# taz.de -- Debatte Rot-Rot-Grün in Berlin: No risk, no fun! | |
> Erst in Berlin, dann im Bund: Die rot-rot-grüne Koalition sollte das | |
> Signal sein für einen gemeinsamen Lagerwahlkampf linker Parteien. | |
Bild: Rot-rot-grün: Interessant? Lecker? Wacklig? | |
Rot-Rot-Grün regiert in Berlin – das zeigt, was möglich ist, wenn alle es | |
wollen. Neben Thüringen setzt nun das zweite Bündnis dieser Art Maßstäbe. | |
Die bundespolitische Signalwirkung ist dabei ungleich größer: Was sich in | |
der Hauptstadt tut, wird schärfer unter die Lupe genommen. In Berlin führt, | |
anders als in Thüringen, die SPD die Koalition, was im Bund die einzige | |
Option ist. Auch der Startzeitpunkt der Berliner, neun Monate vor der | |
nächsten Bundestagswahl, gibt der linken Bündnisidee Schwung. | |
Jetzt ist die Chance da, diesen Schwung zu nutzen. Auch auf Bundesebene | |
treffen sich bereits VertreterInnen von SPD, Linkspartei und Grünen, die | |
sich lange mit Misstrauen beäugten, und fordern zum Teil offen ein solches | |
R2G genanntes Projekt. Für eine sozial gerechtere, ökologischere und | |
solidarischere Politik im Bund müssen jetzt gemeinsame Inhalte folgen – und | |
ein öffentliches Bekenntnis aller drei Parteien zu einer anderen Politik. | |
Ein Signal für ein gemeinsames Bündnis bedeutet auch eine selbstbewusste | |
Absage an Schwarz-Grün oder eine Große Koalition. Damit klar wird, dass R2G | |
das Ziel ist – nicht nur ein aus der Not geborener Ersatz. Und weil bis | |
Herbst 2017 so viel Zeit nicht mehr ist, braucht es jetzt: einen offensiven | |
linken Lagerwahlkampf. | |
## Konsenstümelei in der Mitte | |
Als der Begriff in den 1980er Jahren aufkam, ging es vor allem der CDU | |
darum, WählerInnen der Mitte für sich zu gewinnen. Erst später wurde damit | |
das Trennende der Lager benannt. Darum muss es auch jetzt gehen: Seit den | |
Erfolgen der AfD und der Wahl von Donald Trump ist klar, dass die | |
Konsenstümelei in der Mitte, das Sich-ununterscheidbar-Machen nur den | |
Rechtspopulisten nützt. | |
Es braucht deshalb ein Politikangebot, das erkennbar für einen Wechsel | |
steht. Die Parteien links von der Union, vor allem SPD und Grüne, wollen | |
das noch nicht wahrhaben, aus Angst, WählerInnen zu verschrecken. Auch | |
manche PolitikerInnen der Linkspartei blinken etwa in Asylrechtsfragen | |
gerne mal rechts, um dort zu fischen. | |
Rechts der Mitte hat man den Nutzen des Lagerwahlkampfs längst erkannt. | |
Horst Seehofer etwa schwört seine Partei schon darauf ein: Wofür er steht | |
und was mit ihm 2017 auf keinen Fall zu machen ist, ist klar. Dass sich die | |
CSU hin zum rot-grünen Lager orientieren könnte, liegt jenseits des | |
Vorstellungsvermögens. Und auch die AfD macht ganz selbstverständlich ihr | |
Ding. | |
Gleichzeitig weisen die Rechten den Linken ihre Position zu: Seehofer etwa | |
macht Stimmung gegen eine rot-rot-grüne „Linksfront“. Glaubt man ihm, steht | |
mit R2G der Untergang des Abendlandes bevor. Das kann und muss man lesen | |
als Bestätigung des Potenzials dieses Projekts. Viel Feind, viel Ehr. | |
## Koalitionsoptionen in alle Richtungen | |
Für SPD, Linkspartei und Grüne bedeutet das keineswegs, für ein klar | |
artikuliertes Linksbündnis die Grenzen verwischen zu müssen – im Gegenteil. | |
Als Fundament für die Zusammenarbeit müssten sich die drei sogar auf ihre | |
jeweiligen Kernanliegen besinnen und ihre Konturen schärfen: die Grünen als | |
ökologisch orientierte Partei mit gesellschaftspolitischer Utopie. Die | |
Linkspartei, die mit einer undogmatisch-emanzipatorischen Politik | |
prekarisierte und pazifistisch orientierte WählerInnen anspricht. Und die | |
SPD, die sich zur traditionellen Arbeiterschaft bekennt. Bei diesem | |
Dreiklang wissen die WählerInnen, worauf sie sich einlassen: auf eine | |
bestimmte Partei – und auf ein konkretes Bündnis. | |
Denn sie wollen wissen, was die gewählte Partei in der Partnerschaft mit | |
anderen vorhat. Wählen sie die Grünen, wenn sie damit rechnen müssen, dass | |
die sich an die Union verkaufen und dann als höchstens noch gefühlte | |
Kulturlinke die besserverdienende obere Mittelschicht bedienen? Wählen sie | |
die Linkspartei, wenn sie wissen, dass die roten Linien, für die die Partei | |
jahrelang stand, überschritten werden, um sich in eine weitere Partei der | |
Mitte zu verwandeln? Und wählen sie die SPD, wenn sie fürchten, dass sie | |
mit der CDU Steuererhöhungen für Reiche ablehnt und weiter den | |
Austeritätskurs in Europa mitträgt? | |
Ihre Gewohnheit, sich Koalitionsoptionen in alle Richtungen offen zu | |
halten, kostet die Parteien nicht nur Profil und Glaubwürdigkeit. Sie führt | |
