# taz.de -- Kommentar Der neue Senat in Berlin: Das Glaubwürdigkeitsproblem bl… | |
> Kann es der Berliner SPD gelingen, sich gegenüber dem grünen und dem | |
> linken Koalitionspartner zu profilieren? Wohl kaum. | |
Bild: Michael Müller wird es schwer haben, seine Partei wieder attraktiv zu ma… | |
Nun geht der erste rot-rot-grüne Senat in Berlin an den Start, und zwar | |
unter bundespolitischer Beobachtung: Vom Abschneiden der neuen Regierung in | |
der Hauptstadt hängt auch ab, ob eine solche Koalition ab September im Bund | |
infrage kommt. Vor allem die SPD sollte sich das genau anschauen. Denn | |
bislang deutet in Berlin nicht viel darauf hin, dass die Sozialdemokraten | |
vom Linksbündnis profitieren. | |
Dabei ist die Lektüre des von Rot-Rot-Grün ausgehandelten | |
Koalitionsvertrags tatsächlich fast schon beflügelnd: Wenn nur die Hälfte | |
davon wirklich kommt, dann tut sich was in der Stadt. SPD, Linke und Grüne | |
haben sich zum Beispiel darauf verständigt, den Radverkehr massiv zu | |
stärken. Auf dem symbolträchtigen Boulevard Unter den Linden sollen keine | |
Autos mehr fahren. | |
Eine kleine Energiewende ist geplant, ebenso wie eine linkere | |
Sozialpolitik: Die Richtwerte für Mieten von Hartz-IV-EmpfängerInnen will | |
Rot-Rot-Grün erhöhen, MieterInnen von Sozialwohnungen sollen mehr Zuschüsse | |
erhalten. Die Koalition will mehr Schlafplätze für Obdachlose schaffen und | |
sich besser um Flüchtlinge kümmern. Sogar die Cannabisfreigabe würde man | |
gerne ausprobieren. | |
Es gibt also so etwas wie einen linken Aufbruch, einen neuen politischen | |
Schwung in Berlin. Das Problem der SPD: Sie hat davon nichts. | |
Die verkehrspolitischen Neuerungen werden allein den Grünen zugeschrieben, | |
schließlich stellt die SPD schon seit 2001 den Regierenden Bürgermeister | |
und hat in dieser Zeit keine allzu große Radlerfreundlichkeit erkennen | |
lassen. Obwohl der Radverkehr explodierte, änderte sich an holprigen | |
Radwegen und Mangel an Spuren nichts. | |
## Ein urgrünes Thema | |
Gut, Verkehr ist eben ein urgrünes Thema, könnte man sagen, sollen die sich | |
damit schmücken. Wesentlich verhängnisvoller für die Sozialdemokraten ist | |
denn auch, dass sich mit sozialpolitischen Verbesserungen vor allem die | |
Linkspartei profilieren kann. Sie brachte im Koalitionsvertrag Forderungen | |
aus ihrer Zeit in der Opposition unter und stellt in den Schlüsselressorts | |
Arbeit, Soziales, Integration und Stadtentwicklung die Senatorinnen. | |
Traurige Erkenntnis für die SPD: Am Glaubwürdigkeitsproblem, das die Partei | |
seit den Hartz-Reformen beim Thema soziale Gerechtigkeit hat, ändert auch | |
ein Linksbündnis nichts. Den Sozialdemokraten kommt in der neuen | |
Konstellation die eher undankbare Rolle zu, die beiden kleineren Partner zu | |
mäßigen, allzu wilde oder teure Pläne von Linken und Grünen mithilfe ihres | |
Finanzsenators auszubremsen, die Stadt per Innenbehörde vernünftig zu | |
verwalten. | |
## Keine Begeisterungsstürme | |
Das löst – im Gegensatz zu autofreien Straßen und Mietzuschüssen – keine | |
Begeisterungsstürme aus. In einer Umfrage von Ende November, also nach | |
Abschluss der Koalitionsverhandlungen, fiel die SPD folglich noch hinter | |
ihr desaströses Wahlergebnis vom September (21,6 Prozent) zurück – auf | |
magere 19 Prozent. | |
Dabei hat die SPD gegenüber Linken und Grünen einen großen Vorteil: Sie | |
stellt den Regierungschef. Eine Funktion, in der man sich üblicherweise am | |
besten profilieren kann. Das ist Michael Müller allerdings schon vor der | |
Wahl nicht wirklich gelungen. Er ist kein kantiger oder schillernder | |
Charakter, steht als Person vor allem für Vernunft und Sachlichkeit. Kaum | |
ein Porträt über ihn kommt ohne das Adjektiv „blass“ aus. | |
Was folgt daraus, wenn man das Berliner Bündnis als Blaupause für den Bund | |
betrachtet? Angenommen, SPD, Grüne und Linke hätten nach der Bundestagswahl | |
im Herbst tatsächlich eine Mehrheit und könnten sich, überraschenderweise, | |
auf eine Zusammenarbeit verständigen: Nach den Erfahrungen in Berlin | |
müssten sich die Sozialdemokraten frühzeitig Gedanken machen, wie auch sie | |
es schaffen, sich in dem Linksbündnis besser als in der Großen Koalition zu | |
profilieren. | |
Es wird nicht einfach für die Genossen, weder in Berlin noch im Bund. Dass | |
sich die SPD doch wieder berappelt, das sollten sich auch Grüne und Linke | |
wünschen. Denn ohne eine halbwegs starke SPD geht Rot-Rot-Grün sowieso | |
nicht. | |
8 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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