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# taz.de -- Rechtsextremistische „Traditionspflege“: Fahrt ins Braune
> Die Anhänger des Jugendbundes Sturmvogel verharmlosen ihre rechtsextremen
> Wurzeln, man pflege nur deutsche Traditionen.
Bild: Erzogen in einem Jugendbund? Teilnehmer einer Nazi-Demo
HAMBURG taz |„Dat du min Leevsten büst, datt du woll weeß.“ So klingt es
aus dem Off. Die Hamburgfahne weht im Wind. Die Kamera schwenkt über die
Elbe zu einer singenden Gruppe in Trachten, sie tanzen begleitet von
Akkordeon und Geige. Passanten applaudieren den jungen Frauen und Männern
an den Landungsbrücken. Vielleicht glaubten sie einer touristischen
Attraktion beizuwohnen. Aber dieses traditionelle norddeutsche Liedgut samt
Tanz führten an diesem Tag Mitglieder der Identitären Bewegung vor. Jener
neurechten Bewegung, die sich sonst betont trendig gibt und sich von der
alt-völkischen Szene der Bundesrepublik abgrenzt. Am Ende des Videos wird
die Parole eingeblendet: „Wehrt euch und werdet aktiv. Komm in die Bewegung
– Identitäre Bewegung.“
Mit diesem Video wirbt die Identitäre Bewegung (IB) auf der Facebook-Seite
ihres Hamburger Ablegers für sich. „Du suchst Gemeinschaft abseits des
Mainstreams? Dann komm zu uns“, heißt es dort. Abseits des Mainstreams
meint hier: politisch ganz weit rechts. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
beobachtet die neurechte Identitäre Bewegung seit August 2016.
Fotos von Treffen und Fahrten des deutschen Jugendbundes Sturmvogel (SV),
dessen Wurzeln in der rechtsextremen und 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ)
liegen, belegen jetzt personelle Überschneidungen mit der IB. Und sie
zeigen, dass die IB doch mit traditionalistisch-bündischen Gruppen
zusammenhängt. So singt in dem IB-Video an den Landungsbrücken Irmhild
Sawallisch aus Stade. Sawallisch nahm auch schon an einer Aktion der
„Identitären Mädels und Frauen“ in Hamburg teil. Auf Fotos von einem
Treffen des Sturmvogels Anfang August 2015 nahe Grabow in Brandenburg steht
dieselbe junge Frau neben kleineren Mädchen. Sawallisch trägt ein Halstuch,
welches engagierte Ältere auszeichnet, das Haar ist gezopft, an dem grünen
Hemd prangt das Logo der Gruppe: ein schwarzer Vogel auf weiß-rotem Grund.
„Der SV ist eine Abspaltung von der Wiking-Jugend“, sagt sagt Gideon Botsch
vom Moses Mendelssohn Zentrum. Er forscht zur bündischen Jugend. Gut sieben
Jahre vor dem Verbot der WJ entstand 1987 der Jugendbund Sturmvogel als
Folge eines internen Streits. Der ehemalige WJ-Bundesfahrtenführer Rudi
Wittig wurde erster Bundesführer des SV. Bereits im Oktober 2015 nahm
Wittig an einem Stammtisch der Identitären in Wismar teil.
## „Bis ins Memelland“
Der Sturmvogel machte von Anfang keinen Hehl aus der politischen Gesinnung.
Als „volkstreu eingestellte Deutsche“ werden die SV-Mitglieder auf einem
Flyer beschrieben, der anlässlich ihrer Gründung gedruckt wurde. In ihrem
Jahreskalender für 2006 offenbaren sie dann, wo ihrer Ansicht nach die
Grenzen Deutschlands verlaufen: „Auf unseren Wanderungen lernen wir
Deutschland kennen“, von „Schleswig-Holstein bis nach Tirol, von Elsass bis
ins Memelland“.
