# taz.de -- Geflüchtete in Dominikanischer Republik: Bitterer Zucker in der Ka… | |
> Gut 6 Dollar am Tag und eine Hütte im Zuckerrohrfeld: Haitianische | |
> Tagelöhner werden in der Dominikanischen Republik wie Sklaven behandelt. | |
Bild: Haitianische Flüchtlinge leben in provisorischen Hütten an der Grenze z… | |
SANTO DOMINGO taz | Das verblasste Foto ist die einzige Dekoration an | |
Clemencias Wänden aus Steinen, Wellblech und Holz. Es zeigt einen | |
schüchtern lächelnden schwarzen Jugendlichen zwischen zwei weißen Frauen | |
vor einem Sandstrand. „Mein Zweitältester“, sagt sie: „mit | |
Amerikanerinnen.“ | |
Sie steht breitbeinig in zerrissenen hellblauen Plastikschlappen in dem | |
vorderen ihrer beiden Räume – unter den Hemden, die an einem Seil | |
aufgehängt sind, zwischen den Plastikeimern, die das Wasser einfangen, das | |
bei Regen in die Hütte tropft, und vor der Schüssel mit Reis, den es an | |
diesem Tag zu Essen geben wird. | |
Der hintere Raum ist voll gestellt mit den metallenen Stockbetten, in denen | |
die 51-Jährige und ihre Kinder schlafen. Die Straße vor der Tür aus Erde | |
und Löchern hat keinen Namen. Die Toilette ist das Zuckerrohrfeld jenseits | |
der Straße. Knapp 400 Menschen leben in Alejandro Bass. Auf den meisten | |
dominikanischen Landkarten existiert der Ort nicht. | |
Das karibische Urlaubsparadies Punta Cana ist eineinhalb Fahrtstunden | |
entfernt. Beim Abbiegen von der frisch asphaltierten Landstraße weist kein | |
Schild den Weg in die lehmige Straße, die in die Ansammlung von Hütten, mit | |
einer evangelikalen Kirche und einem kleinen Platz in der Mitte, führt. | |
Alejandro Bass ist ein batey. Benannt nach den Siedlungen der früheren | |
Ureinwohner Tainos auf der Insel Hispaniola. Heute, 500 Jahre nach Ankunft | |
der Spanier, teilen sich die Staaten Haiti und Dominikanische Republik die | |
Insel. | |
## Die Plantagen – eine Parallelwelt fern der Dörfer | |
Ein Netz von 351 Bateyes spannt sich quer über die Dominikanische Republik. | |
Eine Parallelwelt fern der Dörfer und Städte – inmitten von | |
Zuckerrohrplantagen. Die Bateyes gehören den Plantagenbesitzern, dort leben | |
ihre Arbeitskräfte. 50.000 Menschen, die als cañeros, Zuckerrohrarbeiter, | |
aus Haiti gekommen sind. | |
Die meisten sind seit Jahrzehnten im Land, angeworben vom dominikanischen | |
Zuckerinstitut. Sie haben Ausweise, die sie als „Tagelöhner“ | |
identifizieren. Auf der Rückseite der Ausweise steht, dass ihre | |
„Aufenthaltsberechtigung“ auf das Gelände der Plantage beschränkt ist. | |
Clemencias Mann war ein Tagelöhner. Sie trägt ein Tuch um den Kopf, wie es | |
in Maho üblich ist, dem Ort im Norden von Haiti, den sie vor 25 Jahren | |
verlassen hat und wohin sie nie zurück gekehrt ist. Ihre sechs Kinder sind | |
in Alejandro Bass geboren. Ihr Mann ist dort gestorben. Seit seinem Tod | |
schlägt sie sich mit dem durch, was sie und die älteren Kinder auf den | |
Zuckerrohrfeldern verdienen. Mal bringen sie 200 oder 300 Pesos mit – 4,50 | |
oder 6,70 US-Dollar – mal kommen sie mit leeren Händen nach Hause. „Das | |
Leben ist hart“, sagt sie. | |
Längst nicht jeden Tag gibt es Arbeit für Cañeros und ihr Lohn ist abhängig | |
von der Menge des geschnittenen Zuckerrohrs. Wenn ein Cañero auf einer | |
anderen Zuckerrohrplantage Ausschau nach Arbeit hält, kommt es vor, dass | |
der Plantagenbesitzer ihm mit der Deportation droht. | |
## 700 Witwen ohne Rente, Kinder ohne Rechte | |
„Das Leben vieler Cañeros ist eine „moderne Form der Sklaverei“, sagt Je… | |
Nuñez. Der 57-Jährige ist Gründer und Chef der Unión de los Cañeros de los | |
Bateyes, die sich für soziale Verbesserungen einsetzt. Nachdem die | |
dominikanische Regierung zugesagt hat, dass zumindest ältere | |
Zuckerrohrarbeiter einen Anspruch auf eine unbefristete | |
Aufenthaltsberechtigung und Renten haben, versucht er, diese Rechte auch | |
auf ihre Angehörigen auszudehnen: Auf die inzwischen 700 Witwen, mit denen | |
die Cañeros in Ermangelung von Papieren keine offiziellen Ehen schließen | |
