| # taz.de -- Der männliche Blick: Aus dem Tagebuch des „Male Gaze“ | |
| > Was schön ist, stark ist, richtig ist. Der männliche Blick macht alles zu | |
| > Objekten, seinen Ansprüchen nachzukommen, ist quasi unmöglich, oder? | |
| Bild: Das lustvolle Starren macht alles, was es erfasst, zu Objekten | |
| Verzeihung, dass ich mich kurz einmische. Du erkennst mich vielleicht | |
| gerade nicht, aber du kennst mich. Schon lange, ich war die ganze Zeit | |
| dabei. Du siehst mich nicht immer, aber ich sehe dich. Und das weißt du | |
| natürlich. Du weißt, dass ich immer mal wieder nach dir schaue. Ob du etwas | |
| falsch machst. | |
| Sie nennen mich den Male Gaze. Den männlichen Blick. Das lustvolle Starren, | |
| das alles, was es erfasst, zu Objekten macht. Aber ich bin so viel mehr als | |
| das. Nicht nur Male. Ich bin auch Cis Gaze und Het Gaze, ich bin all das, | |
| was du nicht bist. Oder nicht genug bist. Und trotzdem sein willst, weil | |
| ich es so will. Kannst du dich erinnern, als du das erste Mal das Bedürfnis | |
| hattest, einen Teil von dir zu verstecken? Um besser zu gefallen? Um | |
| richtig zu sein? | |
| Ist es dir gelungen? | |
| Ich bin der Blick, dem nichts genügt. Nicht der Geist, der stets verneint, | |
| das ist ein anderer. Aber mit dem spiele ich donnerstags Schach. Ich lebe | |
| an vielen Orten, am liebsten an der Innenwand deines Hinterkopfs. Aber ich | |
| spaziere auch durch die Illustrierten und über die Leinwände und über deine | |
| Schulter lächle ich dir in deiner Selfie-Cam zu. Fun Fact: Ich bin das | |
| Gegenteil von einem Vampir, weil es mich nur als Spiegelbild gibt. | |
| Ich weiß nicht viel, aber ich habe viele Fragen. Wirklich?, frage ich, wenn | |
| du den Lippenstift aufträgst. Wenn du dieses Kleid anziehst, deine Brüste | |
| ausstopfst. Wirklich nicht?, frage ich, wenn du all das unterlässt. | |
| Nichts als Versprechen | |
| Was bist du?, frage ich. Nicht: Wer. Was für ein Geschlecht?, will ich | |
| wissen, damit ich weiß, was ich als Nächstes fragen kann. Ich weiß, dass du | |
| begehrt werden willst, dass du geliebt werden willst. Manchmal willst du | |
| auch einfach bloß gesehen werden, und ich helfe dir dabei. Ich sage dir, | |
| was schön ist. Was stark ist. Ich forme dich zu einem Bild. Und wenn du | |
| damit fertig bist, alles zu tun, um mir zu gefallen, wechsle ich die Form | |
| und mache, dass du dich schämst, mir gefallen zu wollen. | |
| Ich habe nichts zu bieten, aber viele Versprechen. Nächstes Mal werden sie | |
| dich lieben. Wenn du nur das Richtige trägst. Nächstes Mal werden sie dich | |
| hören, wenn du nur deine Stimme änderst. Wie wirst du sprechen? Wie wirst | |
| du laufen? Als was wirst du dich vorstellen? | |
| Ich bin der ultimative dominante Partner, außer dass du mich nie darum | |
| gebeten hast. Ich herrsche durch Knappheit. In meiner Welt gibt es kein | |
| richtig, nur falsch. Und Strafen: Scham und Selbsthass. Aber keine Sorge, | |
| ich bin auch Ansporn. Bist du schon genug?, ist eine meiner | |
| Lieblingsfragen. Die meisten antworten mit Nein und machen sich daran, das | |
| Nächste an sich zu optimieren, zu verstecken, anzupassen. Das freut mich | |
| unheimlich. Denn sie kommen nach kurzer Zeit zurück zu mir und fragen, was | |
| sie als Nächstes tun sollen. | |
| Die wenigsten antworten mit Ja. Was mit ihnen passiert, da bin ich leider | |
| überfragt. Die sehe ich nie wieder. | |
| 29 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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