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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Mauretanien: Erfolgreiche Migrationsblockade
> Bislang war Mauretanien eher ein Transitland. Jetzt werden Migranten
> zunehmend blockiert. Dabei kommt es auch zu Polizeibrutalitäten gegenüber
> den „Ausländern“.
Bild: Flüchtlinge aus Westsahara in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott
Die Islamische Republik Mauretanien ist ein Land, das schon immer im
Zentrum bedeutender Migrationsbewegungen stand. Da das Land sowohl an der
Sahara mit ihren früheren oder noch immer bestehenden Karawanenrouten als
auch an der Atlantikküste einen großen Anteil hat, ist dies nicht
verwunderlich.
Acht bis zehn Prozent der mauretanischen Bevölkerung leben derzeit
außerhalb ihres Herkunftslands, die International Labour Organisation (ILO)
gibt ihre Gesamtzahl mit 319.000 an. In einem Interview aus dem Jahr 2016
ergänzt der Wissenschaftler Dr. Ousmane Lague, Leiter eines Masterprogramms
zum Thema Migration an der Universität von Nouakchott: 59 Prozent der
mauretanischen Staatsangehörigen im Ausland leben in anderen afrikanischen
Ländern, 9,6 Prozent in arabischen Golfstaaten und acht Prozent von ihnen
auf dem Staatsgebiet der früheren Kolonialmacht Frankreich. Allerdings ist
dieser globale Anteil der Emigration an der Gesamtbevölkerung demnach nur
rund ein Drittel so hoch wie im Nachbarland Mali, wo der Anteil der im
Ausland lebenden Staatsangehörigen gegenüber der inländischen
Wohnbevölkerung im Jahr 2016 bei rund 29 Prozent liegt.
Das 2010 im Auftrag der ILO erstellte Dokument erwähnt als EU-Länder, in
denen sich mauretanische Staatsangehörige dauerhaft aufhalten, nur
Frankreich und Spanien. In Frankreich lebten demnach 2005 insgesamt 20.000
mauretanische Staatsangehörige, 2009 hingegen nur 15.000. Dies dürfte sich
aus der Rückkehr älterer mauretanischer Arbeitsmigranten, die ihr
Erwerbsleben beendet haben, erklären. In Spanien dagegen wuchs im selben
Zeitraum die Zahl von mauretanischen Staatsangehörigen von 2.000 auf
10.000. Diese Steigerung dürfte aus den Überfahrten von der mauretanischen
Westküste auf die Kanarischen Inseln – die inzwischen weitgehend gestoppt
sind –, aber auch aus der Arbeitsmigration in die spanische Landwirtschaft
resultieren. In beiden Fällen erfasst diese Statistik, für die das
marokkanische Außenministerium Zahlenangaben lieferte, nur „legal“ im
jeweiligen Aufnahmeland lebenden mauretanische Staatsangehörige;
„undokumentierte“ Menschen fallen dabei unter den Tisch.
Die Statistiken der europäischen Behörde Eurostat weisen für 2015 weniger
als 1.600 Asylbewerber mit mauretanischer Staatsangehörigkeit auf. Dies
hängt zweifellos mit der niedrigen Bevölkerungszahl Mauretaniens insgesamt
zusammen, die für eine zahlenmäßige Unterrepräsentation in den Statistiken
sorgt. Innerhalb Europas ist die mauretanische Immigration vor allem in
Frankreich eher eine ältere Migration, bestehend aus Menschen, die ab den
1960er und 70er Jahren für Arbeitszwecke angeworben wurden.
## Arbeitskraft aus den Nachbarländern
Mauretanien ist jedoch auch ein Einwanderungsland, und dies seit langem.
Anfänglich erklärte sich dies – nach der Unabhängigkeit von Frankreich im
Jahr 1960 – aus der dünnen Besiedlung des Landes und damit zusammenhängend
einem hohen Arbeitskräftebedarf. Später wurde Mauretanien jedoch zunächst
zum Durchgangsland für Migranten aus dem übrigen subsaharischen Afrika, die
in Richtung Europa weiterzureisen versuchten und aufgrund zunehmender
Kontrollen und Reisehindernisse zum Teil „hängen blieben“. Im Laufe der
Jahre wandelte sich Mauretaniens Status für diese Gruppen sukzessive vom
Durchreise- zum Einwanderungsland.
