Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Christopher Nolans „Dunkirk“: Rettung kommt über den Kanal
> Christopher Nolan findet mit „Dunkirk“ einen eigenen Zugang zum
> Kriegsfilm: Er zerlegt das Wunder von Dünkirchen in separate Handlungen.
Bild: Szene: Warten auf die Evakuierung aus Dünkirchen
Sommer 1940: Vier britische Soldaten schlendern durch die leeren Straßen
von Dünkirchen. Einer von ihnen angelt Zigarettenstummel aus dem
Aschenbecher in einer verlassenen Wohnung. Plötzlich fliegen den Soldaten
deutsche Patronen um die Köpfe. Alle vier rennen in Richtung einer
rettenden Mauer. Einer von ihnen, der junge Tommy (Fionn Whitehead),
schafft es, die Mauer zu erreichen. Panisch fummelt er hinter der Mauer an
seinem Gewehr herum. Immer mehr Patronen schlagen Löcher in das Tor in der
Mauer. Die Einschläge rücken näher. Tommy flieht weiter, erreicht
schließlich eine französische Stellung. Von da an schlendert er beinahe
gemütlich in Richtung französischer Atlantikküste.
Als nach einem Weg durch die Straßen und Dünen schließlich die Weite des
Atlantikstrands vor Tommy liegt, stutzt er über die Kolonnen von Soldaten,
die sich vom Strand bis in die ersten Meter des Meeres erstrecken. Nach
einer kurzen Pause in den Dünen schlendert er den Strand entlang in
Richtung einer Mole, an deren Ende ein Schiff liegt. Da knattert über den
wartenden Kolonnen ein Motorengeräusch in der Luft. Zögerlich, dann immer
panischer lösen sich die Kolonnen auf, werfen sich Soldaten in den Sand, um
vor dem Feuer der Bordmaschinengewehre und den Bomben vergeblich Schutz zu
suchen. Bombe um Bombe rücken die Einschläge näher an Tommy heran. Je näher
sie kommen, desto erkennbarer werden die Abstände. Die nächste Bombe muss
in direkter Nähe herunterkommen. Ruhe. Die letzte Bombe ist gefallen, das
Flugzeug zieht davon.
Systematisch erzeugt Regisseur Christopher Nolan in seinem jüngsten Film
„Dunkirk“ Momente der Enge. Wieder und wieder sitzt Tommy bei seinen
Versuchen, dem Strand zu entkommen, fest. Nolan hat die Ausgangssituation
der wahren Begebenheit, auf der sein Film beruht, zum Gestaltungsprinzip
erhoben.
Im Sommer 1940 haben deutsche Truppen nach strategischen Fehlern der
französischen Armeeführung das britische Expeditionskorps und die Reste der
französischen 1. Armee an die Atlantikküste zurückgedrängt. Etwa 400.000
Soldaten sitzen am Atlantikstrand bei Dünkirchen fest. Hinter ihnen die
deutsche Armee, vor ihnen das Meer. Gelingt es den Briten nicht, möglichst
große Teile der Truppe zu evakuieren, ist der weitere Kriegsverlauf in
Frage gestellt. Im Rahmen einer Operation mit dem Codenamen „Dynamo“
gelingt es den Briten, 338.226 britische und französische Soldaten zu
evakuieren.
## Ballast symbolischer Bedeutungen
Wahre Geschichten sind trotz aller Beliebtheit eher undankbar im Kino. Für
wahre Geschichten aus Kriegen gilt das insbesondere. Die erste Leistung von
Christopher Nolans „Dunkirk“ liegt darin, den Ballast symbolischer
Bedeutungen einer zentralen Episode des Zweiten Weltkriegs in Europa hinter
sich zu lassen: Nolan verzichtet auf jede Darstellung der umfangreichen
Logistik der Operation, die etwa Alex Holmes 2004 in einer BBC-Miniserie
über die Evakuierung minutiös entfaltet hatte.
