# taz.de -- Recherchen im Neonazi-Milieu: „Die Schnüffelei hat mir geschadet… | |
> Die Journalistin Andrea Röpke recherchiert in Neonazi-Strukturen und | |
> wurde vom Verfassungsschutz ausgespäht. Sie erklärt, warum sie sich nicht | |
> einschüchtern lässt | |
Bild: Sie beobachtet Neonazis und geriet dafür ins Visier des Verfassungsschut… | |
taz: Frau Röpke, Meinen Sie, wir schaffen ein ganzes Interview, ohne über | |
Ihr Fachgebiet Neonazis zu sprechen? | |
Andrea Röpke: Das wäre mal eine Herausforderung. Was mich brennend | |
interessiert, ist die Kälberhaltung. Wir können gern über Tierquälerei | |
sprechen. | |
Wieso die Kälberhaltung? | |
Wenn man übers Land fährt, sieht man diese Plastik-Bauten, wo die Kälber | |
nur einen Meter Platz haben. Die werden sofort von der Mutter getrennt. Das | |
regt mich auf. Ich habe das fotografiert. | |
Sie haben in dem Bereich recherchiert? | |
Nein, aber ich weiß, dass ein Kollege an dem Thema dran ist und da habe ich | |
hin und wieder mal ein Foto als Beleg gesichert. Mein eigenes Thema, über | |
das wir ja versuchen wollten, nicht zu sprechen, gibt genug her. | |
Können Sie auch mal abschalten? | |
Ja, beim Segeln oder Fahrradfahren. Ich bin ein Naturfreak. Ich finde es | |
immer lustig, wenn die Leute, über die ich recherchiere, mir vorwerfen, ich | |
wäre eine verschrobene Einzelgängerin, die mit Natur, Land und Familie | |
nichts anfangen könne. Die haben keine Ahnung. | |
Sie legen viel Wert darauf, dass über Ihr Privatleben nichts bekannt wird. | |
Gerade in Zeiten sozialer Netzwerke ist die Gefahr groß, dass irgendjemand | |
etwas herausfindet. Für das, was ich selber mache, kann ich gerade stehen. | |
Aber wenn mein Umfeld in Gefahr geriete, würde ich mir das nicht verzeihen | |
– auch wenn sie alle hinter dem stehen, was ich mache. | |
Sie wurden schon angegriffen? | |
Mehrfach. Bei meinen Recherchen werden meine Kollegen und ich von Neonazis | |
angespuckt, beworfen, bedrängt – und Teile meiner Kamera wurden zerstört. | |
Einmal bin ich niedergeschlagen worden. Seit den Massendemos von Pegida | |
sind die Leute, die auf die Straße gehen, enthemmt. In Leipzig wurde ein | |
Kommando gegeben, da sind rechte Hooligans auf uns Journalisten zugestürmt. | |
Sind Sie bei Neonazis besonders unbeliebt? | |
Man ist ein Begriff in der rechten Szene, sie personalisieren stark. Mit | |
großen Zeitungen oder Fernsehteams wollen sie ja teilweise | |
zusammenarbeiten, also greifen sie stattdessen die Fachjournalisten an. Da | |
bieten sich bestimmte Namen an. Inzwischen bekommen aber fast alle | |
Medienvertreter den Hass von der Straße massiv zu spüren. Die großen Sender | |
schicken nur noch TV-Teams in Begleitung von Securities zu rechten Demos. | |
Das können wir freien Journalisten uns nicht leisten. | |
Haben Sie keine Angst? | |
Doch, manchmal. Etwa bei der Hogesa-Randale in Köln 2014. Es waren viel | |
mehr als wir erwartet hatten – über 5.000. Die extrem aggressiven | |
Nazi-Hooligans der Bremer „Standarte“ waren vor Ort, ihr Anführer gab die | |
Kommandos. Es dauerte nicht lange, bis Flaschen und Steine flogen, direkt | |
vor mir wurde ein Polizeiwagen umgeschmissen. Die waren überall, man konnte | |
nicht vor und zurück. Über 40 Beamte und auch Journalisten-Kollegen wurden | |
verletzt. | |
Was treibt Sie an, immer wieder in der Neonazi-Szene zu recherchieren? | |
Es ist ein Beruf, den ich gern mache. Ich freue mich, dass ich ein Thema | |
intensiv beackern kann und bin darin sehr frei. Was mich antreibt, ist die | |
Überzeugung, dass es eine wichtige Aufgabe ist. | |
Im Januar 2017 erschien ihr „Jahrbuch Rechte Gewalt“. War das vergangene | |
Jahr schlimmer als die vorherigen? | |
Rechte Gewalt explodiert schon seit 2015, verminderte sich 2016 nicht. Im | |