Laut Zahlen der Volkzählung von 2013 beträgt der „Ausländeranteil“ an der
Wohnbevölkerung offiziell 2,2 Prozent, wobei die Betreffenden mehrheitlich
aus den Nachbarländern Senegal und Mali stammen. Andere Quellen schätzen
den Anteil von Nichtstaatsangehörigen unter der mauretanischen
Wohnbevölkerung eher auf rund sieben Prozent. Unter ihnen befinden sich
Flüchtlinge, insbesondere seit dem 2012 ausgebrochenen Bürgerkrieg in
(Nord-)Mali – rund 47.000 malische Flüchtlinge sind in Mberra registriert
-, aber auch zahlreiche Arbeitsmigranten. In manchen Wirtschaftssektoren
wie Fischfang, Bauindustrie und Bergbau sind diese längst unentbehrlich
geworden.
Mauretanien trat am 26. Dezember 2000 – ein Jahr nach einer entsprechenden
Ankündigung seiner Regierung – aus der Westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) aus. Hauptgrund für diese Entscheidung war
der Wunsch, sich auf seine Mitgliedschaft und seine Rolle in der „Union des
arabischen Maghreb“ (UMA) zu konzentrieren, also auf den Staatenverbund im
Norden mit Marokko, Algerien und Tunesien. Dies hatte der offiziellen
Begründung zufolge „kulturelle Gründe“, aber war auch mit dem Wunsch
verbunden, die eigenen Interessen „besser zu vertreten“. Die das Land
beherrschende Mehrheit ist arabisch-berberisch („maurisch“), während eine
v.a. im Süden lebende dunkelhäutige Bevölkerungsminderheit nach wie vor
Diskriminierungen ausgesetzt ist und zum Teil noch heute in
sklavereiartigen Verhältnissen lebt.
Der Austritt aus der ECOWAS hinderte Mauretanien zwar nicht daran, bis
heute enge Verbindungen mit dieser Staatengruppe zu unterhalten, und
periodisch wird über seinen Wiedereintritt diskutiert (etwa rund um die
Mali-Krise im Jahr 2012/13). Dennoch hat die derzeitige Nichtmitgliedschaft
Mauretaniens in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft zur
Auswirkung, dass Staatsangehörige der ECOWAS-Mitgliedsstaaten
Aufenthaltserlaubnisse in Mauretanien beantragen müssen, die ihnen
behördlich häufig verweigert werden.
## Besondere Frankreichbindung
Mit EU-Staaten hat Mauretanien mehrere bilaterale Abkommen zu Fragen der
Migrationspolitik abgeschlossen. Im bilateralen Verhältnis mit der früheren
Kolonialmacht gilt die Vereinbarung zwischen der Französischen Republik und
der Islamischen Republik Mauretanien zu Personenfreizügigkeit und
Aufenthalt, welche am 1. Oktober 1992 in Nouakchott unterzeichnet wurde.
Seit der Veröffentlichung eines Regierungsdekrets vom 23. November 1995
wurde diese Vereinbarung in geltendes französisches Recht übernommen.
Gegenüber dem „allgemeinen“ Ausländerrecht bietet sie allerdings derzeit
kaum reale Vorteile, da sie auf den meisten Ebenen auf die
allgemeingültigen Regeln verweist. Etwa bei Punkten wie denen, die die
Erfordernis eines gültigen Visums oder eines bereits erteilten
Aufenthaltstitels für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu anderen Rechten
betreffen.
Lediglich an einem Punkt fällt die bilaterale Vereinbarung für die
Betreffenden vorteilhafter aus: Mauretanische Staatsangehörige können nach
mindestens dreijährigem „legalem“ Aufenthalt in Frankreich eine carte de
dix ansoder „Zehn-Jahres-Karte“, also eine de facto unbefristete, da fast
automatisch verlängerbare Aufenthaltserlaubnis beantragen. Anderen Gruppen
ausländischer Staatsangehörigen, sofern sie nicht ihrerseits von
bilateralen Vereinbarungen betroffen sind, steht diese Möglichkeit erst
nach mindestens fünfjährigem legalem Aufenthalt offen.
