# taz.de -- EU-Gelder für afrikanische Staaten: Flüchtlinge aufhalten, um jed… | |
> Milliarden fließen nach Afrika, wenn dafür keine Menschen nach Europa | |
> kommen. Aber wie viel bezahlt die EU für den Grenzschutz-Service? | |
Bild: Vorbilder für die neuen Deals: Gaddafi und Berlusconi im Jahr 2004 | |
BERLIN taz | Mindestens 2.934 Millionen Euro – soviel haben europäische | |
Staaten und die EU seit Beginn des Jahrtausends nach taz-Berechnungen an | |
Regierungen in Afrika gezahlt oder ihnen bewilligt, um irreguläre Migration | |
zu bekämpfen. Hinzu kommen 3 bis 6 Milliarden Euro, die ab 2016 an die | |
Türkei fließen sollen, sowie weitere 7 Milliarden, die die EU Afrika bis | |
2020 in Aussicht gestellt hat. | |
Das Ziel ist immer das gleiche: Die Staaten sollen Flüchtlinge im Land | |
halten oder zurücknehmen. Das Ausmaß der dafür aufgewandten Mittel zu | |
berechnen, ist ein schwieriges Unterfangen. Selbstverständlich steht auf | |
den Überweisungsträgern nie „Flüchtlingsstop“. Jedenfalls meistens nicht. | |
Ausgegangen sind solche Bemühungen ab Beginn des letzen Jahrzehnts aus | |
naheliegenden Gründen vor allem von den Staaten mit EU-Außengrenzen: | |
Italien und Spanien. Die damals noch schwache EU-Generaldirektion für | |
Auswärtige Angelegenheiten DG RELEX trat dabei kaum in Erscheinung. 2010 | |
aber gründete die EU ihren „Auswärtigen Dienst“. Sie eröffnete Botschaft… | |
Botschaft, heute will die selbstbewusste Außenbeauftragte Federica | |
Mogherini Außenpolitik machen, als sei die EU selbst ein Staat. Die | |
Migrationskontrolle ist dabei eines der wichtigsten Projekte – jeder | |
Erfolg, den sie dabei verzeichnen kann, ist in Europas Hauptstädten nur zu | |
gern gesehen und schmilzt die Skepsis gegenüber Brüssels | |
Außenpolitik-Ambitionen ab. | |
Ob sie aus Brüssel, Rom oder Madrid kommen – grob sind drei Typen von | |
Zahlungen zu unterscheiden, die der Migrationskontrolle dienen. | |
## Spaniens Plan Africa | |
Da gibt es zum einen solche, die in in den Bereich klassischer | |
Entwicklungshilfe fallen. Das können Projekte für die Modernisierung der | |
Verwaltung sein, für den Ausbau eines Hafens, Bildung oder | |
Gesundheits-Infrastruktur – nichts, was mit Grenzschutz zu tun hätte. Doch | |
die können an die Bedingung geknüpft sein, dass Flüchtlinge gestoppt oder | |
zurückgenommen werden. | |
Das wichtigste Beispiel dafür waren die Programme des spanischen „Plan | |
Africa (I + II)“ ab 2004. Von 2004 bis 2008 vervierfachte Spanien sein | |
Hilfsgelder in Westafrika fast. Die „Official Development Assistance“, also | |
die Entwicklungshilfe, stieg im für Transitmigration wichtigen | |
westafrikanischen Raum um 529 Prozent. | |
So erhielten zum Beispiel Marokko 2005 bis 2010 insgesamt 430,2 Millionen | |
Euro an Entwicklungshilfe aus Madrid, Algerien 165,3 Millionen Euro, Mali | |
103,3 Millionen, Kap Verde 67,7 Millionen, Gambia 12,7 Millionen. Mit | |
Beginn der Krise nahmen die Zuwendungen nach und nach ab. Alle Länder | |
mussten sich zuvor verpflichten, ihren Grenzschutz zu intensivieren | |
(Näheres hierzu in den Länderreports Spanien, Senegal, Mali und | |
Mauretanien). | |
## Grenzposten geschenkt | |
Dann gibt es Zahlungen, die direkt für Infrastruktur geleistet werden, um | |
Grenzen aufzubauen. Bundesverteidigungsministerium und Auswärtiges Amt etwa | |
