# taz.de -- Lesungen im Norden: Aus dem Inneren der Bestie | |
> In seinem Krimi „Der Block“ spielt Jérôme Leroy durch, wie in Frankreich | |
> die extreme Rechte an die Macht gekommen ist. Nun erscheint das Buch auf | |
> Deutsch. | |
Bild: Die besondere Perspektive: Jérôme Leroy engagiert sich gegen Rechtspopu… | |
Monatelang kommt es zu Unruhen in französischen Vorstädten, Hunderte | |
Menschen sind bereits zu Tode gekommen, und weder Politik noch Polizei | |
bekommen die Lage in den Griff. Dann sieht die Regierung in Jérôme Leroys | |
Thriller „Der Block“ nur noch eine Lösung: Die faschistische Partei „Bloc | |
patriotique“ bekommt zehn Ministerien zugesprochen, um mit ihren | |
paramilitärischen Truppen den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. | |
Leroy erzählt die Nacht vor der Verkündung der Kapitulation der | |
demokratischen Ordnung aus der Sicht von Antoine Maynard, Ehemann der | |
Parteivorsitzenden, und seinem Weggefährten Stanko, einem brutalen | |
Proleten, der im Zuge der Etablierung der Partei nun aus dem Weg geräumt | |
werden soll. Maynard in seiner Luxuswohnung und Stanko in einem abgeranzten | |
Hotelzimmer rekapitulieren in dieser Nacht den Aufstieg der Partei über die | |
vergangenen 25 Jahre. Ihren Aufstieg Anfang der 70er-Jahre mithilfe eines | |
charismatischen Vorsitzenden, der es geschafft hat, die verfeindeten | |
faschistischen Splittergruppen zu vereinen und die extreme Rechte | |
gesellschaftsfähig zu machen. Die Parallelen zu Jean-Marine Le Pen, seiner | |
Tochter Marine und dem Front National sind eindeutig. | |
Fast könnte man meinen, Leroy habe mit „Der Block“ den Gegenentwurf zu | |
Michel Houllebecqs Bestseller „Unterwerfung“ geschrieben. Nur ist es hier | |
nicht der Islam, sondern der Faschismus, der die bürgerlich-liberale | |
Gesellschaft überrollt. „In meinen Augen sind es zwei Seiten derselben | |
Realität“, sagt Leroy, „auch wenn ich denke, dass Frankreich stärker durch | |
den Anstieg des Populismus bedroht wird als durch den Islamismus.“ Es sei | |
bequem, den Islamismus zum Feind zu machen, findet er, weil das verhindere, | |
sich damit zu beschäftigen, was im Kern unserer Gesellschaft nicht stimme. | |
„Selbst wenn Marine Le Pen sich am Ende geschlagen geben musste: Sie hat | |
elf Millionen Stimmen bekommen, so viel Zustimmung hatte der Front National | |
in seiner ganzen Geschichte noch nicht“, sagt Leroy. Und zweifelt daran, | |
dass Macron die Beseitigung der sozialen Ungleichheit in den Griff bekommt | |
– die Gefahr einer Präsidentschaft der extremen Rechten hält er für alles | |
andere als gebannt. | |
„Der Block“ ist der erste Roman des ehemaligen Französischlehrers, der ins | |
Deutsche übersetzt wurde. Er führte im April die Krimibestenliste an. | |
Ähnlich wie Didier Eribons Essay „Rückkehr nach Reims“, in dem der | |
Soziologieprofessor beschreibt, wie seine proletarischen Eltern, ehemals | |
treue Sozialisten, zum Front National übergewechselt sind, ist auch „Der | |
Block“ mit einigen Jahren Verzögerung auf dem deutschen Markt | |
veröffentlicht worden. | |
Leroy wohnt in der nordfranzösischen Industriestadt Lille, wo im ersten | |
Wahlgang 45 Prozent der Wähler für Le Pen gestimmt hatten. Er ist ein | |
begeisterter Vertreter des Roman noir, einer speziell in Frankreich | |
kultivierten Untergattung des Kriminalromans, die sich am Film Noir | |
orientiert und sich seit den späten 1970er-Jahren verstärkt politischen | |
Themen zugewandt hat. | |
„Mir fällt kein geeigneteres Genre als der Roman noir ein, um über dieses | |
Thema zu schreiben“, sagt Leroy. Ihm sei wichtig gewesen, Rechtspopulismus | |
aus der Innenperspektive zu beschreiben und sich selbst eines Urteils zu | |
enthalten. Antoine Maynard und Stanko sprechen zu lassen, habe ihm erlaubt, | |
nicht in die Falle des guten Gewissens zu tappen. „Es ist zu einfach, zu | |
sagen: Wir, die aufgeklärten linken Demokraten, sind die Guten, und die | |