Die Anhänger des Sturmvogels führen oft an, das sie nur Traditionen
pflegen. Die personelle Verflechtung mit der Identitären Bewegung offenbart
aber das Gegenteil. „Der Sturmvogel ist bewusst von Rechtsextremen
gegründet worden, um Kinder und Jugendliche in ihrem Geiste zu erziehen“,
sagt Botsch. „Das Jugendliche sich auch bei der IB einbringen, dürfte ganz
im Sinne ihrer Eltern sein. Sie wollten ihre Kinder gegen den politischen
Zeitgeist erziehen.“ Unter den Eltern, die ihre Kinder zu den Treffen des
SV bringen, sind NPD-Anhänger und auch ein bekannter Holocaustleugner.
Seit 2012 ist die IB nach dem Vorbild der französischen „Génération
identitaire“ auch in Deutschland aktiv. Nils Altmieks ist der Vorsitzende
der IB in Deutschland, die lange vor allem in den sozialen Netzwerken
präsent war. Bis Ende Juli 2016 gab es in Hamburg aber keine eigenständige
Gruppe der IB. Der IB geht es darum, der vermeintlichen Islamisierung des
Abendlandes, dem angeblichen großen Austausch der eigenen Bevölkerung und
der unterstellten Zerstörung der ureigen Kultur entgegenzuwirken.
Keine andere Botschaft will die Hamburger IB-Gruppe mit ihrem Tanzvideo n
den Landungsbrücken vermitteln. Sie schreiben auf der Facebook-Seite, dass
„seit einiger Zeit immer mehr junge Menschen in Deutschland wieder
Interesse und Begeisterung für ihre reiche Kultur entwickeln“ und sehen das
als „Ausdruck eines Naturgesetzes: Die Bedrohung durch das Fremde erzeugt
die Rückbesinnung auf das Eigene“. Sie wüssten, was sie „zu verteidigen
haben; denn wir haben erfahren dürfen, was uns mit echter innerer Freude
erfüllt!“ Diese Freude scheint nur eine der Gemeinsamkeiten der Identitären
mit dem deutschen Jugendbund Sturmvogel zu sein.
Die Nähe zwischen IB und SV überrascht Botsch vom Mendelssohn Zentrum
nicht. „Sie haben viele gemeinsame Facetten in ihren Positionen und
Grundstimmungen. Sie beide denken Nation als Einheit vom Volk, Kultur und
Identität, beide sehen das eigene Volk und die eigenen Identität durch eine
‚Überfremdung‘ massiv bedroht.“
## Kein Recht auf Anwesenheit
Das neurechte Konzept des Ethnopluralismus klingt an, nach dem jede Ethnie
seine gewaschene Kultur und ureigene Identität hat. Dieser Begriff
verschleiert aber nur den völkisch-rassistischen Gehalt einer implizierten
monokulturellen Gemeinschaft. So fordert die IB eine „Remigration“
bestimmter Ethnien und Kulturen – insbesondere Menschen mit muslimischem
Glauben wird das Recht auf Anwesenheit abgesprochen.
Bei dem Treffen der Sturmvogel-Mitglieder in Grabow im Jahr 2015 ist
Irmhild Sawallisch nicht die Einzige mit Beziehungen zur Identitären
Bewegung. Der Bayer Michael Zeilinger leitete das Treffen. Jener Zeilinger,
der im Juni 2016 an einer Demonstration der IB in Wien teilnahm und mit
einem Megaphon die Stimmung anheizte.
Die Identitäre Bewegung betont gerne, sich Fragen der Presse zu stellen.
Eine schriftliche Anfrage der taz ließ Zeilinger über Wochen unbeantwortet.
Auch Irmhild Sawallisch schwieg bis Redaktionsschluss zu ihrem Engagement
bei der Identitären Bewegung und dem Sturmvogel.
28 Dec 2016
## AUTOREN
andrea Röpke
Andreas Speit
## TAGS
Neue Rechte
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Rechtsextremismus
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Right Trash
NPD-Verbot
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