# taz.de -- Kinofilm „Ihre beste Stunde“: Making of Weltkriegsdrama | |
> Lone Scherfigs „Ihre beste Stunde“ zeigt anhand des „Wunders von | |
> Dünkirchen“, wie aus Ereignissen eine Legende und dann Kino wird. | |
Bild: Kino im Kino: Catrin Cole (Gemma Arterton) guckt ihren Film „The Nancy … | |
Manche Dinge verstehen sich von selbst: „Natürlich können wir Ihnen nicht | |
das Gleiche zahlen wie den Jungs“, sagt ein Staatsbeamter in Lone Scherfigs | |
„Ihre beste Stunde“ zu einer jungen Drehbuchschreiberin. Aber „natürlich… | |
handelt es sich hier um einen Historienfilm, denn diese Art von | |
selbstverständlicher Ungerechtigkeit gibt es heute ja nicht mehr – und wenn | |
doch, würde man sich wohl keineswegs so freizügig dazu bekennen, oder? | |
Scherfigs Film spielt im Großbritannien des Jahres 1940, aber in seinen | |
absichtlich in gedeckten Farben gehaltenen Kostümen und Kulissen versteckt | |
sich ein erstaunlich bunter Film, der ganz verschiedene Tonarten und Themen | |
mixt. Weibliche Emanzipation ist davon nur eines. | |
Gemma Arterton spielt Catrin Cole, eine junge Frau, die im schwer unter den | |
Luftangriffen der Deutschen leidenden London mit dem Texten für | |
Aufklärungsfilme das Geld für sich und ihren düsteren Künstlergatten (Jack | |
Huston) verdient. | |
Ihre große Chance kommt, als das „Ministerium für Information“ zur Stärk… | |
der Kriegsmoral einen Film über das „Wunder von Dünkirchen“ in Auftrag gi… | |
und man sie engagiert, um den dafür notwendigen „Frauenkram“, von den | |
Beteiligten abfällig „slop“ (Schmalz) genannt, zu schreiben. | |
## „Workplace Comedy“ | |
Immerhin sieht man(n) ein, dass Frauen einen nicht unerheblichen Teil der | |
Zivilbevölkerung bilden, allerdings sieht sich die ansonsten fast | |
ausschließlich männliche Belegschaft der Filmproduktion nicht in der Lage, | |
die Wünsche eines weiblichen Publikums angemessen zu vertreten. Was sie | |
bezeichnenderweise weniger als ihre Unfähigkeit denn als unter ihrer Würde | |
begreift. | |
In seiner Anfangsphase folgt „Ihre beste Stunde“ dem Genremuster einer | |
„Workplace Comedy“, in der verschiedene Charaktere mit ihren Eigenheiten | |
wieder und wieder aufeinandertreffen. Da gibt es die steifen Herren des | |
Informationsministeriums – angeführt vom stets distinguiert blickenden | |
Richard E. Grant –, die mit immer neuen Anforderungen ankommen: Der Film | |
soll für gute Stimmung sorgen, aber auch den amerikanischen Kriegseintritt | |
befördern. | |
Es gibt das Schreiberteam um Catrin Cole herum, in dem ihre scharfzüngigen | |
und bald von romantischen Gefühlen in Spannung versetzten Rededuelle mit | |
dem hochnäsigen Kollegen Tom Buckley (Sam Claflin) von einem | |
ewig-skeptischen Sidekick namens Raymon Parfitt (Paul Ritter) untermalt | |
werden. | |
Und es gibt den alternden Star, der nicht recht einsieht, dass seine Zeit | |
vorbei sein soll, von Bill Nighy mit so herrlich brüchigem Charme gespielt, | |
dass man streckenweise vergisst, dass sowohl Nighy als auch sein Alter Ego | |
im Film mit dem leicht lächerlichen Namen Ambrose Hilliard eigentlich nur | |
Nebendarsteller sind. | |
Und gerade, wenn man sich fragt, ob Scherfig diesen Stoff nicht besser | |
gleich in Serienform verwandelt hätte, nimmt der Film Fahrt auf und wird | |
doch noch ganz Kino: Geschlechterkomödie und Romanze, Kriegs- und | |
Propagandasatire, in erster Linie aber eine liebevoll-selbstironische | |
Hommage an das kollektive Basteln, das über unzählige Einzeleinfälle und | |
Einzelbeiträge wie durch ein Wunder schließlich einen geschlossenen Film | |
hervorbringt. | |
## Vorspiel für Christopher Nolan | |
Als zusätzliche Ironie des Deutschlandstarts – der Film feierte seine | |
Premiere letztes Jahr in Toronto – erscheint, dass „Ihre beste Stunde“ | |
davon handelt, wie die historischen Ereignissen rund um die „Operation | |
Dynamo“ in Dünkirchen 1940 für die Leinwand adaptiert werden und mit | |
Christopher Nolans „Dunkirk“ in drei Wochen gewissermaßen das moderne, als | |
großer Blockbuster angelegte Gegenstück dazu herauskommt. | |
Mit seinem humoristischen Blick darauf, wie aus Ereignissen Legende und | |
dann ein Stück Kino wird, bildet „Ihre beste Stunde“ eine Vorbereitung der | |
ganz eigenen Art auf Nolans angekündigtes „Kriegsabenteuer“. | |
Beruhend auf einem Roman von Lissa Evans entlarvt Lone Scherfigs Film wie | |
