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# taz.de -- Diskussion um Interview mit Neonazi: „Ich traue meinen Hörer*inn…
> Der Sender NPR hat ein Interview mit einem Neonazi gesendet und dafür
> viel Kritik geerntet. NPR-Journalistin Gladstone verteidigt die
> Entscheidung.
Bild: Gladstone redet auch mal mit Rechten, wenn es sein muss
taz: Frau Gladstone, das öffentlich-rechtliche Radio NPR steht in der
Kritik, weil ein Neonazi on air seine Rassentheorien ausbreiten durfte. Es
geht um die Sendung Ihrer Kollegin Noel King mit „Unite the
Right“-Initiator Jason Kessler vergangene Woche. „[1][NPR zeigt, wie man
Neonazis pflegt und füttert]“, kommentierte etwa die „Washington Post“. …
berichten seit vielen Jahren über Journalismus. Teilen Sie diese Kritik?
Brooke Gladstone: Ich halte nichts von der Vorstellung, dass diese Leute
nicht gehört werden sollten. Denn es gibt sie ja, und was sie tun, hat
Auswirkungen. Ich habe allerdings sehr wohl eine Meinung dazu, auf welche
Weise man mit ihnen auf Sendung verfahren sollte. Neulich erst hat ein
Kollege mit dem Anwalt [2][des Verschwörungstheoretikers Alex Jones]
gesprochen, der auch den Herausgeber des Neonazi-Mediums Daily Stormer
vertritt. Unsere Aufgabe ist, uns zu Stellvertreter*innen unseres Publikums
zu machen. Und wer ist dieses Publikum? Sicherlich keine Neonazis, aber
Menschen, die wegen dieses Problems besorgt sind.
Schön und gut, aber geht es nicht zu weit, wenn jemand im
öffentlich-rechtlichen Radio sagen darf, [3][dass diese oder jene „Rassen“
intelligenter seien als andere], so wie im Interview vom Freitag?
Wenn man sich sein Publikum als ein Haufen treudoofer Schafe vorstellt,
dann mögen Sie recht haben. Ich traue meinen Hörer*innen ein bisschen mehr
zu. Und sie haben ein Recht zu erfahren, was Neonazis denken. Wie gesagt,
sie brauchen jemand als Stellvertreterin, die an ihrer statt dagegenhält,
so gut sie es eben kann. Wir haben natürlich nicht regelmäßig Neonazis in
der Sendung – ich kann die Fälle an einer Hand abzählen. Aber wenn wir sie
einladen, achten wir darauf, dass es nicht einfach ein Forum für sie ist,
sondern eine Chance für uns, ihnen zu widersprechen. Wir haben übrigens im
Frühjahr genau das [4][in meiner Sendung thematisiert]: Wie sollen
Journalist*innen mit den „White Supremacists“ umgehen?
Und was ist Ihre Antwort?
Die Neonazis sehen natürlich jedes Interview als Möglichkeit zur
Rekrutierung, das sollte jeder Journalist*in klar sein. Sie sind
meisterhaft darin, Medien zu manipulieren. Sie verlassen sich darauf, dass
Journalist*innen sie nicht verstehen und sie nicht verstehen wollen – dass
sie einfach nur über sie richten, ohne sie zu kennen. Solche
Journalist*innen sind leichte Beute. Es birgt also ein Risiko – aber ein
größeres Risiko wäre, so zu tun, als gäbe es sie nicht.
Was, wenn es nicht darum geht, ob es sie gibt oder nicht gibt – sondern um
die Frage, ob man sie größer macht als sie sind? Neonazi-Rallyes wie „Unite
the Right“ am Sonntag sind Riesenthemen. [5][Es kamen aber keine 400,
sondern 24]. Gehen wir denen in die Falle?
Das ist eine berechtigte Frage. Als ich Ende der 80er zu NPR kam, wurde
gerade heftig diskutiert, wie man über den Ku Klux Klan berichten sollte.
