# taz.de -- Niedersachsen schränkt Geheimdienst ein: Verfassungsschutz wird ü… | |
> Niedersachsen kontrolliert künftig, wer warum bespitzelt wird. V-Leute | |
> sollen früher abgeschaltet, Wohnräume nur noch von der Polizei | |
> ausgeforscht werden. | |
Bild: Ein echter Datenknoten: Telekommunikation darf der Geheimdienst weiter or… | |
Nach diversen Affären um die Bespitzelung von Journalisten, politisch | |
engagierten Bürgern und dem Totalversagen im Skandal um die rechtsextreme | |
NSU-Terrorzelle macht Niedersachsen bei der Reform des Verfassungsschutzes | |
Ernst. Mit den Stimmen von SPD und Grünen wird der Landtag in Hannover am | |
Mittwoch ein neues Verfassungsschutzgesetz beschließen, das den | |
landeseigenen Geheimdienst einer stärkeren Kontrolle unterwirft: Jede | |
Überwachung muss künftig vom Innenministerium genehmigt werden. | |
Außerdem wird nach spätestens vier Jahren überprüft, ob sich die Vermutung, | |
dass der Bespitzelte die freiheitlich-demokratische Grundordnung der | |
Bundesrepublik tatsächlich bekämpfen will, erhärten ließ. War dieser | |
Verdacht unbegründet, muss dem „Beobachtungsobjekt“ mitgeteilt werden, dass | |
es im Visier des Inlandsgeheimdiensts war, heißt es in der zur Abstimmung | |
vorliegenden Beschlussvorlage des „Landtagsausschusses für Angelegenheiten | |
des Verfassungsschutzes“. Zusätzlich sind die bei der unbegründeten | |
Bespitzelung erhobenen Daten „zu löschen“. | |
Auch der Einsatz verdeckter Ermittler wird künftig strenger geregelt. Die | |
sogenannten V-Leute dürfen ab heute keine schweren Straftaten mehr begangen | |
haben und finanziell nicht dauerhaft abhängig von den Zahlungen des | |
Verfassungsschutzes sein. V-Leute, die aus einem verfassungsfeindlichen | |
Umfeld wie etwa der NPD aussteigen wollen, sind sofort abzuschalten. Die | |
Überwachung von Wohnräumen ist nur noch der Polizei, nicht mehr aber dem | |
Inlandsgeheimdienst erlaubt. | |
Dabei ist das neue Verfassungsschutzgesetz lediglich ein Kompromiss | |
zwischen Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius und den Grünen. | |
Im Wahlkampf 2012 hatten die Grünen die völlige Abschaffung des | |
Verfassungsschutzes gefordert: Der sei „ein Scheißhaufen“, hatte die grüne | |
Landtagsfraktionschefin Anja Piel bei einem Parteitag in Stade gepoltert. | |
## „Bundesweite Vorreiterrolle“ | |
Zuvor hatten Sozialdemokraten und Grüne dem damals noch amtierenden | |
CDU-Innenminister Uwe Schünemann vorgeworfen, die Schlapphüte politisch zu | |
instrumentalisieren: Bespitzelt wurden mindestens sieben | |
regierungskritische Journalisten, darunter auch die taz-Autorin Andrea | |
Röpke, die immer wieder über die Neonazi-Szene berichtet. Unberechtigt | |
überwacht wurden auch tausende Bürger – etwa ein Landwirt, der nach | |
Anti-Atom-Protesten als „linksextrem“ registriert wurde. | |
„Mit unserer Forderung nach vollständiger Auflösung des Verfassungsschutzes | |
konnten wir uns nicht durchsetzen“, räumt Grünen-Chefin Piel ein. Trotzdem | |
lobt der Parlamentarische Geschäftsführer ihrer Fraktion, Helge Limburg, | |
das neue Gesetz in höchsten Tönen: Eine „bundesweite Vorreiterrolle“ | |
übernehme Niedersachsen beim Verfassungsschutz jetzt. | |
Der rot-grüne Entwurf stehe für einen „ausgewogenen Weg zwischen | |
Datenschutz, Bürgerrechten und Sicherheitsinteressen“, sagt Limburg – | |
schließlich werde der Geheimdienst auch durch das Parlament stärker | |
kontrolliert: Künftig muss der Verfassungsschutzausschuss vom | |
Innenministerium über jede Überwachungsmaßnahme informiert werden. „Das | |
Gesetz folgt der Devise: So viel Vertraulichkeit wie nötig, so viel | |
Transparenz wie möglich“, wirbt der Grüne. | |
Dabei hat Limburg bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs durchaus | |
Niederlagen einstecken müssen. Bis zuletzt umstritten war etwa, ob der | |
Verfassungsschutz Minderjährige schon ab dem Alter von 14 oder von 16 | |
überwachen darf. Auf Druck der Opposition setzte Innenminister Pistorius | |
die härtere Variante durch. | |
CDU und FDP wollen im Landtag mit einem Untersuchungsausschuss Pannen der | |
Sicherheitsbehörden aufdecken, etwa bei der Messerattacke der 16-Jährigen | |
Safia S. auf einen Polizisten in Hannovers Hauptbahnhof aber auch bei der | |
Absage des Fußball-Länderspiels gegen die Niederlande im November. Beide | |
Parteien haben angekündigt, gegen das Gesetz stimmen zu wollen. | |
13 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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