# taz.de -- Haby Rabahs Leben in Mauretanien: „Ich bin ein Produkt der Sklave… | |
> Schon ihre Großmutter war eine Sklavin. Nach dreißig Jahren in | |
> Leibeigenschaft stand Haby Rabah vor der Entscheidung: fliehen oder | |
> bleiben? | |
Bild: Haby Rabah mit ihrem Sohn: In Mauretanien werden viele Menschen als Sklav… | |
NOUAKCHOTT taz | Sie weiß nicht mehr, wie alt sie war, was für ein Tag es | |
war, ob sie sich an ihrer Mutter festhielt. Sie erinnert sich nur noch an | |
ihr Weinen. Am Tag, an dem sie eine Sklavin wurde. | |
Haby Rabah ist etwa 40 Jahre alt, genauer weiß sie es nicht, für Sklaven | |
gab es keine amtlichen Dokumente wie Geburtsurkunden. Dennoch liegen | |
Zuversicht und Stärke in ihrer Stimme, Selbstgewissheit. Als ob nichts in | |
der Welt sie von dem einmal gefassten Entschluss abbringen könnte. Als ob | |
sie nicht drei Jahrzehnte lang eine Dienerin gewesen sei, eine Sklavin, | |
über die ihre Herren jederzeit verfügen konnten. | |
Die mauretanischen Gesetze gegen Sklaverei haben Haby Rabah nichts genutzt, | |
als die Herren kamen, um sie zu holen. In der mauretanischen Geschichte | |
gibt es eine lange Tradition von Sklavenhaltern, manche Bevölkerungsgruppen | |
sind schon seit Generationen unterdrückt. Rabahs Herren ließen sie bei | |
ihrer Mutter aufwachsen, bis sie im arbeitsfähigen Alter war. Dann trennten | |
sie sie von ihr, die zwar um ihr Kind weinte, aber nichts gegen ihre Herren | |
unternahm. | |
„Ich bin ein Produkt der Sklaverei“, sagt Rabah. Es klingt tapfer – und | |
widersinnig, denn sie wirkt nicht wie jemand, der sich unterordnet. | |
## Ihr Herr misshandelte sie | |
Der Wind zieht an der Zeltplane, mit einem schnappenden Geräusch schlägt | |
eine Ecke gegen Tuch. Ein Hahn kräht, ein Auto rauscht über die Straße, | |
leere Blechbüchsen kratzen über den Sand. So wenig Geräusche, dass man | |
jedes einzelne hört. Sie scheinen aus dem Nirgendwo, aus dem Off zu kommen. | |
In dieser Einöde verschmelzen die Sonnenstrahlen mit dem Horizont. Hier | |
könnte die Welt zu Ende sein oder neu anfangen. | |
In der Welt, in der Rabah als Sklavin lebte, war das Leben einfach. Es | |
gehorchte den Erfordernissen der Wüstennomaden. Ihr Stamm war klein, kaum | |
jemand in Mauretanien kennt ihn. Wer Sklaven brauchte, nahm sie sich. Rabah | |
gehörte einer Familie, der schon ihre Großmutter gedient hatte. Als die zu | |
schwach wurde, zu alt für die Arbeit, musste ihre Enkelin arbeiten. Mit den | |
ersten Sonnenstrahlen stand sie auf, sammelte Feuerholz, bereitete das | |
Frühstück vor. | |
„Die Familie war reich,“ sagt Rabah, „sie hatten viele Schafe und Ziegen.… | |
Rabah hütete die Tiere, achtete auf die Zicklein und die Lämmer, band sie | |
fest. Und wenn sie einen Fehler machte, wenn sie widersprach – oder auch | |
wenn es ihm schlicht gefiel, schlug ihr Herr sie. | |
Das war normal, Rabah musste die Misshandlungen nicht erst als Teil ihres | |
Lebens akzeptieren, sie gehörten schlicht dazu. Man darf sich dieses Leben | |
nicht als ein angenehmes vorstellen. Wer durch Mauretanien fährt, sieht sie | |
immer noch, die Herden der Nomaden und ihre Behausungen: große Zelte, in | |
die eine halbe Berliner Altbauwohnung passt, daneben ein kleineres zum | |
Kochen und ein weiteres kleines für das Gesinde oder die Sklaven. Tagsüber | |
