# taz.de -- Verfassungsschutz wird moderner: Abschied vom Schlapphut | |
> Die überfällige Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes | |
> schreitet voran. Zu Unrecht Überwachte werden nun aber doch nicht | |
> informiert. | |
Bild: Nicht nur der Innenminister sitzt Attacken aus: Demonstranten in Götting… | |
HAMBURG taz | Der Verfassungsschutz in Niedersachsen soll transparenter und | |
demokratischer werden: Derzeit berät der Landtags-Ausschuss für | |
Angelegenheiten des Verfassungsschutzes über ein neues | |
Verfassungsschutzgesetz. Den Entwurf dazu hatte die rot-grüne | |
Landesregierung im Herbst ins Parlament eingebracht, so wie sich die | |
Koalitionäre im Januar 2013 im Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten. | |
Mit dem neuen Gesetz soll sich unter anderem der dauerhafte Einsatz von | |
„Vertrauenspersonen“, also V-Leuten, ändern. Er soll nur noch bei | |
verfassungsfeindlichen Bestrebungen „von erheblicher Bedeutung“ möglich | |
sein. Das Führungspersonal der V-Leute soll nach fünf Jahren ausgetauscht | |
werden, um kein persönliches Verhältnis entstehen zu lassen, das die Arbeit | |
beeinträchtigen könnte. Zudem entscheidet der Verfassungsschutz künftig | |
nicht mehr allein über ihren Einsatz, sondern in Abstimmung mit dem | |
Landtags-Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. | |
Das Kontrollgremium des Parlaments soll auch zustimmen müssen, wenn der | |
Verfassungsschutz eine Gruppe langfristig überwachen will. Nicht mehr | |
beobachten darf er nach dem Entwurf künftig Jugendliche unter 16 Jahren und | |
die Wohnungen von „Beobachtungsobjekten“. Beendet der Verfassungsschutz die | |
Beobachtung eines Bürgers, soll er ihm künftig mitteilen müssen, dass er | |
überwacht wurde und er nun Auskünfte über die über ihn gespeicherten Daten | |
einholen kann. | |
„Wir wollen einen leistungsstarken, aber eben auch einen modernen und | |
sensiblen Verfassungsschutz“, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei | |
der Vorstellung des Gesetzesentwurfs im Landtag. Er wolle den Geheimdienst | |
„raus aus der Schlapphutecke“ holen und zu einer „modernen | |
Sicherheitsbehörde“ machen. Dafür bekam er auch Applaus von der | |
Oppositionsbank: CDU und FDP unterstützen den Entwurf ebenso wie der grüne | |
Koalitionspartner, der den Verfassungsschutz im Wahlkampf noch ganz | |
abschaffen wollte. Etwas zu weit geht der Vorstoß nur den Christdemokraten: | |
Sie möchten auch in Zukunft Jugendliche überwachen lassen können. | |
Immer wieder hatten in den vergangenen Jahren Skandale um den | |
niedersächsischen Geheimdienst für Schlagzeilen gesorgt. Unter der Führung | |
des ehemaligen Innenministers Uwe Schünemann (CDU), der sich als Hardliner | |
einen Namen machte, überwachte der Verfassungsschutz JournalistInnen, | |
RechtsanwältInnen und engagierte, aber keineswegs verfassungsfeindliche | |
BürgerInnen. Schünemann musste sich den Vorwurf gefallen lassen, seine | |
Behörde gegen politisch unliebsame Personen einzusetzen – doch die Attacken | |
der damaligen Koalition saß er beharrlich aus. | |
Mit dem Regierungswechsel in Hannover kam auch ein Wechsel an der Spitze | |
des Geheimdienstes. Auf den früheren Göttinger Polizeipräsidenten Hans | |
Wargel folgte Maren Brandenburger, zuvor Pressesprecherin beim | |
Verfassungsschutz. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten Pistorius ging sie im | |
September 2013 mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, der | |
Verfassungsschutz habe rechtswidrig Akten über JournalistInnen geführt. | |
Pistorius berief daraufhin eine Task Force ein, die sämtliche Akten des | |
Dienstes auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen sollte. | |
Das im Mai 2014 präsentierte Ergebnis dieser Recherche war „erschreckend“, | |
befand Pistorius: 39 Prozent der personenbezogenen Daten, die das Landesamt | |
gespeichert hatte, sollen nach Empfehlung der Kontrolleure gelöscht werden. | |
Das betraf insgesamt 3.501 der etwa 9.000 Menschen, über die in Hannover | |
Akten existierten. Unter den Akten waren nach Auskunft der Behörde | |
