| # taz.de -- Rot-Rot-Grün im Trialog: „Ihr seid ja alle Sozialdemokraten!“ | |
| > Sahra Wagenknecht, Katarina Barley und Cem Özdemir sprechen gemeinsam | |
| > über rote Linien – und die Chancen auf Rot-Rot-Grün auf einer Skala von 1 | |
| > bis 10. | |
| Bild: Selbst die Bio-Limonade ist rot, rot und grün: Sahra Wagenknecht, Katari… | |
| taz: Frau Wagenknecht, Frau Barley, Herr Özdemir, zu Beginn eine | |
| Schätzfrage: Für wie wahrscheinlich halten Sie Rot-Rot-Grün 2017 auf einer | |
| Skala von 1 – „minimale Chance“ – bis 10 – „so gut wie sicher“? | |
| Sahra Wagenknecht: 3 bis 4, wenn ich sehr optimistisch bin. | |
| Katarina Barley: Es hängt ja nicht nur von uns dreien ab. Eine 4. | |
| Wagen Sie die 5, Herr Özdemir? | |
| Cem Özdemir: Die Wahrscheinlichkeit hängt von so vielen Faktoren ab, dass | |
| sie sich nicht in ein solches Zahlenkorsett pressen lassen. Aber gut: Ich | |
| bleibe bei Frau Barley, eine 4. | |
| Was wäre der inhaltliche Kern eines Linksbündnisses? | |
| Barley: Wir alle wollen soziale Gerechtigkeit in diesem Land. Dieses | |
| Interesse eint uns, auch wenn wir uns in manchen Punkten unterscheiden. | |
| Wagenknecht: Rot-Rot-Grün müsste einen echten sozialen Aufbruch verkörpern. | |
| Menschen, die sich seit Jahren im Stich gelassen fühlen, müssen spüren, ihr | |
| Leben wird endlich wieder besser und sicherer. | |
| Özdemir: Die Zeit von Koalitionen als Projekt ist vorbei. Koalitionen | |
| ergeben sich aufgrund von Wahlergebnissen. Die führenden Personen sollten | |
| sich in die Augen schauen und sagen können: Das können wir vier Jahre lang | |
| uns und dem Land zumuten. Für mich wären bei Rot-Rot-Grün die ökologische | |
| Modernisierung entscheidend, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die | |
| Weltoffenheit Deutschlands. Ich finde aber wichtig, nicht nur über das | |
| Gemeinsame zu reden. Wir sollten auch die Fallstricke benennen … | |
| Die Harmonie ging ja schnell zu Ende. Die Haltung zur EU ist eine | |
| Bruchstelle für ein Linksbündnis, oder? | |
| Özdemir: Für mich ist das das entscheidende Thema, das alle anderen | |
| überlagert: Wie steht die Linkspartei zu Europa? Nicht zu einem imaginären, | |
| noch zu bauenden Europa – sondern zur real existierenden EU? Für mich ist | |
| klar: Wer diese EU abreißen und komplett neu bauen will, erteilt Europa | |
| eine Absage. | |
| Frau Wagenknecht, wollen Sie das jetzige Europa zerstören? | |
| Wagenknecht: Ich will gute europäische Zusammenarbeit. Die heutige EU | |
| zerstört Europa, denn sie macht die Le Pens stark. Deutschland exportiert | |
| mit seinen permanenten Handelsbilanzüberschüssen Arbeitslosigkeit. | |
| Gleichzeitig wandert die gebildete junge Generation aus Südeuropa aus. So | |
| kommen diese Länder nie wieder auf die Beine. Die Aussage „Wer Europa will, | |
| muss ‚Weiter so‘ sagen“ ist grundfalsch. | |
| Özdemir: Natürlich soll nicht alles bleiben, wie es ist. In Griechenland | |
| gab es einen immensen Reform- und Investitionsbedarf. Daher war es ein | |
| Fehler, in der Finanzkrise ausschließlich aufs Sparen zu setzen. | |
| Barley: Dass die EU reformbedürftig ist, bezweifelt keiner. Im Gegensatz zu | |
