# taz.de -- Gerichtsdrama um Holocaustleugnung: Argumente sind wie Wachposten | |
> Der Kinofilm „Verleugnung“ ist ein Plädoyer für die Wahrheit in Zeiten | |
> von Fake News. Er basiert auf echten Begebenheiten. | |
Bild: Hat Grund zum grimmig Gucken: Deborah Lippstadt (Rachel Weisz) im Kampf g… | |
Man kommt sich dieser Tage unglaublich alt vor, wenn man daran erinnert, | |
dass in den 90er Jahren das Internet noch mit aufklärerischer Verheißung | |
verbunden war. Spätestens im Nachklang von 9/11 wurde man eines Besseren | |
belehrt, mit Videos, die auf einen dunklen Fleck auf grobkörnigen Fotos vom | |
Ground Zero zoomten und über Fragen wie „Was wird hier verheimlicht?“ zu | |
„parallelen“ Wahrheiten gelangten. Wenig überraschend war, dass deren | |
Konstante meist die Verstrickung der CIA war. Verblüffen konnte dagegen, | |
wie schnell man sich in Erklärungsnot gebracht sah, obwohl man doch | |
glaubte, Bescheid zu wissen. | |
Das Zoomen auf „unerklärliche“ Details ist ein Verfahren, das | |
Holocaustleugnern schon vor der digitalen Revolution vertraut war. Die | |
amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt hat in ihrem 1993 erschienenen | |
Buch „Denying the Holocaust“ deren Strategien zusammengefasst und jede | |
Menge Namen genannt. Unter anderen den von David Irving, seines Zeichens | |
„britischer Journalist, Autor historischer Bücher, Geschichtsrevisionist | |
und Holocaustleugner“ (so sein Wikipedia-Eintrag). | |
Irving klagte Lipstadt 1996 wegen Verleumdung an, und zwar in | |
Großbritannien, dessen Gesetze es vorsehen, dass im Verleumdungsfall die | |
Beweispflicht beim Angeklagten liegt. Nun mussten Lipstadts Anwälte | |
nachweisen, dass etwa, anders als von Irving behauptet, die Gaskammern in | |
Auschwitz tatsächlich zur Tötung von Menschen eingesetzt wurden. Lipstadt | |
schrieb später ein Buch über ihren „Day in Court“. Der britische | |
TV-Movie-Veteran Mick Jackson hat den Fall nun nach einem Drehbuch von | |
David Hare verfilmt. Es geht auf das Konto der Letztgenannten, dass | |
„Verleugnung“ als Film eher schwerfällig daherkommt. | |
Aber sein Thema erweist sich als geradezu elektrisierend aktuell. | |
„Verleugnung“ ist ein Plädoyer nicht nur für das bessere, sondern auch das | |
vernünftig vorgetragene Argument. Daraus bezieht er seine Spannung und | |
seine Aktualität. Der Film rückt ins Bewusstsein, wie essenziell es ist, | |
eine Antwort zu wissen, wenn jemand etwa behauptet, dass die | |
Zyklon-B-Konzentration in den Trümmern der Entlausungskammer von Ausschwitz | |
viel höher war als in den „angeblichen“ Gaskammern. | |
Wo Lipstadt (gespielt von Rachel Weisz) zu Beginn noch glaubt, der Fall | |
erfordere, große Reden zu schwingen und den Opfern eine Stimme zu | |
verleihen, muss sie sich beherrschen lernen, was der Film einige Male zu | |
oft in den emotionalen Fokus rückt. Tatsächlich wünscht man sich, die | |
Inszenierung würde ihren Figuren erlauben, weniger zu fühlen und mehr zu | |
debattieren. | |
Sowohl John Wilkinson, der Lipstadts Anwalt spielt, als auch Timothy Spall | |
in der Rolle von Irving und Andrew Scott als Promi-Anwalt bringen sich | |
dafür ideal in Stellung: Wilkinson mit gezielter Arroganz, Spall mit | |
teuflisch-kindlichem Charme und Scott mit der erfrischenden Wirkung eines | |
kalten Waschlappens. Aus ihrer Konstellation begreift man, dass Argumente | |
etwas von Wachposten haben, die man nicht zu lang unbemannt lassen sollte. | |
Und dass man sich mit Gegenargumenten vertraut machen muss, auch wenn sie | |
einem noch so widerstreben. | |
„Verleugnung“. Regie: Mick Jackson. Mit Rachel Weisz, Timothy Spall u. a. | |
USA/Großbritannien, 110 Min. | |
12 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
## TAGS | |
Film | |
Prozess | |
Holocaust-Leugner | |
Spielfilm | |
Actionfilm | |
Mein Kampf | |
Neue Rechte | |
Ursula Haverbeck | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Front National im Spielfilm: Nordfranzösische Stadttristesse | |
Das Politdrama „Das ist unser Land!“ erzählt von der Neuerfindung des Front | |
National unter Marine Le Pen. Dabei fehlt der Diskurs. | |
Actionfilm „Baby Driver“: Reifen quietschen im Rhythmus | |
Edgar Wrights Spielfilm „Baby Driver“ überzeugt mit einer präzisen | |
Verquickung von Soundtrack, Rhythmus und Action. | |
Jurist über Nachdruck von „Mein Kampf“: „Hier testet jemand Grenzen aus�… | |
Darf man Hitlers „Mein Kampf“ unkommentiert verlegen? Drei Fragen an | |
Christian Bickenbach, Juraprofessor an der Uni Potsdam | |
Rechtsextremistische „Traditionspflege“: Fahrt ins Braune | |
Die Anhänger des Jugendbundes Sturmvogel verharmlosen ihre rechtsextremen | |
Wurzeln, man pflege nur deutsche Traditionen. | |
Der Fall Ursula Haverbeck: Erneut Haft für Holocaust-Leugnerin | |
Ein Gericht hat Ursula Haverbeck zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Den | |
Prozess nutzten ihre Gesinnungsfreunde für rechte Propaganda. |