# taz.de -- Rot-rot-grüner Koalitionsvertrag in Berlin: Bau auf, bau auf, bau … | |
> R2G hat viel vor. In Wohnungen, Schulen und die Verwaltung soll | |
> investiert werden, die Zeit des Kaputtsparens ist vorbei. Ein Überblick. | |
Bild: „Für eine bess're Zukunft…“ | |
BERLIN taz | In Stein gemeißelt ist er nicht – vielleicht auch nicht im | |
übertragenen Sinne –, doch seit Donnerstagmorgen liegt der | |
Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen in schriftlicher Form vor. Je | |
nach Parteiversion zwischen 177 und 251 Seiten lang, unterteilt in fünf | |
Kapitel mit 24 Themenbereichen. Der Titel: „Berlin gemeinsam gestalten. | |
Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen“. Poetisch kommt das Werk, das doppelt | |
so lang ist wie die Vereinbarung der Vorgängerregierung, nicht daher, doch | |
mit Ankündigungen, konkreten wie Absichtserklärungen ist es reich bestückt. | |
Los geht’s in der Präambel mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und | |
Zurückhaltung: „Wir wollen zeigen, dass dieser Aufbruch einen Wandel zum | |
Besseren erlaubt, auch wenn nicht alles anders werden wird.“ Das gemeinsame | |
Verständnis einer toleranten, inklusiven Stadt können Wortakrobaten gleich | |
aus dem zweiten Wort des Vertrages herauslesen: „Berliner*innen“. Das | |
konsequente Gendern, eine Politik der Gleichstellung, schlägt sich auch in | |
einem eigenen, fast schon kämpferisch benannten Kapitel nieder: „Die Hälfte | |
der Macht den Frauen“. | |
Die drei längsten Abschnitte, mit je 14 Seiten, zeigen, wo die Schwerpunkte | |
liegen: Wohnen, Verkehr und Umwelt sowie Haushalts- und Finanzpolitik. Über | |
alle könnte man auch den zentralen Satz der Vereinbarung schreiben: „Die | |
Koalition wird ein Jahrzehnt der Investitionen einleiten.“ Die Politik des | |
quietschenden Sparens auf Kosten der sozialen Infrastruktur soll ein Ende | |
haben. Statt den rund 250 Millionen Euro, die 2015 noch in die | |
Schuldentilgung gesteckt wurden, will man sich künftig auf die | |
Mindestrückzahlung von 80 Millionen beschränken. | |
Die frei werdenden Mittel werden in die Stadt gepumpt. Für die Überschüsse | |
von 2016 heißt das: 50 Millionen für die Sanierung von Polizei- und | |
Feuerwehrgebäuden, ebenso viel für die Digitalisierung der Verwaltung, je | |
100 Millionen für Wohnungsbaugesellschaften, Schulsanierung und das | |
landeseigene Stadtwerk, das damit zu einem ernstzunehmenden Anbieter | |
erneuerbarer Energien ausgebaut werden soll. | |
Im Jahr darauf geht es los mit der Finanzierung der Radwege-Infrastruktur, | |
die bis auf 50 Millionen Euro jährlich ansteigen soll, u. a. für den Bau | |
von zwei Meter breiten Radstreifen auf allen Hauptverkehrswegen. Auch für | |
das Personal in den Bezirken und die Erhöhung der Beamtengehälter wird viel | |
Geld in die Hand genommen. Noch klingt es wie eine Illusion, doch schon | |
2017 sollen alle „Bürger*innen innerhalb von 14 Tagen ihr Anliegen in einem | |
Berliner Bürgeramt erledigen können“. | |
## 2 Milliarden im Jahr | |
Im Jahr 2018 sollen „mindestens zwei Milliarden Euro“ jährlich investiert | |
werden, auch mithilfe eigener Gesellschaften, die sich ungeachtet der ab | |
2020 gültigen Schuldenbremse Gelder leihen können. Die in Finanzfragen | |
unter „besonderer Beobachtung“ (Klaus Lederer) stehenden linken | |
