# taz.de -- Debatte Bundestagswahl 2017: Am Tag, als Rot-Rot-Grün starb | |
> Mit Trumps Wahlerfolg ist ein Linksbündnis passé. Europa muss sich selbst | |
> um seine Verteidigung kümmern – das geht mit der Linkspartei nicht. | |
Bild: Halten sie zusammen? Eine rot-rot-grüne Koalition könnte an ihrer Auße… | |
April 2018. Eine rot-rot-grüne Koalition unter Kanzler Martin Schulz (SPD) | |
ist seit einem Jahr im Amt. Sie hat eine Bürgerversicherung eingeführt und | |
eine wirkungsvolle Mietpreisbremse beschlossen. Seit Jahresbeginn müssen | |
alle Bundesbehörden in amtlichen Schreiben das Gendersternchen verwenden. | |
Aber außenpolitisch lodern Krisen: In Lettlands Osten sind nach | |
wochenlangen Demonstrationen der russischen Minderheit wie 2014 auf der | |
Krim bewaffnete „grüne Männchen“ aufgetaucht. | |
Sie haben die lettische Armee vertrieben und organisieren eine | |
Volksabstimmung über den Anschluss des lettischen Ostens an Russlands. | |
Lettland verlangt von der NATO militärische Hilfe. Die USA zögern. Kurz | |
zuvor sind Geheimpapiere aufgetaucht (auch „Jalta II“ genannt), wonach die | |
Trump-Regierung die Ukraine, Georgien, Syrien und das Baltikum der | |
russischen Einflusszone zuschlägt. Rot-Rot-Grün zerstreitet sich. SPD und | |
Grüne argumentieren für, die Linke argumentiert gegen eine | |
Bundeswehrentsendung nach Lettland. | |
Das alles ist Fiktion. Aber ein rot-rot-grünes Bündnis nach der nächsten | |
Bundestagswahl ist es nicht weniger. Nicht nur wegen der Umfragewerte, die | |
derzeit das Dreierbündnis nach der Wahl so unwahrscheinlich aussehen lassen | |
wie Rot-Grün 2013. | |
Rot-Rot-Grün fehlt es an inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Zumindest, wenn das | |
Bündnis mehr als ein rein arithmetisches Projekt sein soll, das an ein paar | |
nebensächlichen Stellschrauben dreht. Denkt man Rot-Rot-Grün als Antwort | |
auf den Aufstieg der AfD, müsste es die Angst vor dem sozialen Abstieg in | |
den Mittelpunkt stellen und bei den drei zentralen Themen – Rente, Hartz IV | |
und Wohnungsbau – eine Menge Geld in die Hand nehmen. | |
SPD und Grüne haben nach den Erfahrungen des Wahlkampfs 2013 aber | |
Steuererhöhungen für ihre Klientel ausgeschlossen. Nicht ohne Grund kramten | |
die Teilnehmer des ersten rot-rot-grünen Abgeordnetentreffs im Oktober | |
deshalb die Bürgerversicherung als Thema hervor: eine sinnvolle Reform, die | |
den Bundeshaushalt aber nichts kostet und den unteren Einkommensschichten | |
vergleichsweise wenig nutzt. Sie stand schon im SPD-Agenda-Wahlprogramm | |
2005 und wird von den Sozialdemokraten immer dann gerne hervorgezogen, wenn | |
sie bei den Themen Arbeit und Rente nichts ändern wollen. | |
## 100 Jahre Oktoberrevolution | |
Rot-Rot-Grün würde im Herbst 2017 starten, dem 100. Jahrestag der | |
Oktoberrevolution. Aber es wäre kein Zeichen, dass die Linke ihre | |
historische Spaltung überwunden hätte, sondern dessen Gegenteil. Die SPD | |
wäre wieder zaghaft, diesmal bei sozialen Themen. Die Linkspartei hätte | |
noch immer eine fatale Anhänglichkeit zu Diktatoren und Autokraten. Sie hat | |
ihr August-1914-Trauma niemals überwunden. Bei ihr bestimmt das historische | |
Versagen der SPD, die Zustimmung zu den Kriegskrediten, das außenpolitische | |
Denken. | |
Die Linkspartei ist da stehengeblieben, wo es für sie in der Geschichte am | |
schönsten ist: 1914 war das letzte Mal, dass ihre historische Tradition | |
