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# taz.de -- Moderne Sklaverei in Brasilien: Keine Transparenz erwünscht
> Brasilianische Reporter werden diffamiert, weil sie trotz Verbots eine
> Transparenzliste zu Arbeitsbedingungen in Unternehmen veröffentlichen.
Bild: Lieblingsbranche der Ausbeuter: die Zuckerrohrplantagen im Landesinneren.
Rio de Janeiro taz | Fehlende Hygiene am Arbeitsplatz, Hungerlöhne, mehr
als zwölf Stunden Arbeit pro Tag – das sind alles Merkmale von
sklavereiähnlicher Arbeit. Sie ist in Brasilien verboten und wird
strafrechtlich verfolgt. Trotzdem existiert sie weiter. Und ein
Gerichtsurteil aus dem vergangenen Jahr hat ihr sogar wieder Auftrieb
gegeben – denn es erschwert ihren Gegnern, Fälle von Sklaverei öffentlich
zu machen und zu bekämpfen. Inzwischen sehen sich die Lautesten – die
Aktivisten von Reporter Brasil – einer umfangreichen Diffamierungskampagne
ausgesetzt.
Konkret geht es um eine Liste der Unternehmen, die Arbeiterinnen und
Arbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigen. Seit 2003 hatte
das Arbeitsministerium diese Namen jährlich veröffentlicht, um Transparenz
herzustellen und die Betriebe zu warnen – ihnen aber auch Gelegenheit zu
geben, die Missstände zu beheben. Zuletzt standen rund 300 Unternehmen auf
dieser Liste.
Die Vereinten Nationen hatten die Transparenzinitiative als vorbildliches
Instrument im Kampf gegen unzumutbare Arbeitsbedingung gelobt. Trotzdem
darf sie seit Ende letzten Jahres nicht mehr veröffentlicht werden. Die
Unternehmensvereinigung Abrainc hatte gegen die Veröffentlichung geklagt
und argumentiert, diese sei mangels gesetzlicher Regelung
„verfassungswidrig“. Der Oberste Gerichtshof hatte ihr recht gegeben.
## Berufung auf das Transparenzgesetz
Aktivisten von Reporter Brasil protestierten nicht nur gegen diesen
Entscheid. Die Organisation von Journalisten und Akademikerinnen, die gegen
Sklavenarbeit in jeder Form mobil macht, ließ sich die Liste Ende September
aus dem Arbeitsministerium geben und veröffentlichte sie auf ihrer eigenen
Webseite. Reporter Brasil berief sich dabei auf das Transparenzgesetz, das
den Brasilianern das Recht einräumt, alles zu erfahren, was Behörden und
Ministerien wissen.
Die Situation eskalierte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Reporter
Brasil sind es schon gewohnt, diffamiert oder auch bedroht zu werden. Immer
wieder zerren Firmen ihre journalistischen Recherchen vor Gericht, um das
Thema Sklavenarbeit aus den Schlagzeilen zu bekommen.
Nachdem die Liste online gestellt wurde, wurde nun die Webseite gehackt.
Reportagen, in denen es um die Interessen großer Wirtschaftsgruppen geht,
wurden gelöscht oder umgeschrieben, weiterführende Links so verändert, dass
der kritische Gehalt der Informationen unterging. Dies betraf vor allem
Berichte über die Verletzung von Arbeitsrechten in der brasilianischen
Fleischindustrie, die ihre Produkte weltweit verkauft.
## Solidarität aus dem In- und Ausland
Reporter Brasil, deren Arbeit unter anderem vom Bildungswerk des Deutschen
Gewerkschaftsbundes unterstützt wird, geht inzwischen juristisch gegen die
Diffamierungskampagne vor. Solidarität kommt aus den In- und Ausland. Die
NGO sei ein wichtiger Partner im „Kampf gegen die Ausbeutung von
Arbeitnehmer_innen bis hin zum Kampf gegen Sklaverei, vor der einige
kriminelle Unternehmer nicht zurückschrecken“, erklärte Niklaas Hofmann,
Leiter des Regionalbüro Lateinamerika des Bildungswerks in São Paulo.
So schätzen das offenbar auch die Unternehmen ein, die eine zu genaue
Kontrolle der bei ihnen herrschenden Zustände verhindern wollen. Mitte
Oktober erwirkte eine Firma im Bundesstaat Bahia ein Gerichtsurteil, das
Reporter Brasil zwingt, die Namensnennung des Unternehmens in Zusammenhang
mit sklavereiähnlicher Arbeit zu unterlassen. Veröffentlichen sie ihn doch,
wird eine Strafe von täglich umgerechnet 11.000 Euro fällig.
## Zensur durch die Staatsanwaltschaft?
Das Urteil überrascht, denn bei dem Unternehmen handelt es sich um einen
Fall, in dem 2014 mehr als 20 Arbeiter aus ausbeuterischen Verhältnissen
befreit werden mussten – auf ganz offizielle Weisung der
Staatsanwaltschaft. „Diese Zensur ist darauf zurückzuführen, dass die
brasilianische Regierung nicht in der Lage ist, die Liste von Unternehmen,
die Menschen in sklavereiähnlichen Zuständen beschäftigen, wieder zu einem
offiziellen Dokument zu machen“, kritisiert die Journalistin Ana Aranha von
Reporter Brasil.
Für Hofmann vom DGB-Bildungswerk ist es „besorgniserregend, dass die
journalistische Arbeit von Reporter Brasil per Gerichtsbeschluss zensiert
werden soll, dass Hacker ihre Webseiten angreifen und ihr Koordinator
bedroht wird“.
Das Phänomen ausbeuterischer Arbeitsbedingungen ist in Brasilien nach wie
vor weit verbreitet. Fast 50.000 Menschen sind in den vergangenen 20 Jahren
von Kontrolleuren des Arbeitsministeriums oder der Polizei aus solchen
Situationen befreit worden. Mit Abstand die meisten Fälle kommen im
nördlichen Amazonasstaat Pará vor. Aber nicht nur in der Landwirtschaft,
auch in urbanen Zentren wie Rio de Janeiro oder São Paulo gibt es bis heute
mit Sklaverei vergleichbare Zustände.
28 Oct 2015
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Zensur
Sklaverei
Moderne Sklaverei
Moderne Sklaverei
Migration
Dilma Rousseff
Karibik
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