| # taz.de -- Datensammelwut in Niedersachsen: Der kurze Draht zum Geheimdienst | |
| > Die niedersächsische Polizei hat nach Demonstrationen auch | |
| > personenbezogene Daten an den Verfassungsschutz weitergegeben. Ein | |
| > Göttinger klagt nun dagegen. | |
| Bild: Gab es auch über diese Kundgebung einen Verlaufsbericht mit personenbezo… | |
| GÖTTINGEN taz | Schweigeminute um 18.10 Uhr, Redebeitrag von Rolf Bertram | |
| „zur Thematik Gorleben“ um 18.12 Uhr, Eintreffen eines Protest-Traktors um | |
| 18.15 Uhr: Die Göttinger Polizei hat den Ablauf der Anti-Atom-Mahnwache am | |
| 5. September 2011 genau protokolliert. Die Teilnehmer haben sich | |
| „friedlich, kooperativ, zum Teil provokativ“ verhalten, Zwangsmittel wurden | |
| keine angewendet. Um 20.11 Uhr wusste das alles auch der niedersächsische | |
| Verfassungsschutz, denn noch am Abend hat die Polizei ihr Protokoll nach | |
| Hannover geschickt. | |
| Seit 2005 macht die Polizei das in ganz Niedersachsen nach jeder | |
| Demonstration. Die Beamten fertigen nach einer Anordnung aus dem | |
| Innenministerium sogenannte Verlaufsberichte an, in denen der Demo-Ablauf | |
| detailliert geschildert wird. Das Ziel dieser Praxis ist es laut der | |
| Ministeriumsanordnung, „unverzüglich auf Entwicklungen und Ereignisse im | |
| Bereich der Inneren Sicherheit reagieren zu können“. So will das | |
| Ministerium „Lagebeurteilungen für zukünftige Einsatzanlässe auch im | |
| Bereich des polizeilichen Staatsschutzes“ erlangen, wie Sprecher Philipp | |
| Wedelich sagt. | |
| In diesen Berichten waren immer wieder Namen von Versammlungsanmeldern oder | |
| Rednern enthalten, wie nun der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam öffentlich | |
| machte. Er hat für einen 31-jährigen Demonstrationsanmelder Klage gegen die | |
| Weitergabe seiner personenbezogenen Daten vor dem Verwaltungsgericht | |
| eingereicht. Die Polizei hatte nicht nur seinen Namen an den | |
| Verfassungsschutz weiter gegeben, sondern auch ihre politische | |
| Einschätzung: Er sei „Führungsmitglied“ der Antifagruppe Redical M, heißt | |
| es in einem Protokoll zu einer Kundgebung gegen Nazi-Aktivitäten. Adam | |
| kritisiert, dass die Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst so | |
| unterlaufen würde: „Die standardmäßige Weitergabe von Informationen über | |
| die Ausübung des Versammlungsrechts an den Verfassungsschutz selbst bei | |
| kleinen und vor allem völlig friedlichen Demonstrationen widerspricht | |
| diesem Gebot und ist schlicht beängstigend.“ | |
| Die Weitergabe der personenbezogenen Daten findet man inzwischen auch im | |
| niedersächsischen Innenministerium problematisch. Bereits vor zwei Jahren | |
| sei dies einem Mitarbeiter aufgefallen, so Sprecher Wedelich zur taz: „In | |
| allen Behörden wurde diese Verfahrensweise abgestellt, und sofern es solche | |
| Daten gegeben hat, sollten sie gelöscht sein.“ Dies werde auch von der | |
| Fachaufsicht kontrolliert. | |
| Offenbar jedoch nicht flächendeckend, wie ein Beispiel aus Göttingen zeigt. | |
| Denn das besagte Verlaufsprotokoll über die Antifa-Kundgebung stammt aus | |
| dem Januar 2013. „Das hätte nicht mehr passieren dürfen“, sagt | |
| Innenministeriumssprecher Wedelich dazu. Hat die Göttinger Polizei also | |
| entgegen der Anweisung aus dem Ministerium gehandelt? „Im Hinblick auf ein | |
| etwaiges Klageverfahren“ wollte die Polizei keine Stellungnahme abgeben. | |
| Auch die Namen der Medien, die Reporter zu den Ereignissen geschickt | |
| hatten, sind in den Polizeiprotokollen vermerkt. Das stößt auf | |
| Unverständnis: „Warum das sofort dem Verfassungsschutz gemeldet werden | |
| muss, als seien die Berichterstatter des Göttinger Tageblatts gefährliche | |
| Terroristen, erschließt sich mir nicht“, sagt zum Beispiel der Göttinger | |
| Polizeireporter Jürgen Gückel. Christian Röther, Chefredakteur vom | |
| Stadtradio Göttingen, findet es „fragwürdig“, dass die Anwesenheit von | |
| Medienvertretern von den Sicherheitsbehörden protokolliert wird: „Wir | |
| erwarten vom Innenministerium eine Erklärung darüber, zu welchem Zweck dies | |
| geschieht.“ | |
| Das Ministerium ist darum bemüht, die Wogen zu glätten. Es würden in keinem | |
| Fall die Namen von anwesenden Journalisten notiert, sondern lediglich die | |
| der Redaktionen, betont Wedelich. Dies könne notwendig sein, „um im Zuge | |
| einer Nachberichterstattung noch einmal Kontakt aufzunehmen“. | |
| Ob diese Informationen auch in Zukunft an den Geheimdienst geschickt | |
| werden, ist fraglich, denn die aktuelle Landesregierung will das | |
| Verfassungsschutzgesetz reformieren. Innenminister Boris Pistorius (SPD) | |
| hatte dazu im vergangenen Herbst eine „Taskforce“ eingerichtet, die jetzt | |
| auch überprüft, ob die polizeilichen Verlaufsberichte weiterhin an den | |
| Verfassungsschutz übermittelt werden sollen. | |
| 6 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Benjamin Laufer | |
| ## TAGS | |
| Verfassungsschutz | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Niedersachsen schränkt Geheimdienst ein: Verfassungsschutz wird überwacht | |
| Niedersachsen kontrolliert künftig, wer warum bespitzelt wird. V-Leute | |
| sollen früher abgeschaltet, Wohnräume nur noch von der Polizei ausgeforscht | |
| werden. | |
| Überwachung in Niedersachsen: Daten müssen gelöscht werden | |
| Niedersachsens Verfassungsschutz hat Tausende Personen zu Unrecht | |
| ausspioniert. Er muss nun fast 40 Prozent der Personendaten löschen. | |
| Überwachung: „Evident geheimhaltungsbedürftig“ | |
| Das schleswig-holsteinische Innenministerium verweigert die Auskunft | |
| darüber, ob der Verfassungsschutz JournalistInnen ausgespäht hat. |