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# taz.de -- Neuer Actionfilm von Christopher Nolan: Krieg der Zeiten
> Vorwärts, rückwärts, Action im Quadrat: In „Tenet“ von Christopher Nol…
> reisen die Protagonisten durch die Zeit und die Kugeln fliegen rückwärts.
Bild: Der Agent als Hauptfigur in „Tenet“ wird nur der „Protagonist“ (J…
Ein Konzertsaal vor Coronazeiten: Die letzten Besucher_innen füllen die
verbliebenen Plätze in den bereits gut gefüllten Reihen, der Dirigent
klopft mit dem Taktstock auf sein Pult. Doch statt der ersten Takte des
Konzerts erfüllt der Knall einer Explosion den Raum, Bewaffnete stürmen von
allen Seiten in den Saal und schießen um sich.
Später im Film wird man sich als Zuschauer wiederholt fragen, ob das, was
man zu Beginn von Christopher Nolans Film „Tenet“ sieht, auch der Anfang
der Geschichte ist. Bei der Schießerei in der Kiewer Oper kämpfen diverse
Fraktionen von Bewaffneten um unterschiedliche Dinge. Ein geheimnisvolles
Metallobjekt soll erobert werden, ein Informant befreit – was Ereignis ist
und was Deckungsmanöver, ist unklar. Das Chaos zu Beginn von „Tenet“ ist
der Auftakt zu einem fulminanten Actionfilm.
Die Befreiung des Informanten gelingt, doch ein Teil des Teams wird
geschnappt. Nur einer aus dem Team überlebt, wird außer Landes gebracht und
bekommt ein einziges Wort als Ausgangspunkt für die nächste Mission:
„Tenet“. Der namenlose Protagonist wird auf einer Windkraftanlage auf dem
Meer ausgesetzt, um ihn unauffällig wieder ins Spiel zu bringen. Mit einem
Wartungsschiff kehrt er an Land zurück und verfolgt ab dann die Spur einer
Munition, die sich rückwärts durch die Zeit bewegt. Die Kugeln fliegen aus
den Einschusslöchern einer Wand, die sich hinter den Kugeln wieder
schließen. Dieser Filmtrick, die Aufnahmen rückwärts abzuspielen, ist mit
einigem theoretischen Überbau, die Grundlage von Nolans Film.
## Mit den Augen rollen
Der Spur der Munition folgend reist der Protagonist um die ganze Welt,
stößt auf einen russischen Superschurken und nimmt den Kampf für die
Rettung der Welt auf.
Man mag nun mit den Augen rollen: Christopher Nolan und komplexe
Zeitstrukturen. Spätestens seit [1][Nolan vor zehn Jahren „Inception“]
drehte, ist sein Name untrennbar verbunden mit einem erzählerischen Spiel
im Umgang mit der Zeit. Das ist auch bei „Tenet“ der Fall. Schon der Titel
„Tenet“ (deutsch: Lehrsatz, Theorem) verweist auf eine Strukturspielerei,
das sogenannten Sator-Quadrat: Das Quadrat ist aufgebaut wie ein
Meta-Palindrom, bei dem sich nicht nur jedes Wort für sich sowohl vorwärts
wie rückwärts lesen lässt, sondern die Wörter ihrerseits einen Satz bilden,
der von allen Ecken des Quadrats aus lesbar ist.
Bei [2][Nolans „Batman“-Filmen] stand die Vorliebe für komplexe Strukturen
der Action nicht selten im Wege und je nach Vorlieben konnte man die Filme
deswegen mögen oder auch nicht. Auch bei „Tenet“ ist die Struktur
ausgetüftelt, die Palindromstruktur zieht sich durch den Film und taucht
bisweilen in Details erneut auf. Am Ende des Films weiß man nicht, an
welcher Stelle der Erzählung der Film begonnen hat.
Dass „Tenet“ unbedingt sehenswert ist, hat andere Gründe: Einerseits wird
Nolans Film mit seinem Kampf der Gegenwart gegen die Zukunft, um eine
Zukunft zu haben, mit der aktuellen Pandemie im Hinterkopf mit einer
weiteren Bedeutungsebene aufgeladen. Wenn die Protagonisten des Films
schließlich selbst beginnen, durch die Zeit zu reisen, um Ereignisse zu
verhindern, lässt sich konstatieren: there is glory in prevention.
Andererseits hat Nolan aus der politischen Schelte, die er vor drei Jahren
für sein Zweiter-Weltkriegs-Drama „Dunkirk“ bezogen hat, gelernt.
[3][„Dunkirk“ wurde zu Recht vorgeworfen], bei der Rettung britischer
Soldaten, die an der französischen Atlantikküste eingeschlossen waren,
indische Einheiten weggelassen zu haben.
## Auf den Kinostart gewartet
„Tenet“ lässt den schwarzen Protagonisten (John David Washington) zu Beginn
des Films den ganzen Rassismus britischer Eliteclubs und ihrer imperialen
Geschichte erfahren, als er zum Lunch mit einem Kenner des britischen
[4][Geheimdienstes (Michael Caine)] verabredet ist. Der Kellner mustert den
Protagonisten missbilligend und „Sir Michael“ beginnt schon einmal ohne
sein Gegenüber mit dem Essen. Auch jenseits des Protagonisten ist der Cast
der globalen Handlung angemessen unweiß besetzt; so sehr, dass Kenneth
Branaghs Verkörperung des russischen Superschurken mit kehligem Akzent und
beständig heiserer Stimmlage ungut aufstößt.
Nolans „Tenet“ ist ein rundum gelungener Actionfilm. Wie immer bei Nolan
ist der Film schon in der Produktion auf das Kino als primärem
Vorführungsort angelegt. Nolan hat beständig seine Zustimmung verweigert,
den Film als Streamingangebot zu starten und darauf beharrt, den Film in
den Kinos zu starten. Die zeitliche Verzögerung hat er dabei in Kauf
genommen. Neben der digitalen Fassung existieren auch 70-mm-Kopien des
Films, die das Erlebnis der Bilder und vor allem der ausgetüftelten Tonspur
noch einmal steigern. „Tenet“ markiert die Rückkehr des großen Kinos –
bleibt abzuwarten, für wie lange.
27 Aug 2020
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## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Actionfilm
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