Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Nolan-Film "Inception": Labyrinthische Übersicht
> Christopher Nolans Thriller "Inception" bringt Ordnung in die Träume
> seiner Figuren. Der Film ist ein niemals langweiliger
> Abenteuerspielplatz.
Bild: Dringt ins die Träume der Menschen ein: "Inception"-Held Cobb (Leonardo …
Nach innen geht der Weg in Christopher Nolans
Betriebsspionage-Science-Fiction-Thriller "Inception". Nach innen bedeutet
in diesem Fall: traumwärts. Tief ins innere Traumleben eines Mannes muss
der Held namens Cobb (Leonoardo DiCaprio) mit seinem Team dringen. Es gilt,
eine Idee dort dergestalt hineinzuschmuggeln, dass der beträumte Mann, wenn
er wach ist, diese Idee für seine ureigene hält. "Inception" ist der
technische Name für dieses Vorgehen. Übersetzt heißt das nur "Anfang", ist
aber eine raffinierte Angelegenheit: Das in der Traumheimlichkeit als
"Anfang" gesetzte Motiv wird zur viralen Ursache weitreichender Wirkungen
in der Wirklichkeit. Eingepflanzt werden soll einem Firmenerben namens
Robert Fischer die Idee, er müsse die gerade übernommene Firma, um etwas
Eigenes zu schaffen, zerschlagen. Gelingt Cobb und seinem Team die
Einpflanzung dieser Idee, dann erfüllt sich, verspricht der steinreiche
Auftraggeber und Konkurrent Fischers, Cobbs sehnlichster Traum.
Dabei ist Cobb eigentlich einer, der aus Träumen Ideen stiehlt. Zu diesem
Zweck betäubt man den zu Bestehlenden und schickt ihn in eine künstlich
erschaffene Traumwelt. Mit Tücke und Tricks knackt das Team, wenn es
gutgeht, das Geheimnis wie einen Safe. Genauer gesagt: Das innerste
Seelenleben des Menschen wird im Traum gern in Gestalt eines Safes
verbildlicht. Diese arg prosaische Buchstäblichkeit hat Methode und darum
funktioniert das umgekehrte Verfahren der "Inception" ganz ähnlich. Von den
von Sigmund Freud ausgemachten rhetorischen Grundoperationen der
Traumarbeit, Verdichtung und Verschiebung, hält Christopher Nolan nämlich
so wenig wie vom freien Flug der Einbildungskraft. Die Traumwelten des
Films sind vergleichsweise klar strukturiert, funktional, Fantasien vom
Reißbrett. Was möglich wäre, bleibt mit der aus dem Trailer bekannten
Sequenz, in der Paris zum Sandwich geklappt wird, bloße Andeutung:
verrückter wird's nicht. Höchstens, dass später mal unfahrplanmäßig die
Bahn kommt.
Gödel, Escher und Zimmer
Diese Nüchternheit muss kein Fehler sein. Christopher Nolan ist von jeher
ein Freund und Künstler nicht der frei schwingenden, sondern der fest
verstrebten kühnen Fantasiekonstruktion. In "Inception" erweitert er die
Wirklichkeit um nicht weniger als vier in die Tiefe gestaffelte
Traumwelt-Ebenen, die in einer Art struktureller Kopplung auch noch
miteinander kommunizieren. Erstaunlicherweise kriegt er es hin, dass man
dabei an keiner Stelle den Überblick verliert. Er ist fraglos ein Meister
der vernunftgeleiteten Traumarbeit.
Vergleichsweise konventionell ist dann allerdings, was sich auf den Straßen
und in den Bergen der Fantasie abspielt: Schießereien, Fluchten, bondmäßige
Action. Kaum einmal gibt die wuchtig wummernde und durchweg hoch dosierte
Musik von Hans Zimmer dabei Ruhe. Die Menschen und die Dinge geraten auf
Ebene 2 zwar ins Schweben. Auf Ebene 1 fliegt ein Kleinbus von einer
Brücke, auf Ebene 3 geht eine Lawine zu Tal, auf Ebene 4 bröckelt die
Küste. Den Boden unter den Füßen zieht einem "Inception" bei alledem
niemals weg. Das hat viel, wenn nicht alles mit der Traumarchitektur zu
tun: damit, dass die Träume strikt architektonisch gebaut sind, aber auch
mit den spezifischen architektonischen Entwürfen der Traumwelt. Das
Seelenleben von Cobb selbst ist mit dem Aufzug befahrbar. Schauplatz von
Traumebene 3 ist ein spektakulär brutalistischer Betonbau in den Bergen von
Calgary. Die Welt von Traum 4 ist ein modernistisches Hochhäuser-Stelenfeld
und noch Cobbs als Gedächtnispathologie vorzustellendes Seelenkrähwinkel
erinnert an ein Wohnhaus von Frank Lloyd Wright.