Koalitionäre lassen keinen Zweifel an ihrem Vorhaben, dass strukturelle | |
Haushaltsdefizit bis dahin auf null zu senken und keine neuen Schulden | |
aufzunehmen. | |
Einen Schwerpunkt seiner Bemühungen will R2G auf die Wohnungskrise legen. | |
Besonders im Fokus stehen die sechs Wohnungsbaugesellschaften. Ihre | |
Privatisierung wird ausgeschlossen, stattdessen sollen sie in den nächsten | |
fünf Jahren 30.000 Wohnungen neu bauen, weitere dazu kaufen. Das Ziel | |
heißt: 400.000 Wohnungen bis 2025. | |
Mit einer Reihe von Maßnahmen will man zudem dafür sorgen, dass die | |
Gesellschaften den Anstieg der Mieten begrenzen: Mieterhöhungen werden auf | |
zwei Prozent jährlich begrenzt, 60 Prozent der neu vermieteten Wohnungen | |
sollen an Mieter mit Wohnberechtigungsschein gehen. | |
Unnachgiebig zeigt man sich gegen die Interessen von Immobilienbesitzern | |
und Ferienwohnungslobbyisten: So soll die Einrichtung neuer | |
Milieuschutzgebiete unterstützt, das Zweckentfremdungsverbot verschärft | |
werden. Die kämpfenden Mieter vom Kottbusser Tor können auf eine | |
selbstverwaltete Mietergenossenschaft hoffen. Alle neuen Bauprojekte – die | |
umstrittene Elisabeth-Aue gehört nicht dazu – werden auf einer | |
Internetseite gebündelt der Öffentlichkeit präsentiert: mein.berlin.de. | |
## Radfahrer und ÖPNV-Nutzer zuerst | |
Paradigmenwechsel kündigen sich in der Verkehrspolitik an. Neben der | |
weitestgehenden Übernahme der Ziele des Fahrradvolksentscheids, sind | |
Straßenbahnen die neuen Lieblinge. Der Bau der Strecken von der Warschauer | |
Straße zum Hermannplatz oder vom Alex nach Steglitz soll in den nächsten | |
Jahren beginnen. Der Preis für das Sozialticket wird auf 25 Euro, den | |
vorgesehenen ALG-II-Anteil für Mobilität, reduziert. Gelegenheitsfahrer | |
können sich auf ein 10-Fahrten-Karte freuen, Umweltkartenbesitzer schon vor | |
20 Uhr jemanden mitnehmen. | |
Neben dem Großprojekt – Sanierung der maroden Schulen und Neubau – haben | |
sich die Koalitionspartner auf die Anhebung der Gehälter für Grundschul-, | |
Volkshoch- und Musikschullehrer geeinigt. Das linke Prestigeprojekt | |
Gemeinschaftsschule – also das gemeinsame Lernen von der ersten Klasse bis | |
mindestens zur zehnten Klasse – wird vom „Modellprojekt“ zum „Regelange… | |
im Schulgesetz befördert. | |
Eher SPD-geprägt ist die Innenpolitik, die hier auch künftig den Senator | |
stellen wird. Neben deutlich mehr Polizisten, wird es ein Modellprojekt für | |
Bodycams und auch die weitere Erprobung von Elektroschockern geben. Die | |
Opfer dieser Maßnahmen können sich dann künftig an die neue Wache am Alex | |
oder gleich an den unabhängigen Polizeibeauftragten wenden. Der | |
Verfassungsschutz darf weiter wurschteln, allerdings mit strengeren | |
Bedingungen für den Einsatz von V-Leuten. | |
Flüchtlinge sollen integriert und mit Wohnungen versorgt werden, | |
Abschiebungen zur Ausnahme, stattdessen die „unterstütze Rückkehr“ | |
gefördert und Familiennachzug erleichtert werden. Und auch sonst tickt | |
vieles links in diesem Vertrag: Strom- und Gasnetz in öffentliche Hand, | |
kein CETA, keine Studiengebühren, Bundesratsinitiative zur Überprüfung der | |
Sanktionen für Erwerbslose, Privatisierungsverbot. Beschlüsse zum in Stein | |
meißeln. | |
17 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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