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# taz.de -- Pressefreiheit in Kuba: Endlich sichtbar werden
> Journalist*in sein in Kuba war bisher gleichbedeutend mit der Arbeit in
> einem staatlichen Medium. Das ändert sich langsam.
Bild: Kuba öffnet sich langsam – das bedeutet aber noch keine Pressefreiheit
Neun Stockwerke über dem Malecón, der berühmten Uferpromenade von Kubas
Hauptstadt Havanna, liegt das Redaktionsbüro von OnCuba.
Seit fünf Jahren besteht die Redaktion dieses größten nichtstaatlichen
Mediums in Kuba – und es ist das einzige, das über eigene Büroräume mit
Internetanschluss verfügt. Denn eigentlich kann es nichtstaatliche Medien
in Kuba gar nicht geben.
Das sieht die Verfassung von 1976 vor, in deren Artikel 53 es heißt: „Jedem
Bürger wird die Freiheit des Wortes und die Pressefreiheit in
Übereinstimmung mit den Zielen der sozialistischen Gesellschaft garantiert.
Die materiellen Bedingungen für die Ausübung derselben ist garantiert durch
die Tatsache, dass die Presse, das Radio, das Fernsehen, das Kino und
sonstige Massenkommunikationsmittel staatliches oder gesellschaftliches
Eigentum sind und in keinem Fall Privatbesitz sein dürfen.“
Journalist*in sein in Kuba war demnach quasi gleichbedeutend mit der Arbeit
in einem staatlichen Medium. War – denn im Zuge des etwas erleichterten
Internetzugangs auf der Insel und im Nachgang zum Boom von individuellen
Blogs sind in den letzten fünf Jahren eine ganze Reihe [1][alternativer
Medienprojekte] entstanden.
## Journalismus statt Aktvismus
Da ist etwa Periodismo de Barrio, gegründet von der Journalistin [2][Elaine
Díaz]. Sie war Hochschullehrerin der Uni Havanna, bekam als erste
Kubanerin ein Stipendium für Harvard, sparte ein Jahr lang genug Geld, um
sich nach der Rückkehr ihren Traum zu erfüllen: ein eigenes digitales
Medium, das mit dem Themenschwerpunkt strukturschwache Gemeinden dem
kubanischen Investigativ- und Reportagejournalismus eine neue Heimat gibt.
Seit September 2015 ist das Projekt online, und Reporterin Monica Baró war
mit einem dort erschienenen Bericht Finalistin beim
Gabriel-Garcia-Márquez-Preis – der wohl bedeutendsten journalistischen
Auszeichnung in Lateinamerika.
El Estornudo kam dazu, eine Plattform, die sich dem erzählenden
Journalismus widmet, Chachivache Media, die sich mehr um kulturelle Themen
kümmern. Kürzlich ging Postdata an den Start, ein kleines Projekt des
Datenjournalismus.
Was alle eint: Sie verwirren die Behörden, denn sie lassen sich in die
klassischen Schwarz-Weiß-Kategorien des Für oder Wider die Revolution nicht
einordnen. Sie sind nicht oppositionell wie das seit Jahrzehnten von der
US-Regierung finanzierte Radio Martí oder das in Madrid ansässige Diario de
Cuba. Sie veröffentlichen keine Pamphlete, sind keine Sprachrohre der
klassischen Dissidentenszene, und ihre MitarbeiterInnen wollen Journalismus
betreiben, keinen Aktivismus.
## Keine Sperrung aber auch keine Reichweite
Ihre Nische ist das Internet – und im Unterschied etwa zu Radio Martí,
Cubanet oder dem von der Bloggerin Yoani Sánchez gegründeten 14ymedio sind
ihre Seiten auch in Kuba nicht gesperrt. Die Texte, die sie
veröffentlichen, provozieren dennoch – denn in Stil wie Inhalt würden sie
so in den Staatsmedien nicht erscheinen. Das Medienmonopol des Staates – es
besteht formell fort, ist in der Praxis jedoch längst nicht mehr vorhanden.
