# taz.de -- Journalisten auf Kuba: Warten auf die Freiheit | |
> Viele kubanische Journalisten hofften auf ein Ende von | |
> Menschenrechtsverstößen und Unterdrückung. Bisher vergebens. | |
Bild: Kritische Journalisten haben es schwer auf Kuba – Fernsehteams in Hava… | |
Havanna taz | Wenn man mit Roberto Guerra über Pressefreiheit in Kuba | |
sprechen will, sagt er erst einmal nichts. Er zeigt einfach ein Foto. Da | |
steht der rundliche Enddreißiger, verloren, irgendwo auf einer Straße in | |
Havanna. Das rechte Auge blau angeschwollen. Blut rinnt ihm aus der Nase, | |
aus dem Mundwinkel. Die Lippen sind aufgeplatzt. Das Bild stammt von Juni | |
2014. | |
Er sei damals auf dem Weg zur tschechischen Botschaft gewesen, erzählt | |
Guerra, er wollte Artikel auf sein Nachrichtenportal laden. In der | |
tschechischen Botschaft darf er umsonst ins Internet, anderswo ist es zu | |
teuer für ihn. In den Texten ging es um Menschenrechtsverstöße der | |
kubanischen Behörden. Um Polizisten, die Oppositionelle misshandelten und | |
einsperrten. Um Agenten der Staatssicherheit, die kritische Journalisten | |
wie ihn bespitzelten und bei der Arbeit behinderten. | |
Aber an diesem Mittwoch im Juni 2014 wird Guerra seine Artikel nicht | |
hochladen können. Kurz vor der Botschaft nähert sich ihm ein groß | |
gewachsener Mann. „Bist du Roberto?“ Dann schlägt der Mann zu. Guerra sinkt | |
zu Boden. Der Mann tritt ihm gegen den Kopf, in den Bauch. Bis ein anderer | |
befiehlt, dass es jetzt genug ist. Er beugt sich über Guerra. „Jetzt siehst | |
du, wie es euch Oppositionellen ergeht.“ Die beiden fahren auf einem | |
Motorrad weg. Guerra bleibt blutend auf dem Boden liegen. Für ihn war der | |
Überfall nichts Neues. „Ich kannte den Täter sogar, er ist ein Agent der | |
Staatssicherheit.“ | |
Seit Guerra 2009 sein Nachrichtenportal Hablemos Press (übersetzt so viel | |
wie: „Lasst uns reden“) gegründet hat, sei so etwas regelmäßig vorgekomm… | |
„Mal haben sie mich in ein Auto gezerrt, mir die Augen verbunden und sind | |
stundenlang durch die Gegend gefahren. Mal hielten sie mir eine Pistole an | |
den Kopf. Mal sperrten sie mich tagelang ein und zertrümmerten meine | |
Kamera.“ | |
## Wohnung ist gleichzeitig Redaktion | |
Guerra sitzt in seiner heruntergekommenen Einzimmerwohnung im Zentrum | |
Havannas, als er seine Geschichte erzählt. Ein Computer mit | |
Flachbildschirm, eine Dose Instant-Kaffee, vier rote Plastikstühle. Die | |
Wohnung ist gleichzeitig Sitz seiner Redaktion, obwohl sie dafür eigentlich | |
viel zu eng geworden ist. Mittlerweile hat Hablemos Press etwa zwei Dutzend | |
Mitarbeiter. Sie berichten auch aus entlegenen Provinzen wie Guantánamo | |
oder Holguín, mit Videos, Texten und Tonbandaufnahmen. | |
„Wir wollen jeden Menschenrechtsverstoß in Kuba dokumentieren“, sagt | |
Guerra. „Jeder kann uns anrufen, dann fahren wir los und schauen, ob an der | |
Geschichte etwas dran ist. Wenn ja, berichten wir.“ Während des Gesprächs | |
klingelt mehrmals das Telefon. | |
Eigentlich sollte Guerra voller Hoffnung sein. Es ist ein Abend im | |
Frühjahr, der 17. Dezember liegt erst ein paar Wochen zurück. Das | |
kubanische Staatsfernsehen hatte an dem Tag Reden von Raúl Castro und | |
Barack Obama ausgestrahlt. Die Präsidenten kündigten an, Kuba und USA | |
wollten sich wieder annähern – nach 53 Jahren diplomatischer Eiszeit. „Wir | |
werden uns weiter für Menschenrechte und Demokratie auf Kuba einsetzen“, | |
hatte Obama gesagt. | |
Den Satz zitierte sogar die kommunistische Parteizeitung Granma. Kurz | |
darauf ließ die kubanische Führung um Raúl Castro 53 Dissidenten frei, | |
darunter einige Journalisten. Viele prophezeiten die Öffnung der Insel und | |
den Beginn der Meinungsfreiheit. Aber Guerra ist schon damals skeptisch: | |
„Ich denke, die Freilassungen sind nur ein Symbol, ein Täuschungsmanöver“, | |
sagt er zum Abschied. „Aber ich bin bereit, mich vom Gegenteil überzeugen | |
