# taz.de -- Front National im Spielfilm: Nordfranzösische Stadttristesse | |
> Das Politdrama „Das ist unser Land!“ erzählt von der Neuerfindung des | |
> Front National unter Marine Le Pen. Dabei fehlt der Diskurs. | |
Bild: Catherine Jacob als rechte Parteichefin in „Das ist unser Land!“ | |
Einen Film über die politischen Methoden der AFD kann man sich hierzulande | |
wenn, dann nur als Satire vorstellen. Wie überhaupt das deutsche Kino die | |
Neigung hat, zu politischen Problemen auf Distanz zu gehen. Entweder man | |
macht sie als Komödienplot verdaulich („Willkommen bei den Hartmanns“) oder | |
verhandelt sie auf der Ebene von Kunst und Metapher („Unter dir die | |
Stadt“). Französische Filmemacher zeigen da wesentlich weniger | |
Berührungsängste. | |
So gab es mehrere Filme über Mitterrand und Sarkozy, über Aufstieg und Fall | |
eines Verkehrsministers („Der Aufsteiger“, 2011), und nun gibt es mit „Das | |
ist unser Land!“ gar einen über den Front National und seine Neuerfindung | |
unter Marine Le Pen. Die politische Sphäre wird als Dramastoff jenseits des | |
Politthrillers entdeckt. | |
Als Inspiration für sein Drehbuch diente dem belgischen Regisseur Lucas | |
Belvaux der Roman „Der Block“ von Jérôme Leroy. Darin geht es um eine | |
rechte Partei, die von der Tochter des ehemaligen Parteiführers vom | |
rassistischen Image befreit wird. Diese Agnès Dorgelles, von Catherine | |
Jacob gespielt, ist im Film aber nur eine Nebenfigur. | |
Im Zentrum von „Das ist unser Land!“ steht die Krankenpflegerin Pauline | |
(Émilie Dequenne), eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die auf | |
Hausbesuchen die tristen Viertel ihrer nordfranzösischen Heimatstadt | |
abklappert. Außer der Zuwendung zu ihrer Familie und ihren Patienten | |
scheint sie keine Weltanschauung zu hegen. Bei Härtefällen ruft Pauline | |
Doktor Berthier (André Dussollier) zuhilfe, der sie eines Tages dazu | |
auffordert, doch bei den Kommunalwahlen anzutreten. Für seine Partei, | |
versteht sich, die „Nationale Volksbewegung“. | |
Schon bald bemüht sich die Parteivorsitzende Agnès höchstpersönlich um | |
Pauline. Deren Ansprachen bringen für die unpolitische Pauline das in ihrer | |
Umgebung vorherrschende Gefühl auf den Punkt, von der „etablierten“ Politik | |
im Stich gelassen zu werden. Nach einigem Zögern – erstens ist Pauline sehr | |
beschäftigt, zweitens ist ihr Vater Kommunist – lässt sie sich zur | |
Kandidatur breitschlagen. Dann gibt es da noch einen neuen Mann (Guillaume | |
Gouix) in ihrem Leben – auch der verortet sich politisch rechts. Dass sie | |
instrumentalisiert wird, muss Pauline erst noch entdecken. | |
## Zwiespältige Gefühle | |
„Das ist unser Land!“ ist ein Film, der zwiespältige Gefühle auslöst und | |
das auch will. Einerseits erfüllt er das Bedürfnis nach der Widerspiegelung | |
von aktuellen Ereignissen auf der Leinwand, nach einer Kinoerzählung, die | |
mit ihren Mitteln Aufschluss geben kann zum Phänomen des Front National | |
oder für das, weshalb so viele Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ lesen: | |
Wie kommt es, dass dort, wo früher mehrheitlich kommunistisch gewählt | |
wurde, sich nun der FN als Anwalt der kleinen Leute verkauft? | |
Was Belvaux’ Film gut abbildet, sind die effektiven Sprachregelungen, die | |
die „neue“ politische Rechte findet, um einer breiteren Masse schmeicheln | |
zu können. Natürlich sagt niemand mehr Neger oder Kanake, ist doch subtile | |
Ausgrenzung von „Parallelgesellschaften“ viel wirkungsvoller. Gegen IS und | |
Fundamentalisten ist dafür alles erlaubt. | |
So treffend die Typologisierungen sind, so steif geraten dem Film die | |
einzelnen Figuren. Pauline ist eine fast schon unglaubwürdig naive Person; | |
ihre Freundin lebt allzu durchsichtig persönliche Frustrationen im | |
Fremdenhass aus, und deren Sohn ist wiederum die Karikatur des Nerds, der | |
in langen Nächten vor dem Computer hetzerische YouTube-Videos produziert. | |
Trotz gut in Szene gesetzter nordfranzösischer Stadttristesse findet | |
Belvaux keine Bilder für den kulturellen Nährboden seiner Filmfiguren. Vor | |
allem aber fehlt die Ebene des Diskurses: Niemand argumentiert, selbst der | |
Kommunistenvater nicht. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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