Für die breite Öffentlichkeit in Kuba sind diese Medien dennoch kaum
sichtbar.
Der Parque Cespedes in Santiago de Cuba, ganz im Osten der Insel, ist seit
rund eineinhalb Jahren einer der inzwischen in allen Städten vorhandenen
öffentlichen WLAN-Zugangspunkte. Dutzende KubanerInnen sitzen hier
allabendlich auf den Parkbänken und verbinden sich über ihre Smartphones
mit dem Netz. Das ist teuer: Eine Stunde Internet kostet umgerechnet noch
immer knapp zwei Dollar – fast ein Zehntel eines normalen Staatgehalts.
Wer sich da verbindet, liest keine langen Texte. Ganze Familien kommen in
den Park, Kinder und Haustiere werden vor die Handy-Kamera gehalten, wenn
über die App Imo – Skype funktioniert in Kuba nicht – mit den Verwandten in
den USA geplauscht wird. Manch einer hat Glück und Familienangehörige laden
von dort aus das Internet-Guthaben wieder auf – eine Möglichkeit, die das
staatliche Telekommunikationsunternehmen Etecsa seit einiger Zeit anbietet.
Dennoch: Internet heißt für die allermeisten KubanerInnen Imo, Facebook und
Mails, nicht Recherche oder Nachrichten.
## News im Wochenpaket
Und so ist die eigentlich einzige Chance der Alternativmedien, mit ihren
Texten eine größere Verbreitung zu finden, das sogenannte Paquete Semanal.
Privat organisiert, in einer rechtlichen Grauzone, aber bislang stets
geduldet, verbreitet das „Wochenpaket“, eine externe Festplatte mit rund
einem Gigabyte Daten, für ein paar Pesos Filme, die neuesten Serien,
Unterhaltung – aber eben auch Nachrichten.
OnCuba-Artikel finden sich dort, auch Texte aus anderen Alternativmedien
kommen so offline unter die Leute. Aber auch das Paquete hat ein
Geschäftsmodell zu behüten, will die staatliche Duldung nicht gefährden:
Keine Pornografie, keine Texte gegen die Regierung.
Das Problem der Alternativmedien: Offiziell gibt es sie gar nicht. Aufgrund
des oben zitierten Verfassungsartikels haben sie keine Möglichkeit, sich
registrieren zu lassen, und keiner ihrer Journalisten hat einen
Presseausweis oder genießt irgendeinen professionellen Schutz. Sie haben
keine Büroräume, gehen in den Parks ins Internet, arbeiten von zu Hause.
Anfragen an Behörden werden nicht beantwortet, die Recherche ist oft
schwierig. Und wenn es ganz dicke kommt, werden auch schon einmal
[3][Journalisten festgenommen] – so wie im vergangenen Jahr nahezu das
gesamte Team von Periodismo de Barrio, als sie nach dem Wüten des Hurrikans
Matthew nach Baracoa in der östlichen Provinz Guantánamo fuhren, um über
die Auswirkungen des Wirbelsturms zu berichten.
## Trick: Ein Korrespondentenbüro
Nicht zuletzt deshalb gibt es durchaus Neid auf die KollegInnen von OnCuba
und ihr schickes Büro am Malecón von Havanna. Der Trick von OnCuba: Es ist
kein kubanisches Medium. Gründer und Eigentümer Hugo Cancio ist vor vielen
Jahren in die USA ausgewandert – in der kubanischen Szene Miamis hat er
sich stets für eine Annäherung der Positionen und die Aufhebung der
Wirtschaftsblockade seitens der USA eingesetzt.
Zwei Jahre bevor Kubas Staatschef Raúl Castro und US-Präsident Barack Obama
im Dezember 2014 die [4][Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen] beider
Länder verkündeten, bekam Cancio vom Internationalen Pressezentrum in
Havanna die Akkreditierung für ein Korrrespondentenbüro seines neuen
Mediums OnCuba.
Firmensitz ist Miami, dort wird auch das monatlich gedruckte Magazin
produziert, das den Charterflügen aus den USA nach Kuba als Bordexemplar
beiliegt.
