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# taz.de -- Nato-Abwehrverbund in Litauen: Die Abschreckungsmaßnahme
> Zur Prävention gegen Russland schickt die Bundeswehr Soldaten und
> Kriegsgerät ins Baltikum. Die Wirkung der Maßnahme ist umstritten.
Bild: Bereit für das Baltikum: Ein Soldat des Panzergrenadierbataillon 122 sch…
Grafenwöhr taz | Der Bergepanzer muss warten. Das mächtige Fahrzeug –
Modell „Büffel“, neun Meter lang, über fünfzig Tonnen schwer – steht am
Rande der Laderampe, während nach und nach 42 Panzerwagen, Autos und
Unimogs der Bundeswehr auf die Bahnanhänger auffahren. Mit seinem Kran,
rechts von der Fahrerluke befestigt, kann der Panzer bis zu dreißig Tonnen
Gewicht anheben. Das ist der Grund, warum er heute erst ganz am Ende
verladen wird: Sollte zuvor eines der anderen Fahrzeuge beim Auffahren vom
Anhänger fallen, muss der Büffel es aus dem Gleisbett heben.
Es ist glatt auf den Anhängern, am Morgen fiel Eisregen. Und die
Verladeaktion ist für die Soldaten am Gleis nicht alltäglich. „Eine
Bahnverladung in dieser Größenordnung wird nicht mehr regelmäßig
durchgeführt. Insofern ist es schon eine Herausforderung“, sagt der
Oberleutnant, der die Fahrer an der Rampe einweist.
Insgesamt 43 Militärfahrzeuge fertigen die Soldaten an diesem Dienstag in
Grafenwöhr ab. Die meisten, darunter zwei Boxer-Transportwagen mit
Stahlpanzerung und Maschinenkanone auf dem Dach, sind eigentlich als Teil
des Panzergrenadierbataillons 122 in verschiedenen nordbayerischen
Stützpunkten stationiert.
Hier, in Grafenwöhr an der Verladerampe des US-Truppenübungsplatzes, werden
sie nun auf Güterwagen festgezurrt. In den nächsten vier Tagen werden sie
auf der Schiene in Richtung Nordosten fahren und über Polen nach Litauen
gelangen. Das Ziel: Der Militärstützpunkt in Rukla, etwa 80 Kilometer
nordwestlich von Vilnius.
## 190 Fahrzeuge, 450 Soldaten
Bis Ende Februar werden 190 Fahrzeuge, darunter auch schwer bewaffnete
Leopard-2-Kampfpanzer und Schützenpanzer vom Typ Marder, zusammen mit 450
deutschen Soldaten nach Litauen verlegt. Dort treffen sie auf Truppen und
Material aus Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen. Gemeinsam
werden die insgesamt rund 1.000 Soldaten unter deutscher Führung zur
„Nato-Battlegroup Lithuania“.
Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten hatten auf ihrem
Warschauer Gipfeltreffen im Juli 2016 beschlossen, den Verband
einzurichten. Gleichzeitig bildet die Nato drei ähnliche Kampfgruppen in
Estland, Lettland und Polen. Als „Abschreckungsmaßnahme“ gegen Russland und
Reaktion auf die Ukrainekrise sollen sie laut dem Gipfelbeschluss
„eindeutig Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit demonstrieren“.
Tatsächlich gab es in der Geschichte der Nato noch nie einen vergleichbaren
Truppenaufbau in Osteuropa. Parallel hat die US-Army unter eigenem Kommando
schon Anfang Januar eine schwer bewaffnete Kampfbrigade mit rund 4.000
Soldaten durch Deutschland nach Polen verlegt. Von dort wird die Einheit
auf verschiedene osteuropäische Länder verteilt. Material für eine weitere
Brigade lagern die Amerikaner in den Niederlanden ein. Auch das soll der
Abschreckung Russlands dienen.
Als Einsatz im eigentlichen Sinne gilt dies nicht. Offizielle
Sprachregelung von Bundesregierung und Bundeswehr: Die deutschen Soldaten
sollen in Litauen üben. „Nach Abschluss der Verlegung starten wir ab März
Ausbildungen und Übungen mit den multinationalen Partnern und
selbstverständlich auch mit den litauischen Kameraden“, sagt Oberstleutnant
Lars Obst, stellvertretender Kommandeur des Bataillons.
## Mission: Überraschungsangriffe verlangsamen
Was genau werden die Soldaten in Litauen trainieren? Einen Hinweis bieten
die Vorbereitungen der Panzergrenadiere am Ende des vergangenen Jahres. Im
Dezember übten sie in Grafenwöhr schon mal für die kommenden Monate, wie
sie die Offensive eines Feindes durch gezielte Gegenangriffe verlangsamen
können.