die sengende Hitze, der ewige, überall eindringende Sand, nachts die Kälte, | |
der Wind, der plötzlich zu Stürmen heranwächst, Krankheiten, ohne Aussicht, | |
jemals einen Arzt zu sehen. | |
## Die Dürre veränderte das Leben der Nomaden | |
Es muss einen Moment gegeben haben, in dem das alles umschlug, in dem all | |
das nicht mehr als naturgegeben erschien. „Mein Bruder“, sagt Rabah, „bek… | |
Streit mit dem Stamm, er lief weg.“ Die Herren setzten ihm nicht nach, sie | |
brauchten ihn nicht, sie hatten genug Sklaven. | |
Im späten 20. Jahrhundert änderte sich das Klima und zerstörte | |
traditionelle Lebensweisen: In den 70er Jahren waren noch über 50 Prozent | |
der mauretanischen Bevölkerung Nomaden, die mit großen Viehherden über das | |
Land zogen. Doch ab Mitte der 1970er Jahre kamen Dürren, die alles | |
veränderten, riesige Gebiete wurden wieder zu Wüste. Die Nomaden fanden | |
kein Wasser mehr für ihre Tiere – und plötzlich waren ihre Sklaven | |
überflüssig. Ballast, den sie loswerden wollten. | |
## Rabah wollte nicht mit | |
Heute sind nur noch etwa 15 Prozent aller Mauretanier Nomaden, die meisten | |
davon in den Weiten der Wüste, fern von den Städten. Fernab staatlicher | |
Reglementierung, die überprüfen könnte, ob sie Menschen als Sklaven | |
halten. | |
Rabahs Bruder schlich immer wieder zu ihr, versuchte sie zur Flucht zu | |
überreden. Umsonst. Einmal erschien er sogar mit Abgesandten der Gruppe SOS | |
Esclaves, mauretanischen Antisklaverei-Aktivisten. Doch Rabah stand unter | |
Druck, ihre Herren hatten einen Polizisten bestochen, ihr zu sagen, dass | |
sie bei einer Flucht ins Gefängnis kommen würde. | |
## Ohne Erlaubnis dürfen Kinder nicht in die Schule | |
Alles, was sie gelernt hatte, was ihre Herren ihr gesagt hatten, sprach für | |
eine gottgegebene Ordnung, wo Widerstand ewige Verdammnis bedeutete, wo | |
Freiheit der sichere Weg in die Dunkelheit war. Und wohin sollte sie sich | |
wenden, wohin gehen? Mittlerweile hatte sie zwei Kinder. Was würde aus | |
denen werden? | |
In Rabahs Zelt wird es still, ihre Kinder, die ihrer Erzählung gelauscht | |
haben, hängen an ihren Lippen. Rabah hat aufgehört zu sprechen, sie weiß, | |
welche Frage als Nächstes kommt – und sie scheint sich ein wenig zu | |
schämen. Sie schickt die Kinder raus zum Spielen, sie können später | |
wiederkommen. Dass ihre zwei Kinder die Söhne ihres Herrn sind, dass sie | |
die Frucht von Vergewaltigungen sind – dieses Bewusstsein möchte sie ihnen | |
zumindest vorerst ersparen. Der Vater der beiden hat sie nie anerkannt. | |
Ohne seine Zustimmung konnten die beiden keine amtlichen Dokumente | |
bekommen, um zur Schule zu gehen. | |
## Aktivisten sind der Regierung ein Dorn im Auge | |
Eine knappe Million Menschen wohnt in Nouakchott, der erst 1958 gegründeten | |
Hauptstadt Mauretaniens. Aber abseits der wenigen Boulevards werden die | |
Straßen sofort eng, verschlingt der Sand Fahrbahn und Fußgängerweg wie eine | |
langsame Flutwelle. | |
Um Hamady Lehbouss, einen Aktivisten der Antisklaverei-Organisation IRA, | |
hier zu treffen, muss man diskret vorgehen. Es passt dem | |
Staatssicherheitsdienst nicht, wenn er mit Ausländern über das Thema | |
Sklaverei spricht. Das Thema ist der mauretanischen Regierung ein Dorn im | |
Auge, sagt Lehbouss. Schließlich versucht die immer wieder zu beweisen, | |