auch zu Enttäuschung, Resignation und mangelndem Vertrauen bei den | |
WählerInnen. Die Unberechenbarkeit und die Sorge, dass die gewählte Partei | |
letztlich gegen die eigenen Interessen und gewählten Inhalte handelt, | |
müssen zugunsten verlässlicher Programme und klarer Koalitionsansagen | |
verschwinden. Wer mit allen koalieren kann, steht für nichts. WählerInnen | |
aber müssen von Parteien bekommen, was draufsteht. | |
## SPD ohne Profil | |
Die Ziele des Dreierbündnisses müssen deshalb so bald wie möglich | |
öffentlich klar werden – und dafür muss sich vor allem die SPD bewegen, die | |
in den vergangenen Jahrzehnten so sehr an Profil verloren hat, dass sie | |
schon fast scheintot ist. Agenda 2010, Ceta, Rüstungsexporte in Länder, in | |
denen Menschenrechte nichts zählen – in all diesen Punkten unterscheidet | |
sich die SPD so wenig von der CDU, dass sich die Frage aufdrängt: Kann man | |
R2G mit so einer SPD überhaupt noch machen? | |
Die Antwort ist: Wenn die Partei nicht völlig in der Bedeutungslosigkeit | |
verschwinden will, ist ein klares Bekenntnis zu einer linken Politik sogar | |
ihre einzige Chance. Denn damit wüchsen die Chancen auf Mobilisierung im | |
Wahlkampf nicht nur auf parteipolitischer, sondern auch auf | |
zivilgesellschaftlicher Ebene: Sofern NGOs, außerparlamentarische Gruppen | |
und Gewerkschaften wissen, welche Bündnispolitik sie mit dem Werben für | |
eine der drei Parteien unterstützen, lassen sie sich viel eher in derlei | |
Prozesse einbinden. Und zumindest Teile der zuletzt 30 Prozent der | |
Bevölkerung, die bei der letzten Bundestagswahl nicht wählen gingen, würden | |
über solche Gruppen besser, weil ausdifferenzierter erreicht. | |
Und wenn dieses Dreierbündnis in der Bundestagswahl untergeht? Dann | |
passiert das wenigstens mit Haltung. Verlieren ist auch eine Option in | |
einer Demokratie. Sie darf nur nicht dazu führen, Politik nur auf | |
machtstrategischen Überlegungen aufzubauen. Was im Fall einer Niederlage | |
anstünde, wäre eine gemeinsame linke Oppositionsarbeit – das Bündnis dafür | |
steht schon. | |
18 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
## TAGS | |
Grüne Berlin | |
Die Linke Berlin | |
R2G Berlin | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Berlin | |
R2G Berlin | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
R2G Berlin | |
Rigaer94 | |
Lesestück Interview | |
R2G Berlin | |
R2G Berlin | |
R2G Berlin | |
R2G Berlin | |
Berlinwahl 2016 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
R2G in Thüringen: Regeln für eine glückliche Beziehung | |
In Thüringen regieren SPD, Linke und Grüne seit zwei Jahren. Die | |
PolitikerInnen sind selbst erstaunt, wie gut es klappt. Geht das auch im | |
Bund? | |
Schnittmengen von Rot-Rot-Grün: Kein flotter Dreier | |
Reichen die Gemeinsamkeiten von SPD, der Linkspartei und den Grünen? Wie | |
realistisch ist eine linke Koalition inhaltlich? Das zeigt der taz-Test. | |
Kommentar Der neue Senat in Berlin: Das Glaubwürdigkeitsproblem bleibt | |
Kann es der Berliner SPD gelingen, sich gegenüber dem grünen und dem linken | |
Koalitionspartner zu profilieren? Wohl kaum. | |
taz-Vorschläge für Rot-Rot-Grün: So wird die Stadt gerockt | |
Michael Müller ist gewählt, Berlins neue Regierung will eine | |
Aufbruchstimmung vermitteln. Mit diesem Sofortprogramm könnte das | |
tatsächlich gelingen. | |
Rot-Rot-Grün im Trialog: „Ihr seid ja alle Sozialdemokraten!“ | |
Sahra Wagenknecht, Katarina Barley und Cem Özdemir sprechen gemeinsam über | |
rote Linien – und die Chancen auf Rot-Rot-Grün auf einer Skala von 1 bis | |
10. | |
Christopher Lauer über Berliner Politik: „Rot-Rot-Grün muss geil abliefern�… | |
Ex-Pirat Christopher Lauer ist seit Kurzem SPD-Genosse. Ein Gespräch über | |
Politik, Glaubwürdigkeit und die neue linke Koalition in Berlin. | |
Debatte Bundestagswahl 2017: Am Tag, als Rot-Rot-Grün starb | |
Mit Trumps Wahlerfolg ist ein Linksbündnis passé. Europa muss sich selbst | |
um seine Verteidigung kümmern – das geht mit der Linkspartei nicht. | |
Rot-rot-grüner Koalitionsvertrag in Berlin: Bau auf, bau auf, bau auf | |
R2G hat viel vor. In Wohnungen, Schulen und die Verwaltung soll investiert | |
werden, die Zeit des Kaputtsparens ist vorbei. Ein Überblick. | |
Kommentar Rot-Rot-Grün in Berlin: Schaut auf diese Stadt | |
Die neue Koalition steht. Sie wird beweisen, wie linke Politik im Angesicht | |
von Rechtspopulisten funktioniert: mit viel Haltung. | |
Rot-rot-grüner Senat in Berlin: Habemus #R2G | |
SPD, Linke und Grüne einigen sich auf einen Koalitionsvertrag. Unter | |
Rot-Rot-Grün wird sich einiges ändern in der Berliner Politik. |