konnten, und auf die Kinder, die in der Dominikanischen Republik geboren | |
sind. Außerdem verlangt Jesús Nuñez Löhne, von denen man leben kann. | |
Mindestens 500 Pesos (11 US-Dollar) pro Tag. | |
An diesem feucht-heißen Sommertag ist der Gewerkschafter eine Stunde aus | |
der Hauptstadt nach Osten gefahren. Er steht unter den Bäumen im Zentrum | |
von Alejandro Bass und versucht, die Cañeros zum Mitmachen zu ermuntern – | |
so wie die Bewohner in anderen Bateyes es machen. Der hoch gewachsene Nuñez | |
ist der einzige in der Runde, der geschlossene Schuhe und eine gebügelte | |
lange Hose trägt. „Wenn ihr nichts tut, wird die Regierung nie ihre | |
Versprechen einlösen“, versucht er die Cañeros aufzurütteln. Manche gucken | |
auf ihre Plastikschlappen. Grummeln. Einer fragt laut: „Und wovon soll ich | |
das guagua, den Bus, nach Santo Domingo bezahlen?“ | |
Clemencia steht in der zweiten Reihe, vor ihr alte Männer. Die Jungen sind | |
auf Arbeitssuche. Jesús Nuñez sagt den Alten, dass die Regierung darauf | |
wartet, dass sie sterben, bevor sie es schaffen, ihre Rente zu kassieren. | |
Clemencia blickt auf das Flugblatt, das sie verkehrt herum in der Hand | |
hält. Darauf steht auf Spanisch: „Alle Cañeros in die Hauptstadt“. Sie ka… | |
nicht lesen und spricht nur gebrochen Spanisch. Im Batey reden alle | |
Kreolisch. Jesús Nuñez sagt ihr, mindestens ein Mitglied ihrer Familie | |
sollte zu der Demonstration in der Hauptstadt fahren. „Schick einen deiner | |
Söhne“, sagt er. Sie nickt. | |
## Rassisten im Kaffeehaus | |
„Undankbares Pack!“, ruft ein Dominikaner in dem Café im Norden der | |
Hauptstadt Santo Domingo, „die gehören an die Wand gestellt.“ Es duftet | |
nach frischem Kaffee. In dem Lokal herrscht Hochbetrieb mit Kunden aus den | |
umliegenden Büros und Geschäften. Ein paar Leute schauen geniert weg. Aber | |
niemand widerspricht dem aufgebrachten Mann. Tausende ärmlich gekleidete | |
Haitianer ziehen vorbei. Sie sind aus Bateyes aus allen Teilen des Landes | |
angereist. | |
Sie rufen: „Ohne Cañeros, gibt es keinen Zucker.“ Und verlangen „Renten … | |
Papiere“. Die Familie von Clemencia ist dabei. Die Demonstranten können | |
nicht hören, was über sie gesagt wird. Aber die Graffitis, die in den | |
letzten Monaten an den Mauern der Hauptstadt aufgetaucht sind, können sie | |
sehen. „Illegale raus“, steht darauf. | |
In der Dominikanischen Republik sind im Frühling Präsidentschaftswahlen. | |
Wieder einmal schwappt eine Welle von Anti-Haitianismus durch das Land. | |
Während die Regierung dabei ist, einen Teil der Einwanderer zu | |
regularisieren, wettern Nationalisten, ein paar katholische Bischöfe, | |
Politiker und Unternehmer gegen die „Invasion“. Sie verlangen, dass alle | |
Papierlosen abgeschoben werden. „Die Leute haben mehr Mitgefühl mit einem | |
Indio in Bolivien, als mit den Haitianern aus ihrer Nachbarschaft“, sagt | |
Jesús Nuñez. | |
In der Hauptstadt munkeln manche, dass er selbst haitianischer Abstammung | |
sei, weil sie sich nur so sein Engagement erklären können. Bei seinen Reden | |
vor den Cañeros kritisiert er auch die Regierung des Nachbarlandes. Weil | |
ihre Politik dazu beigetragen hat, dass so viele ihr Land als Tagelöhner | |
verlassen mussten. Und weil sie ihnen nicht hilft, wenn sie Dokumente aus | |
ihrem Geburtsland brauchen. | |
## „Ich habe Klassenbewußtsein“ | |
Jesús ist in einer dominikanischen Mittelstandfamilie aufgewachsen. Seine | |
Mutter hat ihm die Häuser vererbt, von deren Miete er heute lebt. Von sich | |
selbst sagt er: „Ich habe einfach ein Klassenbewußtsein“. Als Kind habe er | |
bei Besuchen auf dem Land gesehen, wie Haitianer auf Lastwagen zur | |
Feldarbeit gebracht wurden, und wie sie sich am Abend in einem Fluss | |
waschen mussten. „Das fand ich ungerecht“, sagt Jesús. | |
Im Vorraum seines Büros hängt eine Galerie, die ihn inspiriert. Rosa Parks, | |
Martin Luther King, Toussaint Louverture, der Anführer des haitianischen | |
Sklavenaufstands von 1791. Lenin, Stalin, Mao. Täglich gehen Dutzende | |