dass sie ein guter Partner Europas ist. Dafür stoppt sie jene | |
Westafrikaner, die per Schiff zu den nahen Kanarischen Inseln Spaniens | |
fliehen wollen. Und bekommt im Gegenzug finanzielle Unterstützung von der | |
EU. | |
## „Eine gläserne Decke“ | |
Offiziell ist die Sklaverei in Mauretanien seit Jahrzehnten verboten, drei | |
Gesetze gibt es mittlerweile dagegen. Aber sie hat System, sie ist ein Teil | |
der gesellschaftlichen DNA. Die unterste Schicht der Gesellschaft sind die | |
Haratin, die Nachfahren der Sklaven. Sie sind in der traditionellen | |
Hierarchie zum Dienen vorgesehen. | |
Die Diskriminierung der Haratin finde immer noch statt, sagt Lehbouss. Mit | |
der großen Brille wirkt sein Gesicht eulenhaft klug. Nach wie vor gebe es | |
Sklaven. Die Versuche der Regierung, die Haratin in Ministerposten zu | |
hieven, seien nur Feigenblätter. „Es gibt“ – und Lehbouss sucht nach Wor… | |
– „eine gläserne Decke.“ Als Haratin könnte er in dieser Gesellschaft n… | |
weiter vorankommen. Ohne die Patronage seiner ehemaligen Herren könnte er | |
keinen Kredit von der Bank bekommen, könnte kein höheres Amt bekleiden. | |
Frustration über den Stillstand, der ihn selbst behindert, zerdrückt sein | |
Gesicht. | |
## Die Gesetze retten sie nicht | |
Der 52-jährige Lehrer führt einen Sisyphos-Kampf, möchte die Gesellschaft | |
Mauretaniens verändern, die immer noch in der Hierarchie der letzten | |
Jahrhunderte feststeckt. „Die Sklaven können ihren Kindern nichts vererben, | |
sie sind ja Objekte“, sagt er. Letzten Juli wurde er festgenommen und für | |
ein paar Monate ins Gefängnis geworfen, der Regierung war der Protest | |
seiner Organisation zu laut geworden. | |
Haby Rabah weist hinter sich auf den Rollkoffer, der in einem Netz an der | |
Decke ihrer Hütte befestigt ist. „Das ist alles, was ich besitze.“ Geld hat | |
sie von den Herren nie bekommen, auch nach ihrer Befreiung nicht. Es muss | |
ein dramatischer Moment gewesen sein, als Biram Dah Abeid, der | |
charismatische Führer der IRA, höchstselbst mit jenem Polizisten, der Rabah | |
vorher noch bedroht hatte, bei ihren Herren auftauchte. Er wollte sie | |
befreien. Sie wollte erst nicht, weinte. Doch dann ging sie mit. | |
## Ein eigenes Zelt | |
Rabah veränderte das Schicksal ihrer Kinder – vorher waren sie Eigentum | |
ihres Herrn, wie ein Kamel oder eine Holzschüssel. Jetzt hat sie es | |
geschafft, ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, und sie hat ein | |
eigenes Zuhause aufgebaut. Neben dem Zelt, in dem sie ihre Geschichte | |
erzählt, steht eine weitere Hütte, aus Zweigen zusammengesteckt, mühsam mit | |
einem Tuch überdacht, hier kocht sie. | |
Ein paar Meter weiter, an die Wand einer gemauerten Außentoilette gelehnt, | |
steht ein faltbarer Holztisch. Vorsichtig wie ein Juwelenkästchen klappt | |
sie ihn auf: kleine Kaugummischachteln, Bonbons liegen darin. Sie lächelt | |
stolz und verlegen, sie verkauft Süßigkeiten um ihren Lebensunterhalt zu | |
verdienen. „Das Wichtigste ist, dass ich meine Freiheit habe. Es gibt | |
keinen, der mir Befehle erteilen kann“, hat sie im Zelt gesagt. Sie sei | |
glücklich, ihr Leben habe einen Wert. | |
7 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Alexander Bühler | |
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