| Ihnen, Frau Wagenknecht, sage ich aber: Die EU, so wie wir sie kennen, ist | |
| ein historisches, friedensstiftendes Projekt, das wir nicht gefährden | |
| dürfen. Ich wohne im Dreiländereck bei Trier. Die Großeltern der Menschen, | |
| die dort leben, haben gegeneinander Krieg geführt. Das dürfen wir nie | |
| vergessen. | |
| Scheitert der Euro, scheitert Europa, sagt Angela Merkel. Der | |
| Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagt: Der Euro war ein Mittel zum Zweck, | |
| nämlich für ein prosperierendes Europa. Wenn er das Gegenteil bewirkt, muss | |
| er weg. Wer hat recht? | |
| Wagenknecht: Aktuell spaltet der Euro Europa, er verschärft | |
| Ungleichgewichte. Für manche Länder ist er zu hart, für andere zu weich. | |
| Eine gemeinsame Währung funktioniert eben nicht, wenn Volkswirtschaften | |
| sich sehr unterschiedlich entwickeln, vor allem die Löhne. Deshalb sollte | |
| die EU ein Währungssystem schaffen, in dem die Spekulation ausgebremst | |
| wird, es aber wieder Auf- und Abwertungen gibt. | |
| Sie wollen also die Rückkehr zu mehreren Währungen in der Eurozone? | |
| Wagenknecht: Das wäre sinnvoll. Vor dem Euro gab es ein Europäisches | |
| Währungssystem, das nur den Fehler hatte, dass die Bundesbank alles steuern | |
| konnte. Deshalb ist eine Europäische Zentralbank, bei der alle Länder | |
| Mitsprache haben, wichtig. | |
| Özdemir: Das Ende des Euro wäre der Anfang vom Niedergang der EU. Es ist | |
| doch absurd, wenn progressive Parteien oder solche, die sich dafür halten, | |
| in das antieuropäische Horn der ganz Rechten tröten. | |
| Barley: Keine Frage, wir brauchen ein sozialeres Europa. Ich halte zum | |
| Beispiel europäisch organisierte Sozialversicherungen für denkbar. Aber die | |
| Fantasie, man male sich die ideale EU und dann werde alles gut, halte ich | |
| für Unfug. In Wirklichkeit geht es um einen zähen Prozess, das Bestehende | |
| in kleinen Schritten zum Guten zu verändern. | |
| Dass der Euro ohne gemeinsame Sozialpolitik Ungleichheiten verschärft, ist | |
| doch nicht von der Hand zu weisen. | |
| Barley: Die südeuropäischen Länder waren auch in keinem guten Zustand, als | |
| sie noch eine eigene Währung hatten. | |
| Wagenknecht: Natürlich war Südeuropa früher nicht die Insel der Seligen. | |
| Aber die ökonomische Entwicklung war eindeutig besser. Italien hat allein | |
| seit 2008 ein Viertel seiner Industrie verloren. Das kann nicht so | |
| weitergehen. Ich wohne an der Grenze zu Frankreich. Dort beträgt der | |
| Mindestlohn 9,67 Euro. Wie sollen französische Landwirte konkurrenzfähig | |
| sein, wenn der Mindestlohn zwei Kilometer weiter bei 8,50 Euro liegt? | |
| Wäre das was für Rot-Rot-Grün – ein Mindestlohn auf derselben Höhe wie in | |
| Frankreich? | |
| Özdemir: Ich rate davon ab, dass wir Dinge versprechen, die wir nicht | |
| erfüllen können. Ein europäischer Mindestlohn auf gleichem Niveau geht | |
| angesichts der Unterschiede in den Ländern erst mal nicht. Sozialpolitik | |
| bleibt gegenwärtig überwiegend eine Frage der Mitgliedsstaaten, auch wenn | |
| alle eine solidarische Verantwortung tragen. Die Jugendarbeitslosigkeit im | |
