# taz.de -- Gerettete Lebensmittel: Die Mission und das Geschäft | |
> Erst verschenkten sie Essen, das sie vor dem Müll bewahrten. Jetzt machen | |
> zwei Aktivistinnen aus der Idee ein Geschäft. Das gibt, natürlich, Ärger. | |
Bild: Lebensmittel stehen nicht überall so reichlich zur Verfügung. Trotzdem … | |
Berlin taz | Bislang waren sie immer die Guten: Nicole Klaski und Ines | |
Rainer haben eine Mission. Seit Jahren bewahren die beiden Aktivistinnen | |
Lebensmittel vor dem Verfall – im Rahmen des Vereins Foodsharing. Die Idee: | |
Statt genießbare Lebensmittel wegzuwerfen, sollen sie lieber dorthin | |
geraten, wo andere sie noch verzehren können. | |
Nun aber haben die beiden Kölnerinnen ein Start-up namens The Good Food | |
gegründet. Und weil sie damit vor dem Verfall gerettetes Essen nicht nur | |
verteilen, sondern es – zu reduzierten Preisen – vor allem auch verkaufen | |
wollen, haben die beiden nun ordentlich Ärger: Bei Foodsharing, der mit | |
inzwischen rund 7.900 Mitgliedern größten Lebensmittelrettungsbewegung | |
Deutschlands, sorgt der Unternehmenssinn für Knatsch. Weil die Szene | |
größten Wert auf Unentgeltlichkeit legt, stehen Klaski und Rainer plötzlich | |
als die Bösen da. | |
Ein Beitrag im ARD „Morgenmagazin“ hatte den Verein aufgescheucht und die | |
Gründerinnen in Erklärungsnot gebracht: Denn dort wurde Klaski zunächst als | |
Foodsharing-Ehrenamtliche vorgestellt und begleitet, bis sich der Fokus | |
dann auf ihr Supermarkt-Start-up richtete. In dem Beitrag wird nicht klar, | |
ob die beiden Gründerinnen ihr unentgeltliches Lebensmittelretten vom | |
Geldverdienen trennen. | |
Die Nachricht hat manchen Foodsharer scheinbar kalt erwischt: „Euer Handeln | |
hat ganz tiefen Zweifel in mir hinterlassen, ob Ihr euer Business und | |
Foodsharing wirklich trennen könnt oder das jemals getan habt“, schrieb ein | |
Mitglied des Organisationsteams in einer internen Nachricht, die der taz | |
vorliegt. „Wurden eure Kontakte zu Betriebsketten etc. nicht doch für eure | |
Zwecke und zum Nachteil für Foodsharing genutzt?“ So schnell kann das | |
gehen, wenn die Mission zur Geschäftsidee führt. | |
Um weiteren Vorwürfen entgegenzuwirken, hat Nicole Klaski ihr Engagement im | |
Organisationsteam und in der Arbeitsgruppe, die mit den Vertriebsketten | |
über Lebensmittelabholungen verhandelt, aufgegeben. Auch Ines Rainer lasse | |
ihr Amt als Vizevorsitzende ruhen, geben die Gründerinnen an. | |
## Die Gründerinnen wehren sich gegen den Vorwurf | |
Inhaltlich aber wehren sich die beiden entschieden gegen den Vorwurf, die | |
Engagements zu vermischen: Weder hätten sie jemals für Foodsharing | |
gesammelte Lebensmittel verkauft, noch würden sie dies in Zukunft tun, | |
sagen sie. „Unsere bisherigen Kooperationen sind über eigenständige Akquise | |
und unabhängig von Foodsharing entstanden.“ Das Start-up setze an anderen | |
Punkten an und wolle eine Lücke schließen: Bei den Produzenten und im | |
Großhandel seien derartige Mengen abzuholen, dass Foodsharing sie nicht | |
bewältigen könne. | |
Diesen zweiten Ansatz hält auch Foodsharing-Gründer Raphael Fellmer für | |
sinnvoll. „Wir wissen auch, dass wir mit Foodsharing allein nicht alles | |
retten können“, sagt er. Auch wenn die Bewegung seit 2012 schnell gewachsen | |
ist und mit Größen wie Bio Company oder der Hamburger Drogeriekette | |
Budnikowsky kooperiert. Eine Vermischung von Geschäftemacherei und | |
Foodsharing sei bei dem gerade erst in der Planung steckenden Start-up | |
nicht aufgetreten. Hätten die Gründerinnen jedoch weiter ihre Ämter inne, | |
könnte andere das „Gefühl eines Interessenskonflikts“ beschleichen. | |
Tatsächlich hat zumindest Klaski noch nicht alle Aufgaben in der Initiative | |
aufgegeben: Sie hat etwa einen Minijob als Geschäftsführerin von | |
Foodsharing und ist weiterhin „Botschafterin“ für Köln, koordiniert die | |
Freiwilligen dort. | |
Passt das zusammen mit ihrem Geschäft? So ganz hat die Vereinsspitze das | |
für sich auch noch nicht geklärt, eine Entscheidung soll dazu noch fallen. | |
Denn trotz des Ärgers: Wohl kaum einer der Aktivisten würde eine Firma | |
verteufeln, die gegen die Verschwendung noch genießbarer Nahrung arbeitet. | |
Zudem sollte der Markt in Deutschland groß genug sein für beide: Immerhin | |
werden nach einer jüngsten Studie der Umweltschutzorganisation WWF in | |
Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. | |
Doch in der Bewegung gilt bislang: „Es dürfen keine Lebensmittel verkauft | |
oder als Tauschware genutzt werden“, wie es in einem | |
Online-Foodsharing-Nachschlagewerk heißt. Wer das nicht beachtet, kann für | |
die Internetplattformen der Gruppe gesperrt werden. Oder wie | |
Foodsharing-Vorsitzender Thurn unmissverständlich ausdrückt: „Wir sagen: | |
Leute, wer Essen aus Foodsharing-Abholungen verkauft, fliegt.“ Ob Klaski | |
und Rainer nun weiterhin zu den Guten zählen dürfen – das soll nun unter | |
den Aktivisten intensiv diskutiert werden. | |
2 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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