| # taz.de -- Verdeckte Überwachung von Linken: Sie erfuhren es nur von den Nach… | |
| > In Tübingen installiert die Polizei rechtswidrig eine Kamera am Eingang | |
| > eines linken Wohnprojekts. Wieder einmal werden die Betroffenen nicht | |
| > informiert. | |
| Bild: Sonst sind Objektive eher auf Tübingens Neckarufer gerichtet. Die Polize… | |
| BERLIN taz | Dass Betroffene von einer Überwachungsmaßnahme auch im | |
| Nachhinein nicht erfahren sollen, ist in Deutschland gang und gäbe. In | |
| Tübingen observierte die Polizei über einen knappen Monat ein linkes | |
| Wohnprojekt und auch hier lief es wieder so: Zwar fanden die Beamten | |
| offenbar nichts Verwertbares, nachträglich informiert wurden die | |
| Beteiligten allerdings auch in diesem Fall nicht. Der Vorgang war offenbar | |
| rechtswidrig. Die Staasanwaltschaft handelte, ohne einen Richter zu fragen. | |
| Das zumindest geht aus einem Schreiben des Landesdatenschutzbeauftragten in | |
| Baden-Württemberg hervor, das der taz vorliegt. | |
| Demnach hatte die Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen | |
| Brandstiftung „aufgrund verschiedener Indizien darauf geschlossen, dass der | |
| oder die Täter der autonomen Szene zuzuordnen seien und vom Beginn einer | |
| Tatserie auszugehen sei.“ Zwar ermittelten die Beamten gegen unbekannt und | |
| hatten offenbar auch sonst keine konkreten Beweise. Weil das Wohnprojekt in | |
| der Schellingstraße 6 ihnen allerdings „als Wohnsitz von Angehörigen der | |
| autonomen Szene bekannt sei“, installierten die Polizisten eine Kamera – | |
| die sie auf den Eingangsbereich richteten. In dem Wohnprojekt leben nach | |
| eigenen Angaben rund 110 BewohnerInnen. Vom 4. bis 29. Juli 2016 zeichnete | |
| die Kamera jeweils nachts die Bewegungen im Eingangsbereich auf. Ende Juli | |
| packten sie die Kamera wieder ein. | |
| In seinem Schreiben an einen der Betroffenen hält der | |
| Datenschutzbeauftragte, der den Fall geprüft hat, nun fest, dass es für die | |
| Videoobservation einer richterlichen Anordnung bedurft hätte – die aber | |
| nicht vorlag. Eine offizielle Beanstandung nimmt der Datenschutzbeauftragte | |
| nicht vor. Er verweist darauf, dass die Staatsanwaltschaft Besserung gelobt | |
| hat und angeblich künftig in vergleichbaren Konstellationen richterliche | |
| Anordnungen erwirken will. Das kann man glauben oder auch nicht. Immer | |
| wieder gelangten in der Vergangenheit Berichte über Observationsmaßnahmen | |
| an die Öffentlichkeit, bei denen auch im Nachhinein die Betroffenen nicht | |
| informiert wurden. | |
| ## Nachträgliche Benachrichtigung als Ärgernis | |
| Für besonders viel Aufmerksamkeit sorgte 2011 die massenhafte | |
| Handydatenerfassung in Dresden, wo die Polizei im Rahmen von | |
| Demonstrationen im großen Stil Funkzellendaten zehntausender Betroffener | |
| ausgewertet und ebenfalls auf eine aktive Benachrichtigung der Betroffenen | |
| verzichtet hatte. Damals waren unter anderem Rechtsanwälte, Journalisten | |
| und andere Schutzwürdige betroffen. Erst durch Veröffentlichungen der taz | |
| kam der Skandal ans Licht. Auch in anderen, wesentlich weniger | |
| spektakulären Fällen ist im Nachhinein oft nur per Zufall bekanntgeworden, | |
| dass Personen observiert oder etwa Handydaten heimlich ausgewertet wurden. | |
| Häufig handelt es sich bei solchen Observationen um Eingriffe in den | |
| Nahbereich von Personen. | |
| Wann und wie eine Person von einer verdeckten Maßnahme zu benachrichtigen | |
| ist, regelt der Paragraf 101 in der Strafprozessordnung. Viele Ermittler | |
| scheinen die nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen als lästige | |
| Arbeit und Ärgernis zu empfinden. Das Problem: Dass Betroffene während | |
| einer laufenden Überwachungsaktion nicht informiert werden, liegt in der | |
| Natur der Sache. Werden sie jedoch auch im Nachhinein nicht informiert, | |
| bleibt ihnen die Möglichkeit verwehrt, die Rechtmäßigkeit ihrer Überwachung | |
| überprüfen zu lassen. So war es auch im Fall des Tübinger Wohnprojekts. Die | |
| Betroffenen erfuhren von der Videoüberwachung, weil Nachbarn davon | |
| erzählten. Erst nachdem sie sich dann an den Datenschutzbeauftragten | |
| wandten, holte dieser weitere Informationen ein. | |
| Im Tübinger Fall macht es sich die Staatsanwaltschaft wieder einfach. Sie | |
| argumentiert laut Datenschutzbeauftragtem, dass eine Auswertung der | |
| Aufnahmen nicht erfolgt sei und keine Identifizierung stattgefunden habe. | |
| Außerdem ist sie demnach der Auffassung, dass „trotz der vierwöchigen Dauer | |
| der Observation nicht davon ausgegangen werden könne, dass alle Bewohner | |
| der Schellingstraße 6 von der Maßnahme betroffen waren“. Da „eine | |
| Benachrichtigung der potenziell von der Maßnahme betroffenen Hausbewohner | |
| vom Gesetz nicht vorgesehen sei, sei auch eine pauschale Benachrichtigung | |
| aller Hausbewohner nicht nötig gewesen“, wird die Staatsanwaltschaft im | |
| Schreiben des Datenschutzbeauftragten zitiert. | |
| ## Aufdeckung? Glückssache | |
| In dieser Logik wäre eine Benachrichtigung über eine Observationsmaßnahme | |
| also nie nötig, wenn es Personen gibt, die davon potenziell nicht betroffen | |
| sind. Moment mal: Kann nicht eigentlich immer irgendjemand nicht betroffen | |
| sein? | |
| Auch der Datenschutzbeauftragte kommt zu dem Schluss, dass eine | |
| nachträgliche Benachrichtigung „ohne weitere Nachforschungen und ohne | |
| größeren Aufwand (…) möglich und angemessen gewesen wäre“ – etwa inde… | |
| Beamten Informationsschreiben in die Briefkästen eingeworfen hätten. | |
| Einfordern, heißt es in dem Schreiben auch, ließe sich das „aufgrund des | |
| Wortlauts des Paragraf 101 StPO“ jedoch nicht. Das heißt konkret: Es ist | |
| auch in Tübingen weiterhin möglich, rechtswidrig zu observieren, ohne | |
| anschließend die Betroffenen davon in Kenntnis setzen zu müssen. | |
| Aufdeckung? Glückssache. | |
| Die Bewohner des Wohnprojekts wollen sich dagegen nun zur Wehr setzen. Sie | |
| haben eine sogenannte [1][„Meldestelle für heimliche Videoüberwachung“] | |
| gegründet. Dort sollen sich ihrer Vorstellung nach künftig alle melden | |
| können, die ähnliche Vorfälle kennen – um so wenigstens etwas Licht in das | |
| dunkel rechtswidriger Observationen zu bringen. | |
| 19 Oct 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://meldestelle.mtmedia.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
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