Diese Architektur erlaubt einerseits freien Durchgang für die zum
Blockbustererfolg nötige Action. Eigentlich geht es aber um etwas anderes:
Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten mit Gödel, Escher und Hans Zimmer in
der Architektur der Moderne. Was dafür noch fehlt, ist das private Trauma
des Helden: die ständige Wiederkehr seiner toten Frau Mal (Marion
Cotillard). Unkontrollierbar und bösartig spukt sie durch sämtliche
Traumebenen, von Cobbs zur Überdeutlichkeit neigendem Unbewussten selbst
jeweils hineinprojiziert. Man kann gar nicht umhin, dabei an Martin
Scorseses jüngsten Film "Shutter Island" zu denken, in dem Leonardo
DiCaprio ein Privattrauma ganz ähnlicher Machart zu be- und verarbeiten
hatte.
Scorseses Vision ist sehr viel instabiler, aber auch exzessiver und heikler
gebaut als die des besseren Handwerkers Nolan. Man kann sich streiten über
die Art, in der Scorsese den privaten Verlust seines Helden mit echten oder
falschen KZ-Erinnerungen überlagert. Fest steht jedoch: Noch das
persönlichste Schicksal scheint in "Shutter Island" von Fetzen realer
Geschichte durchdrungen, und seien sie noch so sehr deformiert. Dergleichen
kommt Christopher Nolan gleich doppelt nicht in den Sinn: weder die reale
Geschichte als solche noch gar eine Theorie ihrer Deformation im Gedächtnis
des Individuums. Mehr als oft atemberaubend gut, gewagt und gekonnt
konstruierte Rätsel- und Bastelarbeiten sind all seine Filme nicht. Die
Abgründe, die sie besitzen, verdanken sich Tapetentüren und
Theatermaschinen und niemals genuinen Ambivalenzen.
Ordnende Passkontrolle
In der Traum-Topografie, die "Inception" entwirft, geht es im Grunde vor
allem um eines, nämlich Gedanken und Dinge an ihnen zugewiesene Plätze zu
rücken: die Betrugsidee in den innersten Saferaum des Erben; die nicht
totzukriegende Tote aus dem Blickfeld des Helden; die traumtief gestapelten
Akteure zurück in die erste Klasse des Flugzeugs und die Kinder zurück in
den Kleinfamilienrestzusammenhang.
Fraglos ist dieser Film ein souverän entworfener und niemals langweiliger
Abenteuerspielplatz mit architektonisch gelungenen Blickachsen,
Wandelgängen und Bauten in Bauten. Bei näherer Betrachtung aber erweist
sich "Inception" vor allem als eines: eine gewaltig verschachtelte
Aufräumfantasie, die den Helden vom traumatisierten zum handlungsfähigen
Mann wiederherstellt.
Das wahre Emblem des Films ist deshalb die vom Architektur-Invaliden Cobb
engagierte Traumarchitektin Ariadne (Ellen Page). Den jugendlichen Übermut
des Paris-Zusammenklapp-Blödsinns lässt sie schnell wieder sein und baut
stattdessen schön ordentlich Labyrinthe. Sie ist, ihr Name sagt es, der
Faden, der Cobb aus dem Alptraum wieder herausführt. Zwar versucht das
letzte Bild des Films in einer nicht sehr konsequenten Pointe, anderes zu
insinuieren - in Wahrheit aber kommt die Geschichte schon in der
Passkontrolle davor zu sich selbst: Oberste staatliche Instanzen
beglückwünschen den Helden zur Wiederherstellung seiner Psyche. Fehlt nur
noch das "je ne regrette rien", das an anderen Stellen durch die von Hans
Zimmer hochgezogenen Lärmwände dringt.
28 Jul 2010
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Actionfilm
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Actionfilm von Christopher Nolan: Krieg der Zeiten
Vorwärts, rückwärts, Action im Quadrat: In „Tenet“ von Christopher Nolan
reisen die Protagonisten durch die Zeit und die Kugeln fliegen rückwärts.
Christopher Nolans „Dunkirk“: Rettung kommt über den Kanal
Christopher Nolan findet mit „Dunkirk“ einen eigenen Zugang zum Kriegsfilm:
Er zerlegt das Wunder von Dünkirchen in separate Handlungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.