| Süden darf auch uns nicht kaltlassen. Wir müssen Prioritäten setzen, weil | |
| nun mal nicht alles gleichzeitig geht. Die drängenden Fragen sind: Wollen | |
| wir Europa zu dem Kontinent machen, der beim Klimaschutz energisch | |
| vorangeht? Was zukunftsfähige Arbeitsplätze angeht, ist das übrigens auch | |
| eine Gerechtigkeitsfrage. | |
| Rot-Rot-Grün hätte außenpolitisch noch andere Baustellen. Wie schätzen Sie | |
| Putins Außenpolitik ein? | |
| Wagenknecht: Russland kämpft um seine Einflusssphären. Syrien ist die | |
| letzte Bastion, die die Russen im Nahen Osten noch haben. Putin will sich | |
| dort nicht von den USA vertreiben lassen, deshalb hat er mit aller | |
| Brutalität in den Krieg eingegriffen. Ähnlich sah es bei der Krim aus. | |
| Putin ging es vor allem um seine Schwarzmeerflotte. | |
| Putin verteidigt sich nur gegen die aggressive Expansion der Nato? | |
| Wagenknecht: Russland macht imperialistische Politik, wie die USA, die | |
| weltweit auch nicht intervenieren, um Freiheit und Demokratie zu | |
| verteidigen, sondern für Öl, Gas und Einflusssphären. Der Unterschied ist: | |
| US-Truppen stehen heute an der russischen Grenze, nicht russische Truppen | |
| an der Grenze der USA. | |
| Özdemir: Wie Sie sich sicher vorstellen können, sehe ich das anders. Ich | |
| hatte früher einen großartigen Lehrer, einen Linken, der heute | |
| wahrscheinlich bei Ihnen in der Partei wäre. Wenn er vom Vietnamkrieg | |
| erzählte, forderte er uns auf: Ihr müsst handeln, wenn es Unrecht gibt. | |
| Dann kam die sowjetische Invasion in Afghanistan. Ich fragte ihn am | |
| nächsten Morgen, wie wir denn nun handeln könnten. Gemach, gemach, | |
| antwortete er, holte eine Karte hervor und sprach von der Einkreisung der | |
| UdSSR durch die USA. Die Russen seien in Afghanistan, um Demokratie und | |
| Wohlstand für die Armen durchzusetzen. Das könne man nicht vergleichen mit | |
| dem, was der Westen macht. Exakt die gleiche Wortwahl wie bei Ihnen, Frau | |
| Wagenknecht. | |
| Wagenknecht: Haben Sie mir zugehört? Ich habe gerade gesagt: Putin handelt | |
| ähnlich wie die USA. Nicht, er macht etwas anderes. | |
| Özdemir: Der Westen, bei all seinen Defiziten, steht für Demokratie. Putin | |
| nicht. Er hat kein Interesse an einem starken Europa. Sie reden | |
| leichtfertig über die Ukraine daher. Es gab das Budapester Memorandum, in | |
| dem die Ukraine auf ihre Atomwaffen verzichtet hat – unter der Zusicherung | |
| von Russland, den USA und Großbritannien, ihre Grenzen zu respektieren. Wie | |
| wollen wir jetzt irgendein Land in der Welt dazu bringen, freiwillig auf | |
| Atomwaffen zu verzichten, wenn vorgemacht wurde, dass Garantien nichts wert | |
| sind? | |
| Barley: Russland mit den USA zu vergleichen führt nicht weiter. Putins | |
| Verhalten hat verschiedene Gründe, da spielen das Zerbrechen des Warschauer | |
| Pakts, das Zusammenrücken westlicher Bündnisse hinein, spielen aber auch | |
| die Innenpolitik und seine Persönlichkeit eine Rolle. Ich finde es | |
| erschreckend, wie manche Leute über Staaten reden, die früher zum | |
| Warschauer Pakt gehörten. Das sind souveräne Staaten, aber wenn es um | |