Dieser Fokus kommt nicht von ungefähr. Die Rand Corporation, eine
amerikanische Denkfabrik mit engen Verbindung zur US-Armee, spielte noch
vor den Warschauer Nato-Beschlüssen verschiedene Szenarien für einen
Angriff auf das Baltikum durch. Militärexperten legten eine Karte der
Region auf einen Tisch und verschoben wie in einem Brettspiel verschiedene
Armee-Einheiten darauf hin und her.
In ihrem damaligen Szenario gingen die Wissenschaftler davon aus, dass
Russland für einen Überraschungsangriff 27 Bataillone mit jeweils rund
1.000 Soldaten zusammenziehen könnte – ordentlich ausgerüstet und
ausgebildet. Die schwachen baltischen Armeen und ihre Verbündeten konnten
sich demnach kurzfristig nur mit zwölf Bataillonen dagegen stemmen – leicht
bewaffnet, ohne einen einzigen Kampfpanzer und auf eine schnelle
Truppenverlegung nicht vorbereitet. Das Fazit der Experten vor exakt einem
Jahr: Wenn die russische Regierung es will, können ihre Truppen innerhalb
von sechzig Stunden vor Tallinn und Riga stehen.
Als Gegenmaßnahme schlugen die Strategen dem Verteidigungsbündnis vor,
sieben einsatzbereite Brigaden mit jeweils mehreren tausend Soldaten
aufzustellen. Nach Auffassung der Denkfabrik könnten auch diese sieben
Brigaden einen Überraschungsangriff zwar nicht zurückschlagen, aber
zumindest für eine Weile aufhalten. Das Kalkül: Da den Russen höhere
Verluste drohten, werde ein Angriff unwahrscheinlich.
## Eher ein symbolischer Beistand
Tatsächlich verlegen die Bundeswehr und ihre Nato-Partner jetzt weit
weniger Einheiten in Richtung Osten. Im Ernstfall könnten sie einem Angriff
nicht viel entgegensetzen. Zumindest symbolisch soll die Truppenverlegung
den Polen und Balten dennoch den westlichen Beistand versichern. Allein
dieses Zeichen könnte Russland abschrecken.
Das ist die eine Sichtweise. Es gibt aber auch eine andere. Demnach muss
das Konfliktrisiko durch die Truppenverlegung nicht unbedingt sinken. Es
könnte auch steigen.
„Im Nebel der hybriden Kriegsführung könnten auf die Nato-Truppen Aufstände
der russischsprachigen Minderheiten zukommen, unterstützt und angeleitet
durch Russland“, schreibt Martin Zapfe, Politikwissenschaftler an der ETH
Zürich, in einer Analyse. Ein hypothetisches Szenario, das nach den
Erfahrungen aus der Ukrainekrise aber nicht vollkommen undenkbar ist.
Reagiert eine Nato-Einheit unbesonnen auf so eine Konfrontation, könnte die
Situation schnell eskalieren – und dem Kreml möglicherweise einen Vorwand
dafür bieten, zum Schutz der Minderheiten einzugreifen.
## Ein Akt der Provokation
Eine andere Befürchtung: Schon die Truppenverlagerung an sich könne in
Moskau als Provokation empfunden werden und die Spannungen zwischen Ost und
West verstärken. „Statt auf Panzer im Osten und Waffenexporte weltweit zu
setzen, braucht unser Land eine Debatte über eine neue europäische
Friedensordnung, die nicht ohne bessere deutsch-russische Beziehungen zu
haben seit wird“, sagt Katja Kipping, Vorsitzende der Linkspartei. Ihr
zufolge verstoßen die Maßnahmen zudem gegen die
Nato-Russland-Grundlagenakte.
In dem Abkommen aus den 1990er Jahren kündigte die Nato an, keine
„zusätzlichen substantiellen Kampftruppen dauerhaft [zu] stationieren“. Aus
Sicht der Bundesregierung verstößt die Truppenverlagerung allerdings gar
nicht gegen dieses Prinzip: Mit Rücksicht auf das Abkommen werden die
deutschen Soldaten genau genommen nicht dauerhaft in Litauen stationiert.
Sie bleiben für sechs Monate – und werden dann im Rotationsprinzip durch
neue Bundeswehrsoldaten ersetzt.
Militärisch gesehen hat das auch noch einen ganz praktischen Vorteil. Die
Panzergrenadiere aus Nordbayern ziehen in einem halben Jahr mit ihrem
gesamten Material wieder aus Rukla ab. Als Ersatz dafür wird das nächste
deutsche Bataillon seine Fahrzeuge auf Züge verladen und in Richtung
Litauen schicken. Was das unfallfreie Auffahren auf Bahnanhänger angeht,
sammelt die Bundeswehr also weiter Erfahrung.
31 Jan 2017
## AUTOREN
Tobias Schulze
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