Das bilaterale Abkommen zwischen der Islamischen Republik Mauretanien und
dem Königreich Spanien, das am 2. Juli 2003 in Madrid unterzeichnet wurde,
ist in praktischer Hinsicht vor allem ein Rücknahme-Abkommen. Es sieht vor,
dass sich „legal“ in Spanien aufhaltende mauretanische Staatsangehörige
einen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten; dass hingegen „illegal“ sich
aufhaltende mauretanische Staatsangehörige durch ihr Herkunftsland
wiederaufgenommen werden müssen. Zugleich verpflichtet Mauretanien sich
jedoch, über sein Territorium gereiste und sich „illegal“ in Spanien
aufhaltende Staatsangehörige von Drittländern auf seinem Boden aufzunehmen,
sofern Spanien sie dorthin zurückschickt. Dies betrifft insbesondere
Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen Afrika.
## Kooperation mit Frontex
Nahezu zeitgleich wurde Mauretanien in der Entwicklungszusammenarbeit der
EU zum „prioritären“ Land erklärt. Mauretanien wurde ferner, mit aktiver
Unterstützung und Rückendeckung durch die spanische Regierung sowie die
EU-Kommission, in einen Förderplan für die Kanarischen Inseln als
„ultraperiphere Region“ der EU und ihren Nachbarschaftsraum einbezogen.
Darin konnte man, wie es die französische Zeitschrift Hommes et Migrations
offensichtlich tat, eine Art Belohnung für politisches Wohlverhalten
erblicken.
Ab Juli 2006 schüttete die EU zudem zwei Millionen Euro an Mauretanien als
Unterstützung für die „Bekämpfung von Immigration“ aus. Ab dem 17. Juli
2006 wurde parallel dazu die Frontex-Operation HERA u.a. vor den
mauretanischen sowie senegalesischen Küsten in Gang gesetzt. Grundlage
dafür waren bilaterale Vereinbarungen, je in Form eines memorandums of
understanding, zwischen dem EU- und Frontex-Mitgliedsland Spanien
einerseits sowie Mauretanien und Senegal andererseits. Unterdessen ging die
Zahl der auf den Kanarischen Inseln eintreffenden Migrantinnen und
Migranten ab 2006 drastisch zurück, von 31.678 registrierten Personen
(2006) auf nur noch 2.264 im Jahr 2009. Im Laufe der
Frontex-Operationsphasen HERA I und HERA II wurden zugleich insgesamt 5.000
„illegale“ reisende Migranten und Migrantinnen unterwegs gestoppt. Die
Frontex-Berichte weisen nicht aus, wohin diese Menschen gebracht wurden.
Im März 2006 wurde in der marokkanischen Hafenstadt Nouadhibou, rund 400
Kilometer nördlich der Hauptstadt Nouakchott und am äußersten
nordwestlichen Küstenzipfel des Landes gelegen, in einer ehemaligen Schule
ein Haftzentrum für „illegal“ durchreisende Menschen eröffnet. Unter
Migrantinnen und Migranten wurde es oftmals als Guantanamito (vom
Spanischen für „Klein-Guantanamo“) bezeichnet. Amnesty International
prangerte im Juli 2008 an, Migranten würden dort mitunter ihres Habs und
Guts beraubt. Sie würden wegen eines „Vergehens“, das nach örtlichem Gese…
nicht strafbar sei – dem Versuch zum Verlassen des Staatsgebiets –
festgehalten. Die Verweildauer in dem Zentrum betrug damals
durchschnittlich eine Woche, ohne Rechtsbehelf und Rechtsmittel, bevor eine
Abschiebung ins jeweilige Herkunftsland erfolgte. Die
Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangerte damals eine
„Politik der Massenfestnahmen und –Abschiebungen“ infolge des „intensiv…
Drucks, den die Europäische Union und insbesondere Spanien ausübten“, an.
Es folgten in den darauffolgenden Jahren eine Reihe kritischer Berichte
auch in vielen europäischen Medien.
Um das Auffang- oder Abschiebelager von Nouadhibou ist es mittlerweile
insofern still geworden, da seit 2013 so gut wie keine Berichte – sei es
über europäische oder afrikanische Medien oder über
Nichtregierungsorganisationen – darüber veröffentlicht werden. Das Lager
ist jedoch nicht geschlossen worden.