| Fragen wie einen EU-Beitritt geht, tun manche – Frau Wagenknecht scheint | |
| dazuzugehören – so, als könne man sie wie Schachfiguren behandeln. Wenn wir | |
| diese Logik akzeptierten, wäre das ein Rückfall in finsterste Zeiten. | |
| Wagenknecht: Die Frage ist doch, was sinnvoll ist. Deutschland hatte zum | |
| Beispiel gegen einen Nato-Beitritt Georgiens ein Veto eingelegt. Folgte man | |
| Ihrer Argumentation, Frau Barley, dann war das falsch. Ich halte es aber | |
| für richtig. | |
| Özdemir: Das hat damals Rot-Grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer | |
| beschlossen … | |
| Wagenknecht: … und zwar zu Recht. In der Außenpolitik muss man immer die | |
| Interessen des Anderen berücksichtigen. Das war auch der Ansatz der | |
| Entspannungspolitik Willy Brandts. Brandt ging davon aus, dass es in einer | |
| Welt mit Atomwaffen keine Kriege mehr geben darf. Also war er bemüht, | |
| Konflikte zu deeskalieren, statt sie zu provozieren. Deswegen ist es | |
| übrigens auch nicht sinnvoll, Nato-Manöver an der russischen Grenze | |
| durchzuführen, noch dazu mit deutschen Soldaten … | |
| Özdemir: Aber die Russen dürfen es? | |
| Wagenknecht: Na ja, sie machen ihre Manöver innerhalb der eigenen Grenzen, | |
| nicht an der US-Grenze. | |
| Özdemir: Wir sind uns einig, dass man sieben Tage die Woche 24 Stunden lang | |
| die Tür für Putin offenhalten muss. Sobald er sich nur ein bisschen auf uns | |
| zubewegt, müssen wir uns auf ihn zubewegen, weil wir es mit einer | |
| Nuklearmacht zu tun haben. Aber sind Sie denn mit mir einig, dass Putin | |
| Marine Le Pen und Donald Trump unterstützt, weil er kein Interesse hat, | |
| dass sich die liberale Demokratie durchsetzt? Willy Brandt, von dem ich bei | |
| mir im Büro ein Bild habe … | |
| Barley: Ihr seid ja alle Sozialdemokraten! Ich habe übrigens immer | |
| Mitgliedsanträge dabei. | |
| Özdemir: Nun ja, Wenn Helmut Schmidt damals nicht den Nato-Doppelbeschluss | |
| gefasst hätte und vor allem für Atomkraft war, hätte mich Ihre Partei | |
| vielleicht nicht derart abgeschreckt. Brandt jedenfalls hat die Ostpolitik | |
| nicht gemacht, damit sich die Systeme annähern, sondern damit sich die | |
| Demokratie durchsetzt. | |
| Wagenknecht: Er wollte den Frieden. Ich glaube nicht, dass Willy Brandt für | |
| möglich gehalten hat, dass der Ostblock tatsächlich zusammenbricht. | |
| Lässt sich wirklich eine gemeinsame Außenpolitik von Rot-Rot-Grün | |
| formulieren? | |
| Wagenknecht: Das kommt darauf an, ob die SPD an ihre eigenen Traditionen | |
| anknüpfen will. Zum Beispiel an ihr 1989 beschlossenes Berliner Programm. | |
| Darin warben die Sozialdemokraten dafür, die Nato durch ein kollektives | |
| Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands zu ersetzen. Das ist genau | |
| das, was wir wollen. | |
| Barley: So zu tun, als sei die SPD in der Außenpolitik das Problem, ist nun | |
| wirklich albern. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird für seine | |
| besonnene, kluge Diplomatie allseits gelobt. Die Frage ist eher, ob Grüne | |
| und Linke zusammen können. Ich habe während der Ukrainekrise zweimal | |
| erlebt, dass sich ein Grünen- und ein Linken-Abgeordneter fast geprügelt | |
