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# taz.de -- Interview mit „Beuys“-Regisseur: „Im Krieg zurechtgeschossen�…
> Das Brüchige an Joseph Beuys' Verhältnis zur NS-Zeit sichtbar machen. Das
> solle seine dokumentarische Filmbiografie, sagt Andres Veiel.
Bild: Erklärt dem toten Hasen die Bilder: Joseph Beuys
Schwarz-Weiß-Bilder. Ein Mann, den Kopf voller Goldstaub und Honig, trägt
einen toten Hasen durch eine Düsseldorfer Galerie. Er schmiegt das Tier an
sich. „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ war eine Aktion von
Joseph Beuys, des vielleicht umstrittensten Künstlers nach 1945.
Konservative hielten seinen „erweiterten Kunstbegriff“ für Scharlatanerie,
andere sahen in ihm einen Revolutionär. Auf dem Kunstmarkt stand er hoch im
Kurs. Der Mann mit dem Hut war charismatisch, provokativ. Der Film „Beuys“
ist nun ein aus 300 Stunden Originalmaterial komponiertes Denkmal für
diesen wichtigen deutschen Nachkriegskünstler. Eine virtuose Montage aus
Fotos, Filmen, Interviews, Dokumenten von Kunstaktionen, die Beuys durch
Beuys sprechen lässt. Die aber auch Fragen nach den Umgang mit der
Geschichte aufwirft.
taz: Herr Veiel, Sie rücken uns in „Beuys“ den Künstler nah und ungefilte…
vor Augen. Warum nicht mehr Distanz?
Andres Veiel: Es gibt Distanzen. Dies ist bewusst kein chronologisch
erzähltes Biopic. Vor der Kindheit sieht man eine halbstündige Exposition.
Die erste Szene zeigt ihn als Menschenfänger, der sagt: „Wenn man in einen
Raum kommt, muss man die inneren Fragen der Menschen kennen.“ Das ist ein
ambivalenter Satz, der auch von einem Populisten und Verführer stammen
kann. Beuys fasziniert mich. Aber ich zeige ihn nicht als Lichtgestalt.
Die Figur wirkt, ungewöhnlich für Ihre Filme, recht glatt?
Nein, ich finde ihn brüchig, verletzbar, auch einsam. Er war sehr eloquent.
Gerade deshalb sind Momente interessant, in denen er verstummt. In einer
Schlüsselszene hört man ein Interview mit ihm, 1979 in den USA, in dem er
erzählt, dass er 1944 als Wehrmachtspilot über der Krim abgeschossen wurde,
dass Tataren ihn retteten und pflegten. Eine Journalistin fragt: „Are you
fantasizing?“ Dann schweigt er.
Beuys hat die Tataren-Legende erfunden, als Versöhnungskitsch: Der
Wehrmachtspilot wird vom ursprünglich lebenden Volk gerettet …
In dieser Legende steckt etwas von einem Rettungsversuch nach dem
traumatischen Absturz. Er hat nicht, wie viele seiner Generation, alles
abgespalten. Im Film sagt er: Sein Kopf wurde im Krieg zurechtgeschossen.
Besser kann man einen schmerzhaften Erkenntnisprozess nicht beschreiben. Er
hat es bearbeitet …
… und benutzt. Die Tataren-Legende ist eine handfeste biografische
Verzerrung, die die Realität des Vernichtungskriegs schönt. Warum
problematisiert der Film das nicht?
Das fehlt ja nicht. 1978 kommentiert er die Tataren-Geschichte mit dem
Satz, dass er nicht bei vollem Bewusstsein war. In den USA klingt es ein
Jahr später wie eine Tatsache. Beuys selbst produziert also zwei
abweichende Erzählungen. Er strickt nicht an einer lückenlosen Legende,
sondern kreiert eine doppelbödige, ironische Konstruktion. Beide Varianten
sind im Film zu hören. Ich wollte sein kompliziertes Verhältnis zur NS-Zeit
subtil erzählen, um das Brüchige darin sichtbar zu machen.
War das so brüchig? Noch 1980 rechtfertigte Beuys seinen freiwilligen
Dienst in der Wehrmacht, weil er keine „feige, pazifistische Haltung
einnehmen“ wollte.
