# taz.de -- Wahlkampf Dominikanische Republik: Tochter der Volksheldin | |
> Minou Mirabal geht als Außenseiterin ins Rennen um das Präsidentenamt. | |
> Sie fühlt sich dem kämpferischen Erbe ihrer Eltern verpflichtet. | |
Bild: Minou Mirabal (Mitte) auf Wahlkampftour. Auf dem Land hat es die Oppositi… | |
SANTO DOMINGO/ HIGUERAL taz | Minerva Tavárez Mirabal ist wütend. „Sie | |
haben uns die Anerkennung als Partei entzogen“, sagt sie – „und das kurz | |
vor den Wahlen.“ Am Morgen war sie noch als Präsidentschaftskandidatin der | |
Opción Democratico (OP) ins oberste Gericht der Wahlbehörde gerufen worden. | |
Fünf Stunden später hält sie das Schriftstück in den Händen, das ihrer | |
Partei die Zulassung für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am | |
kommenden Sonntag verweigert. Die notwendige Zahl der Parteimitglieder habe | |
bei einer telefonischen Stichprobe nicht verifiziert werden könnte, lautet | |
das richterliche Urteil. | |
„Die Regierungspartei versucht mit allen Tricks, meine Kandidatur zu | |
verhindern“, sagt Mirabal in ihrem klimatisierten Büro im gutbürgerlichen | |
Stadtteil Bella Vista. Nervös fingert sie an der Perlenkette unter dem | |
apfelgrünen Jackett. Ihr Hauptstadt-Look, mit dem die 60-jährige | |
Politikerin derzeit auf Wahlkampftour ist. Die Rechtsmittel sind | |
ausgeschöpft. | |
Eine Katastrophe, einerseits. Tavárez Mirabal rettet jedoch eine | |
Besonderheit des dominikanischen Wahlrechts. Unterschiedliche Parteien | |
können die gleichen Präsidentschaftskandidaten auf ihr Schild heben. | |
Vorsorglich wurde sie deshalb auch von der sozialdemokratisch | |
ausgerichteten Alianza por la Democracia (APD) nominiert . | |
## Ihren Namen kennt jeder | |
„Das ist die „späte Rache meiner ehemaligen Parteifreunde“, sagt Minou | |
Mirabal, wie ihre Freunde sie rufen. Vor zwei Jahren war sie selbst noch | |
einflussreiches Mitglied der regierenden Befreiungspartei Partido de la | |
Liberación Dominicana (PLD). Als vor zwei Jahren eine Strafrechtsreform vom | |
Parlament verabschiedet wurde, die Korruption stärker unter Strafe stellen | |
sollte, fehlte nach der entscheidenden Abstimmung plötzlich der Passus, der | |
es Bürgern ermöglicht hätte, Strafanzeige gegen korrupte Beamte und | |
Politiker zu stellen. „Das war der Tropfen, der für mich das Fass zum | |
Überlaufen gebracht hat“, sagt Mirabal. | |
Mit ihren Exgenossen geht Mirabal hart ins Gericht: „Die PDL ist geprägt | |
von Korruption, Klientelismus und innerparteilicher Intransparenz.“ In den | |
Medien des Landes spiegelt sich diese Kritik kaum wider. Die Regierung übe | |
über Anzeigenaufträge Druck aus, erklärt Mirabal. „Aber zum Schweigen | |
bringen sie mich nicht.“ | |
Das liegt nicht zuletzt auch am öffentlichen Gewicht ihrer Meinung und | |
ihres Namens, der zugleich Teil des Gründungsmythos der PLD ist. Seit zwölf | |
Jahren ununterbrochen an der Regierung, bezieht die PLD ihre politische | |
Legitimation aus dem Widerstand gegen die Trujillo-Diktatur, die 1961 | |
endete. Ihr prominentestes Opfer war Minerva Mirabal de Tavárez, Minous | |
Mutter, die heute als Volksheldin verehrt wird. Sie gehörte zur Führung der | |
Widerstandsbewegung Movimiento 14 de Junio und wurde im November 1960 | |
zusammen mit zwei ihrer Schwestern auf Befehl Trujillos ermordet. | |
## Bei der Tante aufgewachsen | |
Minou war damals vier Jahre alt. Drei Jahre später starb auch ihr Vater | |