Rechten sind die Bösen.“ | |
Leroys Erzählweise ist verführerisch und spannend. Man beginnt, mit Antoine | |
Maynard und Stanko mitzufiebern, um gleich darauf wieder zurückzuschrecken | |
vor der Brutalität und dem Zynismus der Parallelwelt der Rechten, die sich | |
ihren Weg in die vom Einsturz bedrohte Zivilisation bahnt. Leroy selbst ist | |
seit Langem antifaschistisch engagiert und hat den Aufstieg der Rechten aus | |
der Perspektive des politischen Gegners erlebt. „Für mich hat das Schreiben | |
bedeutet, einem Albtraum den Teufel auszutreiben“, sagt er. | |
Die Ausschreitungen, die er beschreibt, erinnern – mit dem entscheidenden | |
Unterschied, dass es hier keine Toten gab – an die Ausbrüche in Hamburg | |
während des G20-Gipfels, die anscheinend nicht nur von Autonomen, sondern | |
auch von rechten Gruppen gezielt provoziert wurden. „Aber die Wut, die in | |
Hamburg ausgebrochen ist, hat sich punktuell auf ein politisches Ereignis | |
konzentriert“, meint Leroy. „Ich habe beim Schreiben an die | |
Ausschreitungen in den Banlieues 2005 gedacht, die keinen präzisen | |
politischen Grund hatten.“ | |
Nach dem Unfalltod zweier migrantischer Jugendlicher auf der Flucht vor der | |
Polizei kam es in Pariser Vororten zu monatelangen Randalen. „Das hat | |
gezeigt, in was für einem Zustand der Anspannung und unterschwelligen | |
Brutalität die französische Gesellschaft gewesen ist, immer kurz vorm | |
Gewaltausbruch“, ist Leroy überzeugt. „Die Situation, die ich in ‚Der | |
Block‘ beschreibe, ist die von 2005 – wenn sie richtig schlecht ausgegangen | |
wäre.“ | |
Es ist kein Zufall, dass viele Figuren Leroys aus dem paramilitärischen | |
Zweig des „Bloc patriotique“ vom Balkan kommen. „Einmal ist das Verhältn… | |
der französischen Rechten zum Balkan aus historischen Gründen interessant, | |
weil die katholischen Ultras während des Balkankonflikts auf Seiten der | |
Kroaten standen und die meisten anderen auf der Seite der Serben“, erklärt | |
Leroy. Aber es sei auch eine Parabel darauf, wie schnell wir vergessen | |
hätten, dass in unserer Nachbarschaft vor nicht allzu langer Zeit ein | |
westliches, modernes Land über ethnische und Identitätskonflikte in einen | |
zerstörerischen Bürgerkrieg geraten sei. | |
Als „Der Block“ im Jahr 2011 erschien, wollte der belgische Regisseur Lucas | |
Belvaux den Roman verfilmen, was aber aus finanziellen Gründen scheiterte. | |
Vier Jahre später beschlossen Belvaux und Leroy, die Geschichte des | |
„Blocks“ aus einer anderen Perspektive zu erzählen: „Chez nous“, der u… | |
dem Titel „Das ist unser Land“ am 24. Oktober in die Kinos kommt, erzählt | |
die Geschichte der Krankenschwester Pauline. Die lässt sich, frustriert von | |
den sozialen Missständen, mit denen sie täglich konfrontiert wird, von den | |
populistischen Versprechen des „Bloc patriotique“ verführen und | |
manipulieren. „Wir wollten weitergehen und die aktuellen Entwicklungen des | |
Rechtsextremismus beschreiben“, sagt Leroy. „Die Banalisierung des | |
Rechtsextremismus: Da, wo ich wohne, kann im Prinzip jeder Wähler des Front | |
National sein. Diese Leute sehen sich noch nicht einmal als Rassisten, sie | |
sehen für sich einfach nur keine andere politische Lösung.“ | |
Überzeugte Faschisten wie Antoine Maynard oder Stanko gebe es immer, aber | |
nun drohe die Bewegung, auf die Masse überzuschwappen: „Die Banalisierung | |
des Faschismus ist noch beängstigender als die Brutalität einer | |
faschistischen Minderheit.“ | |
Jérôme Leroy: „Der Block“, Edition Nautilus 2017, 320 S., 19,90 Euro | |
Lesung und Gespräch mit Jérôme Leroy in Hamburg: Mi, 30. 8., 20 Uhr, | |
Buchladen in der Osterstraße; Kiel: Mo, 4. 9., 20 Uhr, Centre Culturel | |
Français; Bad Bevensen: Di, 5. 9., 19.30 Uhr, Buchhandlung Patz | |
30 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
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