Aufzeichnungen über mindestens sieben Journalisten und fünf Rechtsanwälte. | |
Auch nach der Überprüfung ging die Überwachung von Berufsgeheimnisträgern | |
weiter: Laut Empfehlung der Task Force sollten die Akten über sechs | |
Journalisten und zwei Anwälte bestehen bleiben. Die Aufzeichnungen über die | |
Medienvertreter werden tatsächlich nicht gelöscht, heißt es aus dem | |
Landesamt. Bei einem der beiden Juristen habe der Verfassungsschutz aber | |
aufgrund neuer Erkenntnisse beschlossen, „dass die weitere Speicherung für | |
die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist“. | |
Bislang sind die überprüften Akten nur „in Einzelfällen“ gelöscht worde… | |
sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Die restlichen sollen folgen, | |
sobald sich der Landtag mit ihnen befasst hat. Dieser habe Einsicht | |
beantragt. Bis dahin dürften sie nicht mehr von der Behörde verwendet | |
werden. | |
„Nach abschließender Prüfung durch die niedersächsische | |
Verfassungsschutzbehörde werden die Löschempfehlungen der Task Force | |
grundsätzlich umgesetzt“, heißt es. Es werde allerdings keiner der zu | |
Unrecht überwachten Bürger informiert, dass der Geheimdienst sie im Visier | |
hatte. | |
Teile der Empfehlungen, die die Task Force des Innenministers erarbeitet | |
hatte, werden demnächst Gesetzeskraft erlangen: Für den 29. Januar ist eine | |
öffentliche Anhörung des Gesetzesentwurfs im Landtag geplant. Wann das neue | |
Gesetz in Kraft treten wird, ist indes noch nicht absehbar: „Es gibt“, | |
heißt es aus dem Landtag, „noch einiges an Beratungsbedarf. | |
Den ganzen taz.Nord-Schwerpunkt zur Überwachung lesen Sie in der taz.am | |
Wochenende oder [1][hier]. | |
9 Jan 2015 | |
## LINKS | |
[1] /ePaper/!p4350 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Laufer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Niedersachsen | |
Verfassungsschutz | |
Boris Pistorius | |
Uwe Schünemann | |
Verfassungsschutz | |
V-Leute | |
Geheimdienst | |
Datenschutz | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Verfassungsschutz | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Verfassungsschutz | |
Schwerpunkt Überwachung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Niedersachsen schränkt Geheimdienst ein: Verfassungsschutz wird überwacht | |
Niedersachsen kontrolliert künftig, wer warum bespitzelt wird. V-Leute | |
sollen früher abgeschaltet, Wohnräume nur noch von der Polizei ausgeforscht | |
werden. | |
Neues Verfassungsschutzgesetz: Nicht glücklich, nicht verständlich | |
Wie weit dürfen V-Leute gehen? Rechtsexperten kritisieren die im neuen | |
Verfassungsschutzgesetz geplanten Regelungen scharf. | |
Gesetzentwurf des Bundeskabinettes: Verfassungsschutz wird reformiert | |
Ein intensiverer Austausch zwischen VS-Behörden von Bund und Ländern soll | |
Ermittungsfehler wie beim NSU verhindern. Die Auswahl von V-Leuten soll | |
strenger werden. | |
Verfassungsschutz in Deutschland: Wo sitzen die Spitzel? | |
Bund und Länder wollen eine V-Leute-Datei einrichten. Die Namen der | |
Zuträger werden darin aber nicht genannt. Im Frühjahr soll es losgehen. | |
Im Visier der Schlapphüte: Sich selbst bewahrheitender Verdacht | |
Weil er sich einmal an einer friedlichen Castor-Blockade beteiligte, geriet | |
unser Autor in den Verdacht, Teil des „linksextremistischen Spektrums in | |
Göttingen“ zu sein. | |
Verfassungsschutz und NSU: Zur Strafe befördert | |
Gab es in den Überwachungsbehörden harte Konsequenzen nach dem | |
NSU-Desaster? Drei Verfassungsschützer wurden strafversetzt – 47 stiegen | |
auf. | |
Verfassungsschutz Niedersachsen: Hallo, du wurdest überwacht | |
Hannover reformiert den VS. Stärkere Kontrollen soll es geben. Einmalig | |
ist: Der Dienst muss Überwachte nun über die Beobachtung informieren. | |
Verfassungsschutz-Film im WDR: Banale Observanten | |
Falsche Bärte, Perücken und Brillen: In „Spitzel und Spione“ zeigen sich | |
Verfassungsschützer als Menschen – und Beamte. | |
„Freiheit statt Angst“-Demo in Berlin: Whistleblower gesucht | |
6.500 protestierten am Samstag gegen Überwachung und forderten Asyl für | |
Edward Snowden. Sie fragten: Wo bleibt sein deutsches Pendant? |