Die Redaktion aber, als „Korrespondentenbüro“, hat ihren Sitz in jenem
Bürogebäude mitten im Bezirk Vedado in Havanna.
## Mikrophone in der Decke
Monica Rivero ist Web-Redakteurin bei OnCuba, seit knapp einem Jahr. Sie
ist von Cubadebate gekommen, dem größten staatlichen Internetmedium Kubas.
Wie praktisch alle, die für OnCuba oder eines der anderen neuen
alternativen Medienprojekte arbeiten, hat sie in Kuba Journalismus
studiert, anschließend einige Jahre in einem staatlichen Medium zugebracht,
um sich dann für den anderen Weg zu entscheiden.
OnCuba finanziert sich nicht zuletzt durch große Hochglanzanzeigen der
kubanischen Tourismusindustrie, von Havanna Club und anderen
Staatsunternehmen, auf den Seiten des in den USA gedruckten Magazins – das
freilich in Kuba selbst nicht vertrieben werden darf. Widersprüche.
Jahrelang hat OnCuba ein großes Netz von JournalistInnen auf der ganzen
Insel aufgebaut, die als freie Mitarbeiter für OnCuba schrieben. Bis zum
vergangenen Jahr ging das auch gut, dann wurde es den kubanischen Behörden
zu bunt. Einer nach dem anderen erhielten die festangestellten Journalisten
der Staatsmedien die Aufforderung, die Mitarbeit bei OnCuba oder einem der
anderen alternativen Medienprojekte einzustellen, falls sie ihren Job
behalten wollten.
## Die Debatte nach dem Brief
Richtig öffentlich wurde das im Juli 2016. Die im Basiskomitee der
Kommunistischen Jugend zusammengeschlossenen JournalistInnen der
staatlichen Provinzzeitung Vanguardia aus Santa Clara veröffentlichten
einen offenen Brief an die Journalistenvereinigung UPEC, in dem sie
begründeten, warum sie für andere Medien schreiben.
In Kurzfassung: Sie seien es satt, beständig unter Zensur und Selbstzensur
zu leiden, genössen es, endlich schreiben zu können, was sie wollen, und
Journalismus so betreiben zu können, wie sie es an der Uni gelernt haben,
und darüber hinaus seien sie auch darauf angewiesen, ihr Gehalt
aufzubessern.
Das liegt für junge Journalisten im Staatssektor bei umgerechnet rund 25
US-Dollar im Monat. Ein bei OnCuba veröffentlichter Text wird mit knapp 10
Dollar vergütet.
Mit dem Brief der Vanguardia-MitarbeiterInnen war die öffentliche Debatte
eröffnet. Für sich selbst haben sie einiges erreicht – doch der Druck auf
JournalistInnen in Staatsmedien blieb. Erst Anfang Mai zum Beispiel wurden
die drei Schreibenden der Zeitung Adelante, Provinzzeitung von Camagüey,
die auch für OnCuba oder andere Alternativmedien schrieben, vor ein kleines
Tribunal geladen: Wenn sie damit nicht aufhören würden, könnten sie sich
einen anderen Job suchen, wurde ihnen unmissverständlich mitgeteilt.
## Die Trennlinie bleibt
„Mit der Revolution geht alles, gegen die Revolution geht nichts“. Der
berühmte Satz aus einer Rede des im vergangenen Jahr verstorbenen
Revolutionsführers Fidel Castro von 1961 ist, was die staatliche
Medienpolitik leitet.
Und was innerhalb oder was gegen die Revolution ist, definieren nicht die
JournalistInnen der Alternativmedien selbst – etliche davon übrigens
solche, die während ihrer Zeit in den Staatsmedien mit kubanischen
Journalistenpreisen ausgezeichnet wurden.
Was nicht zu kontrollieren ist, ist gegen die Revolution, ganz einfach. Das
staatliche Medienmonopol ist weg, aber zumindest diese Trennlinie lassen
sich die Behörden nicht nehmen. Wo käme man denn da hin?
30 May 2017
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## AUTOREN
Bernd Pickert
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