# taz.de -- Unregelmäßigkeiten auf Facebook: Verschwundene Freunde | |
> Kerem Schamberger berichtet kritisch über die Türkei. Plötzlich | |
> verschwinden auf Facebook immer mehr Freunde und Follower – nicht nur bei | |
> ihm. | |
Bild: Protest in München: Kerem Schamberger fordert die Freilassung in der Tü… | |
Kerem Schamberger dokumentiert seit 53 Tagen seinen Abonnent*innenverlust | |
auf Facebook. Der 31-jährige Kommunikationswissenschaftler aus München | |
teilt täglich Nachrichten über die politische Lage in der Türkei mit seinen | |
Follower*innen, weist vor allem auf Menschenrechtsverletzungen hin. Das | |
stößt auf Interesse, etwa 20.600 Menschen hatten seine Seite noch vor | |
einiger Zeit abonniert. Doch in den vergangenen zwei Monaten sind etwa | |
5.000 dieser Interessierten verloren gegangen; an einigen der von ihm | |
dokumentierten Tage sank die Zahl um bis zu 200. Und das nicht zufällig, | |
ist Schamberger überzeugt. | |
Die Menschen interessierten sich nun mal nicht mehr so für die Türkei, habe | |
ein Pressesprecher von Facebook ihm zur Erklärung gesagt, berichtet | |
Schamberger. Inzwischen kämen nun mal viele „gute Nachrichten aus dem | |
Land“. Die Nutzer*innen hätten ihre Abonnements wohl freiwillig gekündigt. | |
Auch sei es möglich, dass doppelt angelegte oder Fake-Profile gelöscht | |
worden seien. Beide Erklärungen sind unwahrscheinlich; denn inzwischen | |
melden sich immer mehr Facebook-Nutzer*innen bei Schamberger und berichten, | |
ihre Abonnements seien gegen ihren Willen und ohne ihre Kenntnis gekündigt | |
worden. Einige von ihnen kenne er persönlich, sagt Schamberger. | |
Einer dieser Nutzer ist Mehmet Şahin aus Österreich. Es klingt wie eine | |
abstruse Verschwörungstheorie rechter Trolle: Şahins Abo von Schambergers | |
Seite sei verschwunden, berichtet er gegenüber der taz, dafür habe er | |
plötzlich die Facebook-Seite von ÖVP-Chef Sebastian Kurz abonniert. Nachdem | |
der 20-jährige Student Anfang November bemerkt hatte, dass sein Abonnement | |
entfernt wurde, informierte er Schamberger und abonnierte ihn erneut. „Ich | |
finde solche linksgerichteten, aufklärende Seiten gut und folge ihnen“, | |
sagt er. | |
Ein anderer Nutzer, Hüseyin Gökçen, berichtet, dass ihm die | |
Facebook-Freundschaft mit Kerem Schamberger gekündigt wurde: „Wir wurden | |
einfach entfreundet. Weder ich noch Kerem wussten davon.“ Der 25-jährige | |
Student aus Frankfurt bemerkte dem Umstand Ende Oktober und informierte | |
Schamberger. | |
## Facebook ist unkooperativ | |
Ebenfalls entfreundet wurde Rojda Aslan, eine 25-jährige Lehrerin aus | |
Bochum, die aus Sicherheitsgründen ihren richtigen Namen nicht nennen will. | |
Alle drei Nutzer*innen, mit denen die taz gesprochen hat, haben Schamberger | |
erneut abonniert – die Einschätzung des Pressesprechers, dass sie selbst | |
sich aus mangelndem Interesse abgewandt haben, scheint also mindestens | |
ungenügend. | |
„Inzwischen halte ich es für einen bewussten Prozess, dass die Reichweite | |
türkeikritischer Nachrichten von Facebook begrenzt wird, und das unter dem | |
Deckmantel des Kampfes gegen Fake-News“, sagt Schamberger der taz. Seit | |
einiger Zeit dokumentiert der den Rückgang akribisch, macht Screenshots und | |
veröffentlicht auch die Nachrichten entfreundeter oder entfollowter User an | |
ihn. Schamberger hat bei Facebook eine Übersicht seiner Daten angefordert – | |
doch obwohl er seit zehn Tagen wartet, geschieht nichts. Das Team des Blogs | |
Netzpolitik.org, [1][das auch über den Fall berichtet hat], hat diese Daten | |
testweise auch für seine eigenen Accounts angefordert – das habe jeweils | |
maximal 14 Minuten gedauert. | |
Schamberger ist nicht der erste Facebook-Nutzer, der diese Meinung | |
vertritt: Schon 2013 wurde [2][auf der Petitionsplattform Change.org eine | |
Kampagne gestartet], die Mark Zuckerberg und Facebook aufforderte, die | |
Zensur von Kurd*innen einzustellen: „Für die Regierung der Türkei löscht | |
Facebook den Inhalt kurdischer Seiten. Kurdischen Politiker*innen und | |
Aktivist*innen aus der Türkei und aus Rojava werden die Facebook-Seiten | |
gesperrt und die Inhalte gelöscht“, hieß es dort. | |
So sei auch die Facebook-Seite der PKK-nahen kurdischen Zeitung Yeni Özgür | |
Politika, deren Redaktion in Frankfurt sitzt, gelöscht worden. Facebook | |
habe damals betont, keine speziell auf kurdische Inhalte ausgerichtete | |
Strategie zu verfolgen; allerdings müsse Facebook im Rahmen der jeweiligen | |