Schatten des islamistischen Terrors, der in der Wahrnehmung von außen | |
kommt, haben wir längst die alltägliche Gewalt mitten in unserer | |
Gesellschaft. Verbrechen wie die NSU-Morde, der Amoklauf von München, | |
Brandanschläge oder die Schießereien der Reichsbürger geraten schnell in | |
Vergessenheit. | |
Wenn man sich wie Sie reinwühlt in das Neonazi-Gedankengut, in Chats und | |
Publikationen, entwickelt man dann auch eine Faszination für das | |
Abgründige? | |
Es ist keine Faszination. Wenn man sich wochenlang in Material aus dem | |
direkten Umfeld des NSU-Verfahrens einliest oder sich anschaut, was aus den | |
Mischszenen aus Neonazis, Rockern und Hooligans in sozialen Netzwerken | |
verbreitet wird – dieses männerdominierte, sexistische Milieu –, dann bin | |
ich erschrocken. Ich bin schockiert über die Dynamik des Hasses und davon, | |
wie sehr der Mainstream sich unkritisch mitziehen lässt. | |
Sie legen ihren Recherche-Fokus auf den extrem rechten Rand der | |
Gesellschaft. Was ist mit dem Rassismus der Mitte? | |
Auch meine Recherchen haben sich seit 2013 geändert. Mit Pegida und der AfD | |
sind wir jetzt unmittelbar mit dem Hass des Bürgers von nebenan | |
konfrontiert. Da steckt ein Finanzbeamter eine zukünftige | |
Flüchtlingsunterkunft an oder drei junge Leute aus der Nähe von Hameln | |
schmeißen einen Molotowcocktail in das Kinderzimmer von Geflüchteten. | |
Lehrer, Anwälte, Richter treiben über die AfD den Hass voran. Die rechte | |
Bewegung ist jetzt viel breiter aufgestellt. | |
Wie sind Sie zu Ihrem Thema gekommen? | |
Ich habe in Bremen Politikwissenschaft studiert und immer überlegt, was ich | |
damit machen soll. In den Staatsdienst wollte ich nicht. Dann gab es einen | |
Kurs: „NS-Täterkarrieren nach 1945“. Das fand ich richtig spannend. Ich | |
habe Bücher gewälzt und geschaut, wo die NS-Täter heute sind, ob sie Geld | |
haben oder Firmen und ob sie rechtlich belangt wurden. In Bremen und in | |
Niedersachsen waren einige aktiv. Ich bin auf die „Stille Hilfe“ gestoßen. | |
Was war die „Stille Hilfe“? | |
Ein Alt-Nazi-Verein für „Kriegsgefangene und Internierte“ mit Sitz in | |
Rotenburg an der Wümme. Für meine Recherche bekam ich Hilfe aus der Region, | |
von Antifaschisten und damals dem VVN, der Vereinigung der Verfolgten des | |
Naziregimes. Die leitetete Willy Hundermark, eine Koryphäe in Bremen. Ich | |
saß wochenlang in den Archiven. Nach und nach konnte ich immer mehr | |
ausgraben. Über einen SS-Mann, demgegenüber ich mich als Sympathisantin | |
ausgab, bin ich sogar in deren Kreise eingeführt worden und dann auch bei | |
SS-Treffen gewesen. Das war gruselig. | |
Die Recherche klingt aufwendig. | |
Mir macht es heute noch nichts aus, wenn ich Jahre für ein Thema brauche. | |
Wichtig ist mir nur, dass ich es durchziehe. Über den Bremer Fernseh- | |
Journalisten Egmont Koch, der mich als Rechercheurin beauftragte, bin ich | |
über die Alt-Nazis zu den neuen Nazis gekommen. | |
Waren Sie politisch aktiv? | |
Ich war auf der ein oder anderen Demo, aber nie in einer Gruppe oder | |
Partei. Dadurch, dass ich vom Lande komme, aus sehr konservativen | |
Verhältnissen, musste ich mich langsam entwickeln. Es war für mich | |
eigentlich nicht angedacht, dass ich Abitur mache, geschweige denn | |
studiere. Also musste ich mich behaupten und habe während des Studiums sehr | |
viel gearbeitet, in einigen Fabriken. Dadurch hatte ich wenig Zeit für das | |
traditionelle Studentenleben. | |
Verarbeiten Sie auch Ihre Familiengeschichte? | |
Nein. In meinem Elternhaus spielte Politik keine Rolle, als Frau, als | |
Mädchen war ich die erste, die sich mit Politik beschäftigte. Es gab die | |
Erwartung, dass ich erst eine Bürolehre machen soll. Also habe ich | |
