückläufige | |
Merkurwochen lang ins Intuitive schmeißen zu dürfen, klingt nach einem | |
apolitischen Rückzug ins Private via Zauberkunst. | |
Aber vielleicht ist da noch mehr. Vielleicht ist die Neigung von vielen | |
Queers zur Astrologie keine Suche nach Wissen, sondern eine bewusste | |
Hinwendung zum Mythos. Queeres Wissen ist immer Bewusstmachen von | |
Mythologien. Der Mythos Geschlecht, [3][der Mythos Rasse], der Mythos | |
Nation: Artefakte, die nicht existieren, sondern erst durch das Wissen über | |
sie real werden. Mit denen sich spielen ließe wie mit Sternzeichen – wäre | |
es Konsens, dass sie auch nur Sternbilder sind. | |
## Prototyp für Utopie | |
Vielleicht ist die queere Astrologie das Spielfeld, das andere Mythen noch | |
nicht sein dürfen. Vielleicht ist das uneigentliche Ernstnehmen unserer | |
Sternbilder der Prototyp für eine Utopie, in der wir unsere Körper- und | |
Begehrenskonstellationen als ebenso uneigentlich begreifen. | |
Bis dahin ist das Horoskop immerhin ein harmloser Zeitvertreib. Denn wie | |
Hengameh Yaghoobifarah schreibt, ist Astrologie zumindest „kein | |
Herrschaftsinstrument, das strukturell oder institutionell dafür genutzt | |
wird, Leute fertigzumachen“. | |
Das können andere Glaubenssysteme nicht von sich behaupten. Schließlich ist | |
der Tierkreis die einzige Einteilung der Welt, die wahrhaftig gerecht ist. | |
16 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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