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# taz.de -- Lebensmittelverschwendung in Berlin: Das Beste vom Reste
> Kreativ die Wegwerfgesellschaft kontern: Die „Guerilla Architects“ haben
> mit der Ausstellung „MehrWert“ ein müllfreies Restaurant kreiert.
Bild: Machen auf Verschwendung aufmerksam: Anja Fritz, Silvia Gioberti und Nike…
Eine Fastfood-Kette in Prenzlauer Berg. Wackelige rote Stühle, wackelige
rote Tische. Die Wände: knallig bunt. Über dem Tresen ist ein altbekanntes
geschwungenes „M“ zu sehen. Dahinter eine offene, gut sortierte Küche –
keine Frittenfettspritzer, sondern Fotos von Obst und Gemüsekompositionen
zieren die Wände. Hier gibt es weder Coffee to go noch aufgeweichte Pommes
samt Plastikpicker.
In der großen Junkfood-Kette ist man nicht gelandet. Tische und Stühle sind
aus recyceltem Holz und PVC gebaut: „Wir haben viele Sachen von der
Berliner Fashion Week. Dort hatten wir einen Job, und am Ende wird das
meiste abgebaut und einfach weggeschmissen. Das war ein richtiges
Gemetzel“, sagt Silvia Gioberti, die die Möbelreste hier wiederverwendet.
Gioberti ist Architektin, und sie ist Teil des internationalen Kollektivs
Guerilla Architects. Gemeinsam mit Nike Kraft und Anja Fritz, ebenfalls
beide Architektinnen aus Berlin, hat sie das MehrWert Restaurant in den
Räumen der Entretempo Kitchen Gallery installiert. In einer „fast
meditativen“ Arbeit hätten sie die Stühle und Tische, den Tresen und auch
die Dekoration aus recyceltem Material gebaut. Entstanden ist ein
müllfreies Restaurant.
Die Künstlergruppe Guerilla Architects macht so immer wieder auf ungenutzte
und verschwendete Ressourcen aufmerksam, entstanden ist die Gruppe nach
einer Hausbesetzung 2012 in London. Damals kritisierten sie die vielen
Leerstände in der englischen Hauptstadt, jetzt arbeiteten sie mit Abfall.
## Ein besserer Zugang?
Rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel und damit mehr als die Hälfte der
produzierten Lebensmittel werden jährlich in Deutschland weggeworfen. Was
kann man dem entgegensetzen? Wie geht man kreativ mit der
Wegwerfgesellschaft um?
Sogenannte Fairteiler, Umsonstläden oder Gartenprojekte sind nichts Neues,
sie versuchen seit Jahren und in vielen Städten die
Lebensmittelverschwendung zu begrenzen. Foodsharing-Initiativen gibt es
auch in Berlin zahlreiche.
Die Guerilla Architects setzen auf Aufklärung. Sie schauen sich die Gründe
für die Verschwendung an: Überproduktion, Lebensmittelnormen, schlechte
Lagerung. Letzteres ließe sich leicht vermeiden, meinen die Architektinnen
und geben Besuchern eine Liste mit Gemüsesorten und ihrer richtigen
Lagerung mit. Für den einen Monat, in dem das MehrWert-Restaurant geöffnet
ist, haben sie sich mehr vorgenommen, als nur mit gerettetem Essen lecker
zu kochen. Ihre Aktionstage adressieren das Problem aus unterschiedlichen
Perspektiven: „Das ist ein ernstes Thema, aber es ist nie gut, wenn sich
alle sofort an den Pranger gestellt fühlen. Durch unsere künstlerische
Ebene erhoffen wir uns, dass den Besuchern der Zugang leichter fällt“, sagt
Nike Kraft.
Eine klassische Ausstellung kam für sie nicht infrage: „Als Architektinnen
geht es für uns immer darum, Räume benutzbar zu machen. Uns war wichtig,
dass sie mit Inhalt gefüllt werden und ein Austausch stattfinden kann“,
ergänzt Anja Fritz. Deshalb gibt es unter anderem auch Aktionen und
Diskussionen mit Experten.
## Galerie wird zum Kino
So wird kommenden Sonntag aus der fairen Küche ein Kino. Regisseur und
Journalist Valentin Thurn wird seinen Film „10 Milliarden – wie werden alle
satt?“ zeigen. Mit dieser Frage reist er um die Welt: Er trifft Chefs von
Agrarkonzernen, besucht konventionelle und biologische Bauern etwa in
Indien oder Malawi, fährt zur Agrarbörse in Chicago und filmt in den
Niederlanden und in Japan die Produktion von Fleisch im Labor. Thurn stellt
in seinem Film unterschiedliche Lösungen in der Lebensmittelwirtschaft
gegenüber. In seinem bekanntesten Film, „Taste the Waste“, hat er sich
bereits mit den Ausmaßen der Verschwendung auseinandergesetzt. Thurn ist
außerdem Mitgründer der Plattform foodsharing.de, auf der sich Menschen
kostenlos überschüssiges Essen anbieten.
Die Ausstellung in der Entretempo Kitchen Gallery ist dabei beides,
Restaurant und Kunstraum. „Es kommen häufiger Leute rein und fragen, ob sie
hier was essen können“, sagt Nike Kraft. An ausgewählten Tagen kann man
das, zum Beispiel bei Live-Cookings mit mehreren Gängen aus Produkten, die
eigentlich auf dem Müll gelandet wären. Während einer Performance kann man
dabei mit den Kellnern ins Gespräch kommen. Nebenbei vermittelt das
hauseigene Radioprogramm auch Fakten zur Lebensmittelverschwendung.
Dass Kochabend und Party sich nicht ausschließen müssen, kann man dann
selbst im Rahmen einer Schnippeldisco austesten – geschält, geschnitten und
gehäckselt wird zu lauten Beats. Beteiligt ist die Berliner Gruppe SlowFood
und der Koch Wam Kat.
Das temporäre Restaurant wird immer wieder auch zum Ort, an dem sich
Akteure der „Food Szene“ vernetzen können und sich den Fragen der Berliner
stellen. Kein neues Konzept, aber die Aktionen zeigen, dass vermeintlicher
Abfall gut aussieht und gut schmeckt und tatsächlich auch noch mehr wert
ist.
[1][[Link auf https://entretempo-kitchen-gallery.com/portfolio/mehrwert/]]
3 Mar 2017
## LINKS
[1] https://entretempo-kitchen-gallery.com/portfolio/mehrwert/
## AUTOREN
Linda Gerner
## TAGS
Lebensmittelverschwendung
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