# taz.de -- Kolumne Macht: Die Entfernung des Fremden | |
> „Dunkirk“ läuft gerade in den Kinos. Allerdings werden Abertausende von | |
> Soldaten aus Asien und Afrika nicht erwähnt. | |
Bild: Soldaten in einer Szene des Kriegsfilms „Dunkirk“ | |
Dass historische Filme häufig, ob gewollt oder ungewollt, Rückschlüsse auf | |
das politische Klima der Gegenwart zulassen, ist keine neue Erkenntnis. | |
Angesichts dessen kann man schon ins Grübeln kommen, weshalb ausgerechnet | |
die Schlacht von Dünkirchen jetzt auf so großes Interesse in Großbritannien | |
stößt: Hunderttausende von Briten entkamen damals, 1940, mit knapper Not | |
dem europäischen Festland … | |
Nun ja. Also, im Krieg sind wir ja gottlob mit Albion nicht, und wir finden | |
es auch schon längst nicht mehr perfide. Allenfalls im Augenblick ziemlich | |
blöd. Sei’s drum. Und niemandem soll ein Kinobesuch vergällt werden, egal, | |
wie seltsam es anderen erscheinen mag, dass ein bestimmtes Thema – auf eine | |
bestimmte Weise dargestellt, zu einem bestimmten Zeitpunkt – zum Faszinosum | |
wird. | |
Schwierig wird es, wenn ein Film den Anspruch erhebt, innerhalb weitgehend | |
historisch korrekter Rahmenbedingungen zu spielen. Und das dann schlicht | |
nicht stimmt. Das gilt [1][für „Dunkirk“ von dem Regisseur Christopher | |
Nolan], einem gebürtigen Briten. In einem Artikel für die britische | |
Tageszeitung The Guardian hat die indische Schriftstellerin Sunny Singh | |
darauf hingewiesen, dass die Kolonialtruppen – Tausende und Abertausende | |
von Soldaten aus Asien und Afrika, die wesentlichen Anteil am Ausgang der | |
Schlacht hatten – in dem Werk ganz einfach nicht vorkommen. | |
## Kein gutes Händchen | |
Es geht hier nicht darum, jemandem einen Vorwurf daraus zu machen, welche | |
Geschichte er oder sie erzählen möchte. Wenn jemand die Liebesgeschichte | |
zwischen einer weißen, unglücklich verheirateten Frau, die kein gutes | |
Händchen für die Landwirtschaft hatte, und einem weißen Piloten im | |
kolonialen Kenia schildern will – dann soll es so sein. | |
Eine Diskussion darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn der | |
Regisseur von „Out of Africa“ eine andere Liebesgeschichte erzählt hätte, | |
zum Beispiel die zwischen einer Kenianerin und einem Kenianer, wäre albern. | |
Sydney Pollack war fasziniert von der Romanze zwischen der Schriftstellerin | |
Karen Blixen und dem nicht so wahnsinnig bedeutenden, aber attraktiven | |
Denys Finch Hatton. Darüber hat er einen erfolgreichen Film gemacht. So | |
weit, so gut. | |
Schwierig wäre das nur dann gewesen, wenn er versucht hätte den Eindruck zu | |
erwecken, Kenia sei, abgesehen von weißen Liebespaaren, ausschließlich von | |
Flamingos bewohnt gewesen. Das hat Sydney Pollack nicht getan. Die | |
kenianische Bevölkerung kommt in seinem Film vor. Aber genau das tut – im | |
übertragenen Sinn – Christopher Nolan. Er streicht einfach, was nicht in | |
sein Drehbuch passt. | |
Die Praxis ist nicht neu. Schon in der römischen Kaiserzeit wurde jede | |
Erinnerung an „Staatsfeinde“ getilgt. Stalin ließ Fotos und Gemälde | |
verändern, um Gegner aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Die DDR | |
strich Sportler aus Rekordlisten, die in den Westen geflohen waren. | |
Immerhin: Diktatoren und autoritäre Regime wissen, was sie tun, wenn sie | |
Teile der Vergangenheit unterdrücken. Sie verfolgen damit ein Ziel. Ist es | |
besser oder schlechter, wenn ein Regisseur die Geschichte verfälscht, weil | |
es für ihn ganz einfach praktischer ist? Und warum ist es für ihn | |
praktischer? | |
Sunny Singh: „Drückt die Entfernung von denjenigen, die als ‚fremd‘ und | |
‚anders‘ betrachtet werden, aus Geschichten der Vergangenheit ein Unbehagen | |
an ebendiesen Leuten in der Gegenwart aus? Noch fröstelnder: Beinhaltet das | |
auch den Wunsch, ebendiese Leute aus einer utopischen, nationalen Zukunft | |
herauszuschneiden?“ | |
Ja, diese Fragen muss man stellen und beantworten. Nicht nur in | |
Großbritannien. Und nicht nur im Zusammenhang mit Kino. | |
5 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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