Beuys hat sich immer zu seiner Zeit in der Wehrmacht bekannt, desertieren
wäre für ihn nie in Frage gekommen. Aber er hat sich früher als viele
andere Künstler mit Auschwitz beschäftigt. 1957 reichte er einen Entwurf
für ein Auschwitzmahnmal ein. Bemerkenswert ist, dass er diesen Entwurf
kurz nach seiner tiefen, drei Jahre währenden depressiven Krise entworfen
hat. Er hatte damals wochenlang sein Zimmer nicht verlassen, war
verwahrlost, legte sich in eine schwarze gummierte Kiste und las als
einziges Buch das Tagebuch der Anne Frank. In den 60er Jahren stellte er
die „Auschwitz Demonstration“ her, die er mit den Worten kommentierte,
dass der Schrecken von Auschwitz nicht darstellbar, nicht bewältigbar ist.
Das wird im Film nur angetippt. Warum?
Es gibt Unmengen von Material zu Beuys’ Verhältnis zur NS-Zeit. Ich hätte
alles – die Vorwürfe, Beuys’ Auseinandersetzungen mit Schuld, die
Tataren-Legende – ins Zentrum rücken können. Wir haben eine 30-minütige
Passage montiert, die Beuys’ Verhältnis zur NS-Zeit auserzählt. Die haben
wir am Ende auf zehn Minuten kondensiert.
Warum?
Ich finde diesen Aspekt 2017 nicht mehr so wesentlich. Ich weiß, dass ich
mich damit angreifbar mache. Einen ausgewogenen Film zu machen, der die
bekannten kritischen Debatten nacherzählt, hat mich nicht interessiert.
Im Film kommen fünf Zeitzeugen zur Sprache, allesamt Weggefährten mit
freundlichem Blick?
Ich habe 22 Interviews geführt, auch mit dem Kunstkritiker Benjamin
Buchloh, der 1980 als Erster die Tataren-Legende als deutsche
Schuldverdrängung interpretierte. Buchloh hat in unserem Interview diese
scharfe Kritik zurückgenommen, weil er damals Beuys’ Auschwitz-Vitrine
nicht kannte.
Es gibt also keine Beuys-Kritiker?
Keine, die mir differenziert und interessant genug schienen.
Auch der Einfluss von Rudolf Steiner bleibt im Film unterbelichtet. Warum?
Steiner war nur eine Inspiration, neben Goethe, Novalis und Nietzsche. Der
Beuys-Biograf Hans-Peter Riegel reduziert ihn auf Steiner. Das ist zu eng.
Die Anthroposophen konnten mit Beuys’ Kunst übrigens nichts anfangen.
Was fasziniert Sie eigentlich an Beuys?
Zum Beispiel der Satz: Jeder ist ein Künstler. Beuys sah in jedem Menschen
das Potenzial, nicht das Defizit, sondern die Befähigung. Das ist in
unseren Zeiten der Selbstoptimierung ein radikaler Gedanke. Und er hat sich
hellsichtig mit dem befasst, was heute Finanzindustrie heißt.
Aber Beuys’ Kritik der Banken hat auch trübe Quellen. Kann man ihn, ohne
diese gegenaufklärerischen Traditionslinien zu reflektieren, als Visionär
präsentieren, der für uns heute noch wichtig ist?
Sein Satz, dass das Bankwesen eine neue Form des Parlamentarismus braucht,
ist eine aufklärerische Erkenntnis. Beuys transformiert das
Antiaufklärerische in Aufklärung – nämlich die Idee der gemeinsamen Arbeit.
Ich finde bei ihm nichts Völkisches. Seine Zeichnungen haben etwas sehr
Feines, Filigranes, unendlich fern von faschistischer Wucht. Der Film endet
mit der Aktion „7000 Eichen“. Beuys pflanzte 1982 zur documenta in Kassel
mit Helfern diese Bäume. Das ist eine Metapher – die Eiche, ein deutsches
Symbol, verwandelt in eines demokratischer Teilhabe.
17 May 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Joseph Beuys
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Tataren
Joseph Beuys
Kunst
Kino
Lesestück Recherche und Reportage
Kunst
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