Haitianer an der Galerie vorbei, bevor sie Jesús Nuñez in seinem Büro um | |
Hilfe bitten. Es geht um Kinder, denen der Zugang zur Universität versperrt | |
ist, weil sie keine Dokumente haben. Und um Renten, die nicht ausgezahlt | |
werden, weil Geburtsurkunden oder Lohnzettel fehlen. | |
Auch Clemencia hofft auf Hilfe von Jesús. Sie möchte eine Witwenrente | |
haben. Cañeros, die es geschafft haben, bekommen 100 US-Dollar im Monat. | |
Das reicht nicht, um zu überleben. Doch es ist eine Hilfe. Für ihre Hütte | |
zahlt Clemencia keine Miete, aber die Lebensmittel bei den Händlern im | |
Batey sind teurer, als in den Städten. | |
## Flor hat es in der dritten Generation geschafft | |
Für Flor Ángel Agustin Federico sind die Besuche im Batey eine entfernte | |
Kindheitserinnerung. Ihre beiden Großväter sind als Tagelöhner aus Haiti | |
gekommen. Aber ihre Eltern haben die Parallelgesellschaft der Bateyes | |
verlassen und ihre Tochter in der Stadt auf die Schule geschickt. Sie hat | |
Abitur und studiert Jura. Sie ist Dominikanerin. Kreolisch spricht sie nur | |
gebrochen. Doch auch sie lebt mit dem Stigma des Andersseins. Von klein | |
auf, ist sie wegen ihres „komischen Nachnamens“ gehänselt worden. Als | |
14-Jährige war sie mit vielen Flechtzöpfchen zur Schule gegangen, die | |
Direktorin schickte sie nach Hause. „Ethnische Frisuren“ seien im | |
Unterricht verboten, lautete die Begründung: „Elegante dominikanische | |
Señoritas glätten ihr Haar.“ | |
Flor sieht das als eine „ethnische Diskriminierung“ an. Chinesische oder | |
arabische Einwanderer seien nie diskriminiert worden, nur Dominikaner mit | |
haitianischem Hintergrund. Sie ist Mitglied in der Gruppe Dominicano como | |
Tu (DominikanerIn wie du). Sie will Anwältin werden und kann schon jetzt | |
Reden halten, die Hörsäle mitreißen. Vorerst hilft sie älteren Haitianern | |
bei ihren Anträgen. Und demonstriert regelmäßig in der Hauptstadt. „Wenn | |
wir das Problem nicht lösen“, sagt sie, „geben wir es an unsere künftigen | |
Kinder weiter.“ | |
16 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
## TAGS | |
Karibik | |
Haiti | |
Dominikanische Republik | |
Recherchefonds Ausland | |
Moderne Sklaverei | |
Dominikanische Republik | |
Haiti | |
Haiti | |
Brasilien | |
Schwerpunkt Flucht | |
Haiti | |
Weltkulturerbe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Haby Rabahs Leben in Mauretanien: „Ich bin ein Produkt der Sklaverei“ | |
Schon ihre Großmutter war eine Sklavin. Nach dreißig Jahren in | |
Leibeigenschaft stand Haby Rabah vor der Entscheidung: fliehen oder | |
bleiben? | |
Wahlkampf Dominikanische Republik: Tochter der Volksheldin | |
Minou Mirabal geht als Außenseiterin ins Rennen um das Präsidentenamt. Sie | |
fühlt sich dem kämpferischen Erbe ihrer Eltern verpflichtet. | |
Schwere Ausschreitungen in Haiti: Seit einem Jahr wird gewählt | |
Die Präsidentschaftswahl in Haiti wurde wegen Sicherheitsbedenken erneut | |
verschoben. Danach kam es in der Hauptstadt zu schweren Ausschreitungen. | |
Präsidentschaftswahl in Haiti: Entscheidung im Hinterzimmer | |
Die Stichwahl für die Präsidentschaft ist auf unbestimmte Zeit verschoben | |
worden. Vieles deutet darauf hin, dass das Ergebnis vorher schon feststeht. | |
Moderne Sklaverei in Brasilien: Keine Transparenz erwünscht | |
Brasilianische Reporter werden diffamiert, weil sie trotz Verbots eine | |
Transparenzliste zu Arbeitsbedingungen in Unternehmen veröffentlichen. | |
Dominikanische Republik und Flüchtlinge: Wer keine Papiere hat, muss raus | |
Der Stichtag für Haitianer im Nachbarland ist vorbei: Ohne | |
Aufenthaltsgenehmigung geht’s ab nach Hause. Eine humanitäre Katastrophe | |
droht. | |
Dominikanische Republik: HaitianerInnen droht Abschiebung | |
Weil sie keine gültigen Papiere haben: Hunderttausende Einwanderer aus dem | |
armen Nachbarland müssen mit ihrer Ausweisung rechnen. | |
Reisen nach Haiti: Das neue Zauberwort Tourismus | |
Schöne Strände hat die Karibikinsel genug, buntes Kunsthandwerk und | |
Weltkulturerbe. Doch Not und Armut haben ihr Image geprägt. |