tatsächlich zunächst Bürokauffrau gelernt. | |
2015 erhielten Sie den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in | |
Deutschland. Der wievielte Preis war das? | |
Ich mag es gar nicht sagen. Ich denke oft, dass es so tolle Kollegen gibt, | |
die wirklich viel bewirkt haben, sich engagieren und die auch ausgezeichnet | |
werden sollten. Aber der Preis kam nach der Diskreditierung durch den | |
Verfassungsschutz in Niedersachsen. Deren Schnüffelei hatte mir enorm | |
geschadet, sodass ich den Preis dann gut annehmen konnte. | |
Es wurde festgestellt, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz | |
Unrecht war und Sie erhielten eine Entschuldigung. Dennoch blieb etwas | |
hängen? | |
Absolut. Ich wurde sechs Jahre lang rechtswidrig überwacht, auch die | |
Polizei lieferte brav zu. Informanten schreckte die Enthüllung zum Teil ab, | |
sie fühlten sich gefährdet. In den Redaktionen gab es Solidarität, aber | |
auch Zurückhaltung. | |
Inwiefern Zurückhaltung? | |
Ich bin immer die, die mit dem Thema nervt und den Behörden widerspricht. | |
Hat man es vorher vielleicht als kritischen Journalismus eingestuft, galt | |
ich danach erst mal als die aus der linken Ecke. Ich bin vielleicht keine | |
„normale“ Journalistin und schreibe auch für linke Medien – klar. Aber | |
durch die Beobachtung wurde ich selbst in die extreme Ecke gestellt, man | |
hat mich zu einer Staats- und Demokratiegegnerin gemacht. Das war eine | |
Rufschädigung. | |
Was hat sich verändert, seit Sie mit ihrer Arbeit begonnen haben? | |
In den 1990er-Jahren war es selbstverständlich, dass Journalisten ein Thema | |
auftun und es eine komplett eigene, freie Recherche ist. Heute kommt man | |
mit bestimmten Themen in den Redaktionen nicht mehr durch, vor allem wenn | |
die Behörden die Erkenntnisse nicht bestätigen. Man verlässt sich | |
mittlerweile zu sehr auf die Informationen von Sicherheitsbehörden. | |
Haben Sie dafür ein Beispiel? | |
Klar, viele. 2011 ist es mir bei den Recherchen über die Wichtigkeit von | |
Frauen in der Neonazi-Szene passiert, mit dem Buch „Mädelsache“. Die | |
Behörden sagten, wir würden Hysterie betreiben. Dann kam Beate Zschäpe. | |
Sind Sie jedes Wochenende auf einem Nazi-Event? | |
Es gibt manche Phasen, wo das so ist, aber ich bin auch eine hedonistische | |
Person und muss noch Freude im Leben haben – also muss viel Zeit für mein | |
Privatleben bleiben. Einmal habe ich allerdings an einer Hochzeit nicht | |
teilnehmen können, weil ich stattdessen auf einem SS-Treffen war. Das tat | |
mir wahnsinnig leid. | |
Was war so wichtig an dem Termin? | |
Ich hatte es lange vorbereitet. Das war dann auch bei der Heimattreuen | |
Deutschen Jugend so. Da kommt der entscheidende Anruf: „Wir haben hier ein | |
Lager, hier stehen Zelte, hier ist etwas.“ Dann bin ich nicht mehr zu | |
halten. In dem Moment, wo es gefährlich wird, andere hinfahren zu lassen, | |
ist nicht meine Art. | |
Die Heimattreue Deutsche Jugend, die Kinder neonazistisch geschult und | |
gedrillt hat, wurde unter anderem nach ihren Recherchen im Jahr 2009 | |
verboten. Ist das Ihr größter Coup? | |
Coup? Eher nicht. Es war total wichtig, auf die organisierte | |
Kindererziehung der Neonazis hinzuweisen. Ich sehe auf vielen | |
Neonazi-Festen oder bei konspirativen Treffen immer noch Kinder – ein | |
Mädchen trug auf dem Shirt die Aufschrift „Arisches Kind“. Meine beiden | |
Kollegen und ich sind noch dran am Thema. | |
Glauben Sie, der Hass wird irgendwann weniger? | |
Ich glaube, dass wir durch Aufklärung viel erreichen können. Auch wenn | |
momentan viele resistent erscheinen. Die aktuelle Entwicklung ist wirklich | |
erschreckend. | |
13 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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