nebenbei nämlich das Drehbuchschreiben als experimentelle Collage der | |
Wirklichkeit. Am Anfang reist Catrin zur Recherche an die englische | |
Südküste. | |
Eine Zeitung hatte auf die „Heldentat“ zweier Schwestern, Lily und Rose, | |
hingewiesen, die – wie es damals unzählige private Boote in England taten – | |
mit dem Boot ihres Vaters losgeschippert waren, um den Soldaten auf der | |
anderen Seite des Kanals aus der Bredouille zu helfen. | |
Was zunächst wie eine Steilvorlage für einen die Kriegsmoral stärkenden | |
Propagandafilm klang, entpuppt sich bei Catrins Nachfragen fast als | |
untauglich. Die Schwestern selbst stellen sich als schüchtern und | |
provinziell heraus, das Boot haben sie ihrem betrunkenen Vater heimlich | |
entwendet – und bis Dünkirchen sind sie damit gar nicht erst gekommen. | |
Aber Catrins Schreibertalent wird sich bald darin zeigen, dass sie das | |
unstimmige große Ganze in den Hintergrund drängen kann und sich stattdessen | |
von den Details inspirieren lässt: vom Versagen des Motors und der Rettung | |
eines Hundes, vom trunkenen Vater und von einem jungen Mann, der Rose einen | |
Kuss stahl. | |
Wie sehr die Wirklichkeit von der fürs Drehbuch benötigten Fassung | |
abweicht, hängt Catrin denn auch nicht an die große Glocke. Die leicht | |
abgeänderten Details wie der gerettete Hund, der Kuss und der Trinkervater, | |
aus dem ein trinkender Onkel (weniger störend für das traditionelle | |
Familienbild!) wird, bilden bald das auf Zetteln notierte Skelett der | |
Drehbucherzählung. Der Plot ist sowieso nur das, womit das Dazwischen | |
gefüllt wird. | |
Durchaus satirisch hebt Scherfig darauf ab, wie ideologisch flexibel und | |
konformistisch das Filmemachen auch sein kann, zumal in Kriegszeiten. Die | |
immer neuen Ansprüche des Informationsministeriums werden von den | |
„Kreativen“ zwar meist feindselig aufgenommen, aber dann doch mit | |
professioneller Verve umgesetzt. | |
Etwa als plötzlich ein amerikanischer Soldat (verkörpert von Jake Lacy) | |
mitspielen soll: Wie kann man dessen Anwesenheit in Dünkirchen im Mai 1940 | |
einigermaßen sinnvoll begründen? Von der sonnig-blonden Gestalt des | |
Laienschauspielers, der die Rolle übernimmt, sind alle begeistert – bis zum | |
Dreh seiner ersten Szene, bei dem sich so plötzlich wie urkomisch zeigt, | |
warum es so etwas wie einen „Screentest“ gibt. | |
Als Running Gag funktioniert auch die ständige Umbewertung der Rolle des | |
trinkenden Onkels: zuerst als „comic relief“ geplant, gelingt es Nighys | |
alterndem Star durch unablässiges Betreiben hinter den Kulissen den Part | |
Zug um Zug zu vergrößern – bis er schließlich mit eigenem Monolog einen | |
waschechten Heldentod sterben darf. Und dann ist da noch der Plotpoint mit | |
dem versagenden Motor – bald das einzige Detail aus Lilys und Roses | |
Ursprungsgeschichte, das noch stimmt. | |
In den immer neu sich anpassenden Varianten ist es abwechselnd mal der | |
fiktiv gerettete englische Soldat Johnny, dann der ebenso fiktive | |
Amerikaner oder der kaum mehr trinkende Onkel, der in die kalten Fluten | |
steigt, um den Propeller frei zu bekommen. Catrin aber kämpft darum, | |
wenigstens dieses Detail an ihre inzwischen fast zur Untätigkeit verdammten | |
weiblichen Ursprungsheldinnen zurückzugeben: Könnte nicht mal Lily den | |
Propeller reparieren? | |
## Lakonie und Spitzzüngigkeit | |
So sehr das Drehbuchschreiben auf diese Weise durch die Mangel gedreht und | |
eben nicht als hohe Kunst, sondern als gekonntes Flickwerk enttarnt wird, | |
so vollendet geschliffen kommt gleichzeitig das Drehbuch zu „Ihre beste | |
Stunde“ daher. | |
Zwar passiert ihm etwas Ähnliches wie dem Film-im-Film-Szenario – in der | |
Fülle der starken Nebenfiguren gerät ihm seine zentrale Heldin mehr und | |
mehr aus dem Blick. Aber die Lakonie und Spitzzüngigkeit der Sprache und | |
das Spielerische der Handlung wiegen die dröge Ausstattung und allzu | |
melodramatischen Kurven des Schlusses um Längen wieder auf. | |
Den Hollywood-Selbstbespiegelungswerken der vergangenen Jahre wie „The | |
Artist“, „Birdman“ und „La La Land“ hat „Ihre beste Stunde“ in je… | |
eines voraus: den Sinn fürs Kollektiv. | |
6 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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