nationalen Gesetze arbeiten, berichteten die Petent*innen nach einem | |
Treffen mit einem Facebook-Mitarbeiter. | |
## Bürokratische Ausflüchte | |
[3][2016 berichtete der britische Guardian], die Facebook-Seite des | |
Londoner Sachbuchverlags ZED Books sei gelöscht worden, nachdem der Verlag | |
türkeikritische Artikel veröffentlicht und Posts über die Arbeiterpartei | |
Kurdistan (PKK) gepostet hätte. Facebook hatte jedoch die Vorwürfe | |
zurückgewiesen. Auch im Fall von Kerem Schamberger versicherte ein | |
Pressesprecher dem Betroffenen gegenüber, dass Facebook ihn nicht zensiere: | |
„Facebook ist eine neutrale Plattform, die für Offenheit und das Recht auf | |
Meinungsfreiheit steht“, heißt es in einer Mail aus dem Schriftverkehr | |
zwischen Schamberger und dem Unternehmen. | |
Doch wer steckt dann dahinter? In Berlin operiert ein Löschzentrum von | |
Facebook, das von dem Bertelsmann-Unternehmen Arvato betrieben wird. Ob die | |
Mitarbeiterinnen technisch dazu in der Lage wären, solche Maßnahmen | |
durchzuführen, ist unklar. Auf Nachfrage erklärt Facebook, das grundlose | |
Verschwinden von Abonnent*innen sei unerklärlich. Ansonsten beharrt die | |
Pressestelle auf allgemeinen Aussagen: „Wir haben klare, festgelegte | |
Richtlinien, wie die Gemeinschaftsstandards von unseren Teams rund um die | |
Welt angewendet werden, wenn uns Beiträge gemeldet werden. Die konsequente | |
Umsetzung und Einhaltung dieser Richtlinien werden regelmäßig von uns | |
überprüft“, sagt eine Facebook-Sprecherin. | |
Aktuelle Untersuchungen hätten bisher keine technischen Fehler gezeigt, | |
hatte ein Facebook-Sprecher Schamberger versichert. Man werde ihn weiter | |
auf dem Laufenden halten. Eine Antwort, die Schamberger nicht | |
zufriedenstellt. Solange es keine bessere Erklärung gibt, werden er und | |
viele andere weiter vermuten, dass es sich um eine gezielte Kampagne gegen | |
Türkeikritiker*innen handelt. Sollte dem nicht so sein, hätte Facebook ein | |
wirksames Mittel, um Skeptiker*innen zu überzeugen: mehr Transparenz. | |
10 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://netzpolitik.org/2017/ziemlich-schnell-entfreundet-tuerkei-kritiker-… | |
[2] https://www.change.org/p/mark-zuckerberg-ceo-of-facebook-stop-censoring-kur… | |
[3] https://www.theguardian.com/technology/2016/may/13/facebook-turkish-governm… | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Meta | |
Kurden | |
Fake News | |
Schwerpunkt AKP | |
Schwerpunkt Meta | |
Schwerpunkt Meta | |
Schwerpunkt Meta | |
Schwerpunkt Meta | |
Kurden | |
Alt-Right-Bewegung | |
Kurden | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt Meta | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Das Ende eines Facebook-Accounts: Tschüss! | |
Daten sind Facebooks liebstes Ding. Das Netzwerk sammelt, analysiert, | |
verkauft. Davon hat unser Autor jetzt genug. Ein Abschiedsbrief. | |
Debatte Facebook und Chinas Zensur: Der Preis ist zu hoch | |
Facebook will sich 700 Millionen potenzielle Nutzer in China nicht entgehen | |
lassen. Das Netzwerk muss sich deshalb den dortigen Behörden fügen. | |
Kerem Schamberger und Facebook: Das Rätsel um die verlorenen Follower | |
Facebook erklärt den mysteriösen Followerschwund auf der Seite des linken | |
Aktivisten mit deaktivierten Accounts. Das wirft neue Fragen auf. | |
Hausdurchsuchung bei Aktivist: „Die Handlanger Erdoğans“ | |
Kerem Schamberger soll Fahnen syrisch-kurdischer Organisationen im Internet | |
gepostet haben. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung. | |
Anita Sarkeesian über Hetzkampagnen: „Du musst nicht mit Nazis reden“ | |
2012 beschäftigte sich Anita Sarkeesian mit Frauen in Computerspielen. Nun | |
spricht sie über den Hass der „Gamergate“-Bewegung. | |
Kurden-Demonstration in Düsseldorf: Wegen Öcalan-Porträts gestoppt | |
Hunderte Demonstranten schwenkten verbotene Fahnen mit dem Bild des | |
PKK-Chefs. Die Polizei griff nach mehreren Aufrufen per Lautsprecher durch. | |
Kurdischer Politiker über seine Flucht: „Nur hier fühle ich mich sicher“ | |
Burhan Kocaman ließ seine Familie in Hamburg zurück, um Bürgermeister in | |
seiner Heimatstadt Karakoçan zu werden. Die türkische Regierung ließ ihn | |
verhaften. | |
Kritk an Facebook-Newsfeed: Die Aufmerksamkeitsdealer | |
Viele Menschen konsumieren Nachrichten via Facebook. Wer wegen dessen | |
Algorithmus auf das soziale Netzwerk schimpft, macht es sich zu leicht. |