# taz.de -- Fantasien beim Sex: Zuweilen braucht’s Kopfkino | |
> Manchmal reicht es beim Sex nicht, sich aufs Hier und Jetzt und den oder | |
> die Partner*in zu konzentrieren. Zum Glück gibt's die Fantasie. | |
Bild: Mit dem „Duke“ aus „Bridgerton“ in Fantasien abgleiten im Zeichen… | |
Manchmal bin ich beim Sex noch nicht richtig eingestimmt, vielleicht weil | |
ich noch halb im Alltag hafte, oder aus anderen Gründen. Dann gleite ich in | |
eine Fantasie. Während sich der Mann also abstrampelt, für mich zärtlich | |
und sexy zu sein, spiele ich vorm inneren Auge ein pornografisches | |
Gegenprogramm: Hugh Jackman mit Ballgag oder den „Duke“ aus „Bridgerton“ | |
oder Söder und Maas bei der Gartenarbeit. Das tut mir ein bisschen leid, | |
ich sollte mich aufs Hier und Jetzt konzentrieren, auf meinen Partner, das | |
wäre zumindest höflich. | |
In der Süddeutschen vom Wochenende [1][hat der Philosoph Slavoj Žižek laut | |
darüber nachgedacht], warum man sich beim Sex eigentlich der Fantasien | |
bedient. „Man hat ja schon die Sache selbst. Warum braucht man verbale | |
Supplemente?“, wundert er sich und sieht darin „die fundamentale Erfahrung | |
des Scheiterns beim Sex“. | |
Auf die Idee ist Žižek durch eine Anekdote gekommen, in der ein | |
Pornodarsteller beim Dreh nach dem Handy greift – um sich per Video zur | |
Erektion zu verhelfen. Eigentlich braucht einen das nicht zu wundern, | |
schließlich ist so ein Pornodreh Arbeit und kein Abend am Kaminfeuer, aber | |
to be fair: Žižek findet nichts Schlimmes am Scheitern, und es geht ihm | |
wohl auch nicht darum, zu werten. | |
Wahrscheinlich will er bloß den Sex dem Griff der Perfektion entreißen, das | |
ist mir [2][grundsätzlich sympathisch]. Trotzdem schaut der Philosoph erst | |
mal pessimistisch auf sein Forschungsergebnis, empfindet die Fantasiererei | |
als Behelf. Für mich hingegen muss nicht alles Behelf sein, was schlicht | |
hilfreich ist. | |
Parallelen zur Stimme | |
Ich sehe beim sexuellen Apparat Parallelen zur Stimme. Genau wie die Stimme | |
lässt er sich leider nur zum Teil bewusst kontrollieren. Im Gesangs- oder | |
Sprechunterricht arbeitet man deshalb mit mentalen Bildern, um eine | |
bestimmte Konfiguration von Kehlkopf, Brustraum und Beckenboden | |
herzustellen, die dann besonders schön klingt, weit trägt und schonend ist. | |
In meinem Stimmtraining habe ich unzählige unsichtbare Bäume umarmt, | |
imaginäre Crêpes zubereitet und in Landschaftsgemälde hineingesungen. Die | |
Fantasiewelt hilft dem Körper, sich an den richtigen Stellen anzuspannen – | |
oder zu entspannen. | |
Manche brauchen das nicht, sie sprechen deutlich und resonant, wann immer | |
sie etwas zu sagen haben, und sie sind geil und relaxt, wann immer sie Sex | |
haben wollen. Bei mir ist das nicht so, da mag ich noch so sehr wollen und | |
das Gegenüber noch so zärtlich sein. Also umarme ich Bäume. Beziehungsweise | |
stelle mir etwas vor, das dazu in der Lage ist, die erogenen Zonen zu | |
aktivieren, die Körperöffnungen zu entspannen, oder was auch immer ich | |
grade brauche. | |
Ich hoffe doch, dass es kein Scheitern ist, wenn man sich in die Lage | |
versetzen kann, sich selber zu erregen. Das schafft schließlich beste | |
Voraussetzungen für eine sexy Koproduktion. Besonders, wenn man die | |
Fantasien dann auch noch der oder dem anderen mitteilt. | |
22 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/kultur/slavoj-zizek-porno-liebe-objekt-1.517521… | |
[2] /Radikale-Autoerotik/!5738396 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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