zu lassen.“ | |
## Nagelfeile in den Rücken | |
Sechs Monate später sieht es aus, als hätte Guerra recht behalten. | |
Kritische Medien aus Kuba und Menschenrechtsorganisationen berichten, 30 | |
Journalisten seien seit Anfang des Jahres festgenommen worden, mehr als | |
1.700 Dissidenten verhaftet. Das sind mehr, als im gleichen Zeitraum 2014 | |
festgenommen wurden – vor der Annäherung zwischen Kuba und den USA. Vor dem | |
Tag, der alles besser machen sollte. | |
Der Journalist Lázaro Valle Roca ist einer von ihnen. Eines seiner Videos | |
zeigt Polizisten, die in Havanna Lebensmittel von Händlern beschlagnahmen. | |
Bürger bleiben spontan auf der Straße stehen und protestieren dagegen. Bei | |
YouTube hat das Video mehr als 50.000 Klicks. Den Behörden war das offenbar | |
zu viel. Medienberichten zufolge wurde Valle Roca zusammengeschlagen, immer | |
wieder nehmen ihn Polizisten bei der Arbeit fest. Sie löschten seine Videos | |
und Handyfotos. | |
Oder Niober García. Der Videojournalist aus Guantánamo wurde der kritischen | |
Tageszeitung Diario de Cuba zufolge in einer Aprilnacht auf offener Straße | |
überfallen. Ein Mitarbeiter der Staatssicherheit habe ihm mit einer | |
Glasflasche auf den Kopf geschlagen und ihn dann mit einer Nagelfeile in | |
den Rücken gestochen. | |
## Folter und Vergewaltigungen | |
Tagelang lag García im Krankenhaus. Valle Roca und García sind inzwischen | |
wieder frei. Andere können davon nur träumen. Zwei Journalisten und ein | |
Buchautor wurden in den letzten Jahren zu Haftstrafen von bis zu 14 Jahren | |
verurteilt, die Annäherung an die USA hat daran nichts geändert. Einer der | |
Journalisten klagt über Folter und Vergewaltigungen im Gefängnis. | |
Im März klingelt Roberto Guerras Telefon. Die Stimme am anderen Ende sagt, | |
er solle aufhören, kritisch zu berichten. „Sonst musst du sterben.“ Da | |
beschließt er, die Repression nicht mehr hinzunehmen. Als Mitte Mai | |
François Hollande nach Kuba kommt, sieht Guerra seine Chance. Er glaubt, | |
dass der französische Präsident der richtige Mann ist, um den kubanischen | |
Journalisten zu helfen. 2003 hatte Hollande, damals Parteivorsitzender der | |
Sozialisten, in einer Zeitung die „rücksichtslose Brutalität des | |
Castro-Regimes“ angeprangert und Pressefreiheit in Kuba gefordert. | |
Nun schreibt ihm Guerra einen Protestbrief. Er will, dass Hollande jetzt, | |
als mächtiger französischer Präsident, sich daran hält, was er vor Jahren | |
geschrieben hat, und die kubanischen Journalisten unterstützt. „Wir sind | |
Misshandlungen und Gewalt ausgesetzt. Unsere Texte dürfen wir nicht einmal | |
drucken“, heißt es in Guerras Brief. „Helfen Sie uns.“ | |
## Stundenlang eingesperrt | |
Am 10. Mai, einem Sonntag, landet die französische Präsidentenmaschine in | |
Havanna. Es ist das erste Mal überhaupt seit der Revolution von 1959, dass | |
ein französischer Staatschef in Kuba ist. Hollande trifft Raúl und Fidel | |
Castro, hält eine Rede an der Universität und eröffnet den neuen Sitz der | |
Alliance Française, einer Art französisches Goethe-Institut. Die | |
Wirtschaftsvertreter in seinem Gefolge schließen fleißig Verträge ab: | |
Transatlantikflüge, Hotels, Logistik. Aber Oppositionelle oder Journalisten | |
trifft Hollande nicht. Es gibt nur ein schmallippiges Bekenntnis: Mit Rául | |
Castro, sagt der französische Präsident, habe er auch über Menschenrechte | |
gesprochen. | |
Kurz danach fliegt Roberto Guerra auf eine Konferenz nach Argentinien. Als | |
er zurückkommt, hat er das Buch einer kubanischen Dissidentin im Gepäck. | |
Dafür wird er stundenlang eingesperrt, der Inhalt des Buches sei | |
schließlich „konterrevolutionär“. Zu Hause wartet die nächste | |
Hiobsbotschaft: Sein Bruder, ebenfalls kritischer Journalist, muss bald zum | |
Verhör bei der Staatssicherheit. | |
23 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Benedikt Peters | |
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