Stattdessen zerlegt er die Geschichte in ihre Handlungsräume – Land,
Wasser, Luft –, die jeweils eigene Zeitlichkeiten haben. Zugleich reduziert
er das Geschehen auf die existenzielle Erfahrung der Handelnden – neben
Tommy sind dies der Pilot Farrier (Tom Hardy) und die Besatzung des kleinen
Boots mit dem Namen „Moonstone“.
Die getrennt geführten Handlungsstränge erzeugen zunächst eine leichte
Verwirrung darüber, wie sich die verschiedenen Ereignisse zueinander
verhalten. Gerade diese Irritationsmomente lenken die Aufmerksamkeit der
Zuschauer jedoch auf die je eigenen Handlungsgesetze dieser Erzählstränge.
Die begrenzten Möglichkeiten der Soldaten am Strand, die zudem durch
deutsche Angriffe immer weiter beschränkt werden; die Mischung aus
Abenteuer und Leichtsinn, mit der die Besatzung der „Moonstone“ sich mit
einer Armada kleiner Boote auf die große Fahrt von der britischen Küste zum
anderen Ufer des Atlantiks begibt, um die Soldaten zu retten – und dabei
wirkt, als breche sie zum Segeltörn auf; Farrier und die beiden anderen
Piloten, mit denen er in drei Spitfire-Jagdflugzeugen startet, gefühlt ewig
weit fliegt, und dabei immer wieder Treibstoff sparen muss. Denn
schließlich braucht er noch Sprit für Luftkämpfe über der französischen
Küste.
Nolan hält die Handlungsstränge der Protagonisten in ihrem verschiedenen
Element anfangs getrennt und beginnt erst in der Hälfte des Films, sie
kunstvoll zu verweben. Der Anfang sorgt dafür, dass man „Dunkirk“ nicht als
Rekonstruktion einer vielleicht schon zuvor bekannten Episode aus dem
Zweiten Weltkrieg sieht, sondern als ein Setting akzeptiert, in das die
Protagonisten geworfen sind.
Christopher Nolans „Dunkirk“ erzählt die Geschichte der Evakuierung ganz
ohne den Nazikitsch und die sinnentleerte Militärbegeisterung, die viele
Filme zum Zweiten Weltkrieg prägen. Indem Nolan gegen die
Erwartungshaltungen an Kriegsfilme rebelliert und auf der
Eigengesetzlichkeit filmischen Erzählens beharrt, eröffnet er neue Zugänge
zu einem Zeitraum der Geschichte, der in der Repräsentation erstarrt ist.
26 Jul 2017
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Kriegsfilm
Actionfilm
NS-Verbrechen
Kino
## ARTIKEL ZUM THEMA
Chinesischer Kriegsfilm: Nationalistische Stimmungsmache
Die Schlacht vom Chosin-Reservoir ist in China verfilmt worden. Der
Streifen spielt Höchstgewinne ein. Und er soll das Volk patriotischer
stimmen.
Actionfilm und die US-Realität: Gegen die Zukunft
Der Action-Verwirrfilm „Tenet“ von Christopher Nolan sollte vergangenes
Jahr das Kino retten. Jetzt lehrt einen die DVD-Version das Fürchten.
Spielfilm „Der Hauptmann“ über 1945: Ein kalter Blick auf die Verrohung
Ein verstörender Actionfilm über deutsche Kriegsverbrechen im April 1945:
„Der Hauptmann“ von Robert Schwentke.
Kinofilm „Ihre beste Stunde“: Making of Weltkriegsdrama
Lone Scherfigs „Ihre beste Stunde“ zeigt anhand des „Wunders von
Dünkirchen“, wie aus Ereignissen eine Legende und dann Kino wird.
Batman-Film „The Dark Knight Rises“: Milliardär lebt prekär
Christopher Nolans „The Dark Knight Rises“ will ran an die virulenten
Bilder der gegenwärtigen Krise. Dem Zeitgeist wurde aber etwas zu eifrig
nachgeholfen.
Neuer Nolan-Film "Inception": Labyrinthische Übersicht
Christopher Nolans Thriller "Inception" bringt Ordnung in die Träume seiner
Figuren. Der Film ist ein niemals langweiliger Abenteuerspielplatz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.