stellten 2016 Geld für die „Ertüchtigung“ von Staaten in Afrika bereit. | |
Tunesien bekam daraus 20 Millionen Euro, unter anderem für elektronische | |
Überwachung an der Grenze zu Libyen und die Ausbildung der Grenzpolizei. | |
2017 soll es für Tunesien weitere 40 Millionen geben. | |
Deutsche Bundespolizisten bilden tunesische Grenzschützer aus, die | |
Bundeswehr schickt Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. 2017 will | |
Deutschland mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärungssystemen | |
übergeben. Fünf Nachtüberwachungssysteme, 25 Wärmebildkameras, 25 optische | |
Sensoren und fünf Radarsysteme sind bereits nach Tunesien geliefert. Das | |
Land bekommt eine Hightech-Grenze praktisch umsonst (Näheres hierzu im | |
Länderreport Deutschland und Tunesien). | |
Ähnliches hatte Italien schon ab 1999 in Tunesien versucht, mit technischer | |
Hilfe für die Grenzpolizei im Wert von zunächst bescheidenen 20 Millionen | |
Euro. Doch dabei blieb es nicht. Die Überweisungen nach Tunis wurden | |
größer, 2008 dann schloss der neue Regierungschef Silvio Berlusconi den | |
„Freundschafts-, Partnerschafts- und Kooperationsvertrag“ mit Gaddafis | |
Libyen. Seit Jahren hatte Libyen Milliardenreparationen für Italiens | |
Kolonialverbrechen eingeklagt. Italien kam nun Gaddafi weit entgegen und | |
sagte den Bau sowie die Finanzierung eine Küstenautobahn von der Ost- zur | |
Westgrenze Libyens zu. Über 20 Jahre hinweg sollten jährlich 250 Millionen | |
Dollar an Libyen fließen. 2009 und 2010 dürfte die Summe geflossen sein – | |
dann kam die Revolution. | |
Schließlich gibt es Zahlungen dafür, dass Flüchtlingen und Migranten ein | |
Anreiz geboten wird, dort zu bleiben wo sie sind. Bekanntestes Beispiel | |
dafür sind die Milliarden für die Türkei. Dazu zählt aber auch der mit rund | |
2,4 Milliarden Euro ausgestattete EU-Trustfonds für Afrika. Im November | |
2015 hatte die EU bei einem Gipfel mit afrikanischen Staaten bereits einen | |
Aktionsplan für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise beschlossen. | |
Dabei wurde die Bewältigung der Flüchtlingskrise zum offiziellen Ziel der | |
EU-Entwicklungshilfe gemacht (näheres siehe Länderreport EU). | |
## Private Investitionen | |
Ähnliche Wirkung haben soll die nun geplante Stimulation von | |
Privatinvestitionen in Afrika durch die Africa Investment Facility. Vorbild | |
ist der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) von | |
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Mitte November erklärte der, | |
mittels günstiger, öffentlich abgesicherter EFSI-Kredite in nur einem Jahr | |
Investitionen von 154 Milliarden Euro innerhalb Europa ausgelöst zu haben – | |
20 Mal mehr als das, was die EU selbst in das Konjunkturprogramm gesteckt | |
hatte. | |
So soll es auch in Afrika laufen: Aus ihrem Entwicklungsbudget will die EU | |
drei Milliarden Euro abzweigen, die Mitgliedsstaaten sollen dasselbe | |
drauflegen. Europäische Unternehmen sollen dadurch bis 2020 sagenhafte 62 | |
Milliarden Euro zusätzlich in Afrika investieren – jedenfalls in den | |
Ländern, die beim Grenzschutz mitmachen. Das, so die Hoffnung, werde Jobs | |
schaffen, die schließlich die jungen Menschen in Afrika halten (näheres | |
siehe Länderreport EU). | |
15 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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