(von Liebknecht und Lenin bis zur SED) uneingeschränkt recht hatte. Alles, | |
was danach geschah – von der Appeasement-Politik über die sowjetische | |
Besetzung Osteuropas bis zur russischen Politik in Tschetschenien – spielt | |
für ihr Erfahrungswissen keine Rolle. | |
Die Linkspartei ist daher keine pazifistische Partei, auch keine, die | |
Ostpolitik im Sinne von Willy Brandt betreiben würde. Dessen | |
Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock hatte eine entschiedene | |
Verteidigung der westlichen Freiheiten zur Voraussetzung. | |
Im Arbeitskreis VI („Außenpolitik und Internationale Beziehungen“) der | |
Linksfraktion im Bundestag sammeln sich ihre Hardliner: „Die russische | |
Syrienpolitik ist berechenbar, die Tür für Verständigung mit dem Westen, | |
wenn es wirklich um humanitäre Hilfe und Demokratisierung geht, offen“, | |
schreibt Leiter Wolfgang Gehrcke Ende Oktober in seinem Moskauer | |
Reisetagebuch, nachdem die russischen Bomben in Aleppo Hunderte ziviler | |
Opfer gefordert hatten. | |
Gehrcke, 73, früher in der DKP, ist ein Veteran der Linkspartei, aber kein | |
Fossil. Eine Generation danach findet sich Fraktionschefin Sahra | |
Wagenknecht, die schon im März 2014 die Anerkennung der Volksabstimmung auf | |
der Krim über den Anschluss an Russland forderte. Beim diesjährigen | |
Jahresauftakt der Linkspartei ergingen sich selbst Pragmatiker wie Dietmar | |
Bartsch in Anklagen an die Außenpolitik des Westens, ohne das Wort Russland | |
nur einmal zu erwähnen. | |
Rot-Rot-Grün wäre schon schwierig genug geworden, wenn eine Falkin wie | |
Hillary Clinton US-Präsidentin geworden wäre. Aber jetzt, mit Trump? Dem | |
Mann, der Putin lobt, und der Nato-Ländern Beistand nur gewähren will, wenn | |
sie genug zahlen? | |
## Putins Berliner Sympathisanten | |
Die Außenpolitik der USA unter Trump ist unberechenbar. Und die Konsequenz | |
daraus klar: Wenn die USA nicht mehr uneingeschränkt versprechen, | |
Nato-Mitgliedsländer zu verteidigen, müssen dies die Europäer übernehmen. | |
Militärische Maßnahmen müssen glaubhaft angedroht werden können, damit sie | |
niemals eingesetzt werden müssen. Das ist mit der Linkspartei nicht zu | |
machen. | |
Was würde sie im Krisenfall tun? Sobald russische Milizen in Lettland | |
auftauchen, würde die Linkspartei argumentieren, dass schon der Beitritt | |
des Baltikums zur Nato ein Akt der Aggression gewesen sei. Russland hätte | |
somit nur auf den Westen reagiert. | |
Ergäbe eine Volksabstimmung über die Abspaltung Ostlettlands eine Mehrheit, | |
müsste die Bundesregierung sie daher anerkennen. Auch Sanktionen seien eine | |
unnötige Aggression gegenüber Russland. | |
Insgeheim würde die Linkspartei auf ein Auseinanderbrechen der Nato hoffen. | |
Putin hätte mit Rot-Rot-Grün nicht nur im Weißen Haus Sympathisanten, | |
sondern auch im Berliner Regierungsviertel. | |
Am Mittwoch vorletzter Woche, am Tag nach der Wahl Donald Trumps, haben | |
sich Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt und Toni | |
Hofreiter beim Italiener getroffen. Ein rot-grünes Spitzentreffen, um | |
Rot-Rot-Grün zu besprechen. Vermutlich gab es Rotwein und Pasta, dabei | |
hätten ein paar schnelle Grappe zur Beerdigungsfeier genügt: Rot-Rot-Grün | |
ist tot. | |
22 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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