| # taz.de -- Neues Verfassungsschutzgesetz: Nicht glücklich, nicht verständlich | |
| > Wie weit dürfen V-Leute gehen? Rechtsexperten kritisieren die im neuen | |
| > Verfassungsschutzgesetz geplanten Regelungen scharf. | |
| Bild: Einmal angeworben, dürfen die V-Leute, szenetypische Straftaten begehen,… | |
| Berlin taz | Matthias Bäcker spart nicht an Deutlichkeit. Das neue | |
| Verfassungsschutzgesetz weise „in mehrfacher Hinsicht erhebliche | |
| verfassungsrechtliche Mängel auf“, schreibt der Karlsruher Rechtsprofessor | |
| in seiner Stellungnahme an den Innenausschuss des Bundestags. Es ermögliche | |
| dem Amt einen „annähernd grenzenlosen Datenverbund“. Der Einsatz von | |
| nachrichtendienstlichen Mitteln sei „verwirrend formuliert“, die Regeln für | |
| V-Leute „sehr pauschal und wenig befriedigend“. Harscher geht es kaum. | |
| Am Montag wird Bäcker seine Kritik auch direkt im Bundestag vortragen. Dann | |
| ist er zusammen mit vier weiteren Rechtsexperten in den Innenausschuss | |
| geladen, um das neue Verfassungsschutzgesetz zu diskutieren. Angehört | |
| werden auch Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und der frühere | |
| Berliner SPD-Innensenator Ehrhart Körting. Ihre Stellungnahmen lagen der | |
| taz vorab vor. | |
| Den Gesetzentwurf hatte das Bundeskabinett bereits im März verabschiedet. | |
| Nun ist der Bundestag am Zug. Und nicht nur die Einlassungen Bäckers | |
| versprechen dem Gesetz noch Gegenwind. | |
| Die Reform soll eine Konsequenz aus dem NSU-Versagen sein. Künftig soll der | |
| Bundesverfassungsschutz als Zentralstelle fungieren, alle Informationen der | |
| Landesämter einsammeln und bündeln. 261 neue Stellen soll es dafür geben | |
| und jährlich 17 Millionen Euro extra. | |
| ## Ausnahmen sind stets möglich | |
| Umstritten ist vor allem die erstmalige Gesetzesregelung, was V-Leute | |
| künftig dürfen oder nicht dürfen. So soll kein Spitzel mehr werden, wer | |
| schon einmal in Haft saß, wer an einem Aussteigerprogramm teilnimmt oder | |
| wer mit dem V-Mann-Salär alleinig sein Leben finanziert. Einmal angeworben, | |
| dürfen die V-Leute, um nicht aufzufallen, szenetypische Straftaten begehen, | |
| nicht aber welche von „erheblicher Bedeutung“. Jedoch: Ausnahmen sind stets | |
| möglich. | |
| Das kritisiert nicht nur Rechtsprofessor Bäcker als „sehr offen gefasst“. | |
| Selbst sein Bayreuther Kollege Heinrich Amadeus Wolff, der das Gesetz | |
| insgesamt als rechtskonform wertet, nennt die V-Leute-Regeln „nicht | |
| glücklich“. Er plädiert dafür, den V-Leute ausnahmslos alle schweren | |
| Straftaten zu verbieten. Auch dass es für die V-Leute keinerlei | |
| Verhaltenspflichten oder zeitliche Befristung gebe, sei „nicht | |
| verständlich“. | |
| Kritische Worte sind auch von Hartmut Aden zu erwarten. Der Berliner | |
| Rechtsprofessor hatte im letzten Jahr mit einer Kommission eine Reform des | |
| Niedersächsischen Verfassungsschutzes erarbeitet – mit weitaus radikaleren | |
| Vorschlägen. So soll nicht das Amt, sondern ein Parlamentsgremium die | |
| V-Personen auswählen. Radikalisiert sich ein Spitzel, müsse dieser | |
| abgeschaltet werden. Auch müsse ihm regelmäßig ein Szeneausstieg angeboten | |
| werden. Zudem schlug die Kommission um Aden vor, mehr Migranten beim | |
| Verfassungsschutz einzustellen und eine feste Abteilung „Innenrevision“ | |
| einzurichten, um Missstände zu erkennen. | |
| ## Verfassungsschutzchef nennt Entwurf „maßvoll“ | |
| Von all dem steht im neuen Bundesgesetz nichts. Verfassungsschutz-Chef | |
| Maaßen verteidigt den Gesetzentwurf dennoch als „maßvoll“. „Er stellt e… | |
| wichtigen und notwendigen Beitrag zur Stärkung der inneren Sicherheit dar“, | |
| heißt es in seiner Stellungnahme. Auch die V-Leute-Regeln seien | |
| „ausgewogen“. | |
| Dem dürfte am Montag der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer deutlich | |
| widersprechen. Er vertritt im Münchner NSU-Prozess die Tochter des | |
| ermordeten Mehmet Kubasik. Scharmers Stellungnahme verreißt das Gesetz in | |
| Bausch und Bogen. Dieses löse „keines der Probleme“, wie der Staat mit | |
| rechter Gewalt umgeht, schreibt Scharmer. „Im Gegenteil werden die | |
| Mechanismen verstärkt, die gerade mitursächliche für die fehlende | |
| Verfolgung der Mitglieder des NSU waren.“ So bleibe der V-Leute-Einsatz | |
| „nahezu unkontrollierbar“. Die Regeln seien so „kaugummiartig“, dass we… | |
| Neonazis, die selbst wegen versuchter Tötungsdelikte verurteilt wurden, | |
| angeworben werden könnten – nur dass sie „im Folgenden dann noch | |
| weitergehend als bisher vor weiterer Strafverfolgung geschützt werden“. | |
| Der viel kritisierte Einsatz von V-Leuten aus dem NSU-Umfeld wie Tino | |
| Brandt oder Carsten Szepanski wäre so erneut möglich, so Scharmer. Das | |
| Ergebnis sei eine „staatliche Legitimierung u.a. etwa von rassistischen | |
| oder neonazistisch motivierten Propagandadelikten“. Starker Tobak, der am | |
| Montag Eklatpotential hat. Denn Scharmers Auftritt hat ein besonderes | |
| Gewicht. Der Anwalt betont, nicht nur für sich, sondern auch für eine Reihe | |
| von NSU-Hinterbliebenen zu sprechen. Von diesen, schreibt Scharmer, werde | |
| die Reform „nicht auch nur ansatzweise mitgetragen“. Vielmehr herrsche dort | |
| „Wut und Empörung“, dass „nun auf ihrem Rücken, eine der größten | |
| Machterweiterungen des Bundesamts für Verfassungsschutz begründet werden | |
| soll, die je in der deutschen Geschichte erfolgt ist“. | |
| 8 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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