## Einzelne Überfahrtsversuche
Der Hauptgrund dafür, dass es derzeit an Bedeutung verloren hat, liegt
darin, dass die Reiseroute über die marokkanische Küste und zu Spanien
gehörenden Inseln – die der afrikanischen Westküste vorgelagert sind – nur
noch in geringem Maße benutzt wird. Und aufgrund der drastisch gestiegenen
Kontrolldichte. In einem am 26. Juli 2016 publizierten Interview spricht El
Hadj Amabdou M’Bow, Generalsekretär der Mauretanischen Vereinigung für
Menschenrechte (AMDH), von einer Verlagerung der Migrationsrouten in
Richtung Mittelmeer, Libyen und Ägypten, was jedoch auch die Zahl der Toten
bei Überfahrten drastisch erhöht habe.
Werden heute „illegal“ reisende Migranten in der Region aufgegriffen, dann
werden sie in der Regel auf eine „klassische“ Polizeiwache innerhalb von
Noaudhibou, oder gleich in die Hauptstadt Nouakchott gebracht. Doch das
Lager könnte den Behörden erneut als Haftzentrum für Durch- oder
Ausreisewillige dienen, wenn deren Zahl wieder steigen sollte.
Denn die Abnahme der Reisebewegungen bedeutet nicht, dass gar keine
Migrantinnen und Migranten an der Stelle mehr durchkämen. So wurden in der
Nacht vom 24. zum 25. Februar 2015 insgesamt achtzehn malische
Staatsangehörige auf dem Meer auf Höhe von Nouadhibou festgenommen, während
sie die Überfahrt auf die Kanarischen Inseln versuchten. Sie wurden in
Polizeihaft auf eine Wache in Nouadhibou gebracht, um sie danach in ihr
Herkunftsland abzuschieben. In der Nacht zum 05. November 2016 wurden,
mauretanischen Presseberichten zufolge, „Schlepper“ – an deren Spitze sich
ein senegalesischer und ein malischer Staatsbürger befunden hätten – in
Nouadhibou festgenommen. Sie seien dabei gewesen, letzte Vorbereitungen zu
treffen, um 35 Personen in Richtung Kanarische Inseln zu befördern. Über
ihren weiteren Verbleib ist derzeit nichts bekannt.
Wiederholt kommt es zu brutalen Übergriffen auf Migranten in Mauretanien,
ob sie sich auf der Durchreise befinden oder für längere Zeit im Land
leben. Am 9. Mai 2016 starb, anlässlich einer brutal durchgeführten
Polizeikontrolle auf einer Baustelle in der Hauptstadt Nouakchott, der
malische Staatsbürger Mody Boubou Coulibaly kurz nach seiner Einlieferung
in ein Krankenhaus. Die Kontrolle diente der Feststellung von Personalien
und der Überprüfung von Aufenthaltserlaubnissen. Coulibaly stürzte bei dem
Versuch, sich dem Zugriff der Einsatzkräfte zu entziehen, aus dem dritten
Stockwerk der Baustelle; als er daraufhin schwerverletzt am Boden lag, soll
ihn Augenzeugenberichten zufolge danach noch eine Kugel getroffen haben.
Aus Anlass dieses Todesfalls protestierte die Mauretanische Vereinigung für
Menschenrechte (AMDH), während in Mali zwar mehrere Medien – La Sentinelle,
Mali Actu – berichteten, jedoch zugleich die Passivität ihrer eigenen
Regierung monierten.
Die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Mauretanien wurde in jüngerer Zeit
erneut intensiviert. Am 19. und 20. Januar 2015 absolvierte der spanische
Innenminister Jorge Fernandez Diaz einen zweitägigen Staatsbesuch in
Nouakchott. Aus diesem Anlass sprach er vor der Presse seinen „Dank an die
mauretanischen Behörden für ihren Beitrag im Kampf gegen illegale
Einwanderung“ aus. Im Gespräch mit seinem mauretanischen Amtskollegen –
Mohamed Ould Ahmed Salem Ould Mohamed Raré – begrüßte Diaz die Erfolge des
Landes beim „Kampf gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität,
gegen den Drogenhandel und die illegale Einwanderung“. Eine bemerkenswerte
Aufzählung und Verquickung höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher
Erscheinungen. Zum Abschluss des zweitägigen Besuches wurde eine
Vereinbarung unterzeichnet, die den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den
Innenministerien beider Staaten zum Gegenstand hat.
12 Dec 2016
## AUTOREN
Bernard Schmid
## TAGS
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