Manolo Tavárez als Guerillero in den Bergen im Kugelhagel, nachdem der | |
erste demokratisch gewählte Präsident, Juan Bosch, von einer Militärjunta | |
gestürzt worden war. „Für mich war es immer mehr Inspiration als Bürde, die | |
ich mit dieser Geschichte geerbt habe“, sagt Minou Mirabal heute. | |
Sie ist bei der einzigen überlebenden Schwester ihrer Mutter, Dedé, auf der | |
Finca der Großeltern aufgewachsen, heute ein Vorzeigeprojekt für ökologisch | |
angebauten Kakao. „Dedé“, erzählt sie, „hat uns Kindern die ermordeten | |
Mütter ersetzt. Ich war glücklich auf dem Land, aber mein Leben ist | |
eigentlich die Literatur, das städtische, intellektuelle Leben.“ | |
Mit ihren nachgedunkelten schwarzen Haaren und der hochgewachsenen Gestalt | |
sieht sie ihrer Mutter enorm ähnlich. Und auch Minou Mirabal ist eine | |
Volkstribunin. Ihr offenes Lachen und ihre ungekünstelte Zugewandtheit | |
lassen keine soziale Distanz entstehen. „Wir sind starke Frauen“, lacht sie | |
herzhaft und umarmt zwei Frauen mit zerfurchten Gesichtern, die vor | |
Jahrzehnten aus Haiti zur Zuckerernte gekommen sind. Nähe schafft sie, ohne | |
respekt- und distanzlos zu wirken. | |
Schon während ihres Literaturstudiums in Kanada, Kuba und Spanien | |
engagierte sich Minou Mirabal in linken Gruppen. Schnörkellos erzählt sie | |
von ihren Träumen von einem besseren Leben in der Dominikanischen Republik, | |
in der jedes Jahr Millionen von Touristen Urlaub machen, die Bewohner aber | |
auswandern müssen, weil es keine Arbeit gibt, die eine Familie ernährt. | |
„Uns hilft kein Wirtschaftswachstum, das nicht auch Arbeitsplätze und | |
Einkommen für ein würdevolles Leben schafft“, sagt sie. Auch wenn sie aus | |
eher begüterten Verhältnissen stammt und derzeit noch von den Privilegien | |
als Abgeordnete profitiert. | |
## „Optimismus mobilisiert“ | |
Der Wahlkampf lässt Minou Mirabal derzeit wenig Schlaf. Morgendliches | |
Briefing im Büro, Treffen mit Vertretern von Bürgerinitiativen und | |
Unternehmerverbänden, Interviews im Fernsehen und Rundfunk. An Pause nicht | |
zu denken. Ein Sandwich auf dem Beifahrersitz des klimatisierten | |
Geländewagens zum Mittag. Den strapazierten Füßen mit den rotlackierten | |
Fußnägeln gönnt sie ein paar Minuten Entspannung auf der Fahrzeugkonsole, | |
wärmend von der gleißenden Karibiksonne beschienen. Auf dem Rücksitz der | |
Leibwächter mit einem kritischen Auge für die Umgebung. Sicher ist sicher. | |
Tausende Kilometer hat sie auf ihrer Wahlkampftour von Osten nach Westen, | |
von Süden nach Norden in dem fast 49.000 Quadratkilometer großen | |
Territorium des Landes zurückgelegt, um Wählerinnen und Wähler zum Kreuz | |
auf ihrem Foto zu animieren. Und sich von ihren neuen Parteifreunden als | |
künftige Präsidentin feiern lassen. „Nur Optimismus mobilisiert“, erklärt | |
sie – einschränkend. Wohl wissend, dass das Projekt „Minou Presidente“ s… | |
in der kommenden Legislaturperiode wohl nicht realisieren wird. | |
Dafür sind die Schwierigkeiten zu groß, mit denen sie, ihre Helfer und ihre | |
möglichen Wähler konfrontiert sind. Während in Higueral, einem kleinen Ort | |
im Südosten des Landes, ein kleiner, fast schrottreifer Minilaster | |
musikalisch im Merenguetakt um Stimmen für Mirabal werben soll, ist die | |
Tage zuvor von Sattelschleppern gezogene Profi-Sound-Anlage der | |
Regierungspartei noch immer das Gesprächsthema in der abgelegenen | |
