# taz.de -- Veiels Film „Beuys“ im Wettbewerb: Hemmungslose Hagiografie | |
> Wir lernen nur, dass der Mann wahnsinnig charismatisch war. Und | |
> gewinnend. Und auf die Menschen zuging: Andreas Veiels Film „Beuys“. | |
Bild: Ganz auf Beuys Seite ist Andreas Veiels Film „Beuys“ | |
So cool wurde er selten in Szene gesetzt wie in der ersten Sequenz von | |
Andreas Veiels „Beuys“: sitzt auf einem Hocker und blättert in der | |
Filmkritik, während im Hintergrund „Clergy“ von den Fugs läuft. Leider | |
erfahren wir nicht, wer dem rastlosen Erweiterer des Kunstbegriffs diesen | |
Kontext gespendet hat, so wenig wie wir etwas über die Herkunft der | |
zahllosen folgenden Bilddokumente erfahren, auch wenn mancher Zusammenhang | |
sich aus bekannten Moderatorenstimmen erschließt; jedenfalls der Generation | |
50+. | |
Kontext hat einen schweren Stand in dieser hemmungslosen Hagiografie. Wir | |
lernen vor allem, dass der Mann wahnsinnig charismatisch war. Und | |
gewinnend. Und auf die Menschen zuging. Er konnte toll lächeln, was man | |
mindestens 20-mal sieht. Wer es nicht sieht, kann es sich hier von Ulrich | |
van der Grinten oder Klaus Staeck sagen lassen, die das gerne bestätigen: | |
Der Mann hatte Charisma. | |
Es gibt keinen Off-Kommentar. Fünf dem Meister extrem wohlgesinnte | |
Weggefährten kommen sparsam zu Wort. Den Rest besorgt das zur Verfügung | |
stehende Material von Performances, öffentlichen Diskussionen, | |
Fernsehauftritten, Interviews aus der BRD und den USA. Beuys als lachender | |
Provokateur, als Virtuose der inkonsistenten Rede, des mal sympathischen | |
und dann wieder unerträglichen Begriffs-Hopping. | |
Nur in Amerika fühlt mal jemand dem Schamanen kritisch auf den Zahn – und | |
erntet als Antwort ein charismatisches Lächeln und ein „Doch!“ oder „Ja, | |
das sehen Sie so!“. Nur in Deutschland, wo sich junge Künstler_innen noch | |
an Arnold Gehlen abarbeiten müssen, löst solch fröhliche | |
Argumentverweigerung so gewaltige und zustimmende Heiterkeit aus. | |
## Alternative zur Humorlosigkeit der Linken | |
Natürlich hat Beuys andere Verdienste, als „über Marx hinausgegangen zu | |
sein“ (ein Zeitzeuge), und warum sollte jeder Mensch ein Intellektueller | |
sein? Aber der Film tut so, als wäre der alles anfassende und infizierende | |
Beuys-Geist nicht in erster Linie eine künstlerische Lockerungsübung, | |
sondern, wie der Regisseur denn auch in der Presse zu Protokoll gibt, die | |
Alternative zur vermeintlichen Humorlosigkeit der Linken. | |
Aber wie hat sich Beuys denn zu den echten Linken verhalten, wie kam | |
überhaupt die Welt um ihn herum bei ihm vor: Was konnte man denn in den | |
1960er und 70er Jahren wissen, vor allem in der Kunst? Wie verhielt er sich | |
zu den kritischen Intellektuellen, die in den USA um ihn herum konzeptuelle | |
Kunst entwickelten, wie zu den Kolleg_innen des Fluxus? Hat er verstanden, | |
was er in der Filmkritik las? | |
Beuys wird hier eher nostalgisch von der provinziellen Öffentlichkeit der | |
alten BRD her konstruiert, nicht von einer globalen Kunst. Die Patina sich | |
auflösender MAZ-Bilder und die Papageifarben der ersten | |
Nordmende-Color-Generation rahmen ihn ein, während lustige Vögel von früher | |
durch die Bilder schlüpfen: Ein noch ganz zugewachsener Henryk M. Broder | |
bemerkt (einmal im Leben zu Recht), dass „politisch arbeitende Menschen“ | |
mit Beuys’ Programm nichts anfangen können, oder der vor Ewigkeiten | |
verstorbene, apfelförmige FAZ-Magazin-Kolumnist Johannes Gross ist als | |
Eröffnungsredner bei einer Warhol-Ausstellung zu sehen. | |
## Es fehlt: der „hässliche Beuys“ | |
Was ganz fehlt, ist der „hässliche Beuys“: der Anthroposoph, Esoteriker, | |
Spitzenkandidat der AUD und Erfinder seiner biografischen Legenden. Dabei | |
wäre eine kritische Würdigung genau das, was einer zwischen religiöser | |
Verehrung, Dämonisierung und komplettem Desinteresse in falschen | |
Alternativen festgefahrenen Beuys-Rezeption gut täte: eine kritische | |
Würdigung, die die Politik dieses Künstlers vor dem Hintergrund dessen | |
entfaltet, was es um ihn herum gab und was nur durch ihn. | |
15 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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