Bei jedem einzelnen Aufmarsch waren die Klansleute verglichen mit den
Gegendemonstrant*innen massiv in der Unterzahl. Es war ein Zirkus, und es
war Werbung. Viele sagten damals, dass so etwas keine Berichterstattung
verdient – und ich stimme dem zu. Mit den Bewegungen nach
[6][Charlottesville] hingegen verhält es sich anders. Die Bewegung, mit der
wir es jetzt zu tun haben, hat politischen Einfluss. Ihre Mitglieder
[7][kandidieren zum Teil für den Kongress]. Dazu kommt: Die Annahmen
darüber, was US-Amerikaner*innen denken und wie sie sich äußern wollen,
haben sich verändert.
Wie meinen Sie das?
Ich spreche von der trumpisierten Welt. Der Präsident legt Wert darauf, die
Rechte zu normalisieren. Denken Sie beispielsweise [8][an seine Aussage
über die Gewalt „auf vielen Seiten“] nach dem tödlichen Ausgang von
Charlottesville. Wenn der Präsident so etwas sagt, verändert das die
grundsätzlichen Annahmen darüber, was erlaubt ist – und wer wir sind.
Sie sind der Ansicht, dass man die Hörer*innen darüber informieren muss,
was Neonazis denken. Ist das nicht klar? Muss man sie dafür in ein Mikro
sprechen lassen?
Es geht nicht so sehr darum, was sie denken, sondern wie – ich mache da
einen Unterschied. Sie reden gerne davon, dass „die Natur“ irgendetwas
„vorgesehen“ hätte – man muss einfach verstehen, dass das ihre Art ist,
ihre Botschaft gefälliger zu machen. Dafür braucht es dann einen
Journalisten, der vorbereitet ist und dagegenhalten kann, der unterbricht:
„Halt, das ist doch Blödsinn, und ich sage Ihnen auch warum“. Ich halte das
für eine wunderbare Gelegenheit, mit ihren typischen Argumentationen
aufzuräumen. Ich muss noch mal betonen, das wir diese Leute äußerst selten
einladen. Ein paarmal erst, seitdem Trump gewählt wurde – das ist zugegeben
mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen. Ich stimme Ihnen absolut zu,
dass diese Leute viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich bin absolut
dagegen, eine Grundregel einzuführen, dass man sie nicht anhören darf.
Überhaupt bin ich gegen Grundregeln. Nach 35 Jahren im Geschäft habe ich
nun wirklich jeden denkbaren Fehler gemacht, ich vertraue da inzwischen
einfach meinem eigenen Urteilsvermögen.
Macht es Sie traurig, dass eine Normalisierung von Neonazis voranschreitet
und Journalist*innen sich dem nicht entziehen können?
Diese Bewegung war schon immer da. Vielleicht ist der positive Aspekt der
jüngeren Entwicklung sogar, dass sie an die Oberfläche kommt und wir sie
auf diese Weise betrachten können. Dennoch: Werden die Grundlagen der
Demokratie gerade missbraucht, um gegen die Demokratie selbst zu arbeiten?
Absolut. Es ist ein Kampf, den wir niemals ganz gewinnen werden – aber ihn
zu verlieren, können wir uns nicht leisten.
16 Aug 2018
## LINKS
[1] https://www.washingtonpost.com/blogs/post-partisan/wp/2018/08/11/npr-teache…
[2] /Alex-Jones-in-Sozialen-Medien-gesperrt/!5524125
[3] https://www.npr.org/2018/08/10/637390626/a-year-after-charlottesville-unite…
[4] https://www.wnycstudios.org/story/on-the-media-2018-03-02/
[5] /Proteste-am-Jahrestag-von-Charlottesville/!5527348
[6] /Film-ueber-Charlottesville/!5460825
[7] https://www.vox.com/2018/7/9/17525860/nazis-russell-walker-arthur-jones-rep…
[8] /Kommentar-Rechter-Terror-in-den-USA/!5439444
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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