Zuckerrohrregion – und die kleinen Geldgeschenke, Gutscheine, Fresspakete | |
und Rumflaschen, die an die aktiven Teilnehmer der Wahlkampfkarawane | |
ausgegeben wurden. „Da können wir nicht mithalten“, sagt Minou Mirabal. | |
## Hausbesuche abgesagt | |
Die meisten Männer hier verdingen sich auf den Zuckerrohrfeldern und | |
bringen als Tagelöhner gerade mal vier bis fünf Euro nach Hause. Ihr | |
Arbeitgeber ist auch ihr Vermieter. Wer seinen Job verliert, muss | |
ausziehen. Deshalb sind die Familien auf das Wohlwollen des Arbeitgebers | |
und auf die finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen. Rund eine | |
Million Bewohner des Landes erhalten umgerechnet etwa 20 Euro pro Monat zum | |
Lebensmitteleinkauf über eine sogenannte „Bezahlkarte Solidarität“. Über | |
die Vergabe der Karte entscheiden indirekt die regionalen Parteistrukturen, | |
die Antragssteller empfehlen vorzugsweise diejenigen, von denen sie wissen, | |
dass sie die Regierungspartei wählen. | |
Wie der damit verbundene Druck im Detail funktioniert, erlebt Minou Mirabal | |
an einem brütend heißen Nachmittag in Higueral. In der Batey genannten | |
Hüttensiedlung will sie mit ihrem Team von Tür zu Tür ziehen. Juan Telemin, | |
der eigentlich Jura studiert, für das Bürgermeisteramt kandidiert und | |
zugleich der regionale APD-Wahlkampfbeauftragte ist, sagt die Hausbesuche | |
ab. | |
Die Bewohner haben Angst. Am Vortag bekamen sie Besuch vom Vorarbeiter. Wer | |
künftig soziale Zuwendungen wie Kochgas- und Lebensmittelgutscheine wolle, | |
müsse sich der Regierungspartei gegenüber loyal verhalten, warnte er die | |
Anwohner. Am Straßenrand sind die lilafarbenen Wahlplakate der PLD | |
unübersehbar, die Werbung für andere Parteien seltene Farbtupfer. „Abends | |
hängen wir unsere Werbung auf, am nächsten Morgen ist sie verschwunden“, | |
erzählt Juan Telemin. | |
Im einige Kilometer entfernten Dörfchen Quisqueya haben sich trotzdem knapp | |
hundert Mutige auf dem Dorfplatz versammelt und empfangen „La Mirabal“ und | |
die regionalen Parteikandidaten mit Tröten, Tanzeinlagen, Fahnenschwenken. | |
„Weg mit ihnen“, skandieren sie und meinen die Regierung. Am Rande hat der | |
PLD-Bürgermeister mit ein paar kräftigen Männern Position bezogen und lässt | |
die Oppositionsversammlung filmen. „Wir haben zwar kein Geld, aber Würde“, | |
ruft Minou Tavárez Mirabel trotzig in die kleine Versammlung. „Denkt daran, | |
egal wie sie drohen und was sie versprechen: In der Wahlkabine seid ihr | |
allein und könnt frei wählen.“ | |
14 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Dillmann | |
## TAGS | |
Dominikanische Republik | |
Präsidentschaftswahlkampf | |
Mittelamerika | |
Karibik | |
Schwerpunkt Flucht | |
Dominikanische Republik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geflüchtete in Dominikanischer Republik: Bitterer Zucker in der Karibik | |
Gut 6 Dollar am Tag und eine Hütte im Zuckerrohrfeld: Haitianische | |
Tagelöhner werden in der Dominikanischen Republik wie Sklaven behandelt. | |
Dominikanische Republik und Flüchtlinge: Wer keine Papiere hat, muss raus | |
Der Stichtag für Haitianer im Nachbarland ist vorbei: Ohne | |
Aufenthaltsgenehmigung geht’s ab nach Hause. Eine humanitäre Katastrophe | |
droht. | |
Haitianer in Dominikanischer Republik: Rücknahme einer Diskriminierung | |
Haitianisch-stämmigen Bewohnern der Dominikanischen Republik sollte die | |
Staatsbürgerschaft entzogen werden. Dies wurde nun gestoppt. |