| hätten. Seitdem bin ich etwas skeptischer. | |
| Özdemir: Die taz hat neulich über einem Debattenbeitrag über Rot-Rot-Grün | |
| getitelt: No risk, no fun. Unter diesem Motto darf man aber keine | |
| Außenpolitik betreiben. Deutschland hat mit dem Hitler-Stalin-Pakt schon | |
| einmal die Länder Osteuropas aufgeteilt. So etwas wird es mit den Grünen | |
| nicht geben. Wir unterschreiben keinen Koalitionsvertrag, in dem es nicht | |
| eine glasklar proeuropäische Ausrichtung gibt. Wir unterschreiben keinen | |
| Koalitionsvertrag ohne ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie und zu | |
| westlichen Werten. Darüber verhandeln wir weder mit der sächsischen CDU | |
| noch mit Teilen der Linkspartei. | |
| Ein Akt linker Politik könnte es sein, nun zu fordern, ein paar | |
| Hunderttausend syrische Flüchtlinge über Kontingente aufzunehmen. Warum | |
| sind Grüne, Linke und SPD auf diesem Feld so still? | |
| Wagenknecht: Die Menschen wollen weg, weil Krieg herrscht und die Situation | |
| in den Lagern vor Ort unsäglich ist. Das betrifft allein um Syrien etwa 10 | |
| Millionen Menschen. Kontingente würde einigen helfen, aber der großen | |
| Mehrheit nicht. Deshalb muss dringend vor Ort mehr Hilfe geleistet werden. | |
| Und es muss alles getan werden, den Krieg zu beenden, statt ihn durch | |
| Waffenexporte und Hochrüstung islamischer Terrorbanden zu verlängern. | |
| Özdemir: Das flüchtlingspolitische Ziel muss immer noch ein europäischer | |
| Verteilungsschlüssel sein. Deutschland hat lange so getan, als seien die | |
| Flüchtlinge das Problem der Italiener oder Griechen. Ich glaube, dass | |
| Deutschland mit anderen EU-Staaten solidarisch sein muss. Das wäre eine | |
| Rückkehr zu einer Europapolitik, die auch die kleineren Partner wieder auf | |
| Augenhöhe betrachtet, wie sie einst selbst Kohl verfolgte. | |
| Erst loben Sie Willy Brandt, nun Helmut Kohl. Die Grünen sind offenbar | |
| endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen. | |
| Özdemir: Der Punkt ist doch: Wer solidarisch ist, erhält im Gegenzug | |
| Solidarität zurück. | |
| Barley: Deutschland sollte nicht zu empört nach europäischer Solidarität in | |
| der Flüchtlingsfrage rufen. Dafür hat Deutschland die Staaten an der | |
| EU-Außengrenze zu lange mit dem Problem alleingelassen. Die kritische | |
| Haltung in Staaten wie Spanien, Griechenland und Italien kann ich vor | |
| diesem Hintergrund sehr gut nachvollziehen. | |
| Wagenknecht: Es ist doch zynisch, wenn sich Frau Merkel für ihre angeblich | |
| humane Flüchtlingspolitik feiern lässt, aber unverändert afrikanischen | |
| Ländern Freihandelsabkommen diktiert werden, die ihre Wirtschaft zerstören | |
| und immer mehr Menschen in die Flucht treiben. | |
| Unser Eindruck ist: Sie alle drei finden Abkommen wie Merkels Türkeideal | |
| schmutzig, sind aber insgeheim froh, dass kaum noch Flüchtlinge kommen. So | |
| können Sie sich um das Thema herumdrücken. | |
| Barley: Diese Sicht teile ich nicht. Wir sind drei Abgeordnete mit | |
| Migrationshintergrund. Ich glaube, wir wissen alle, was es heißt, Kulturen | |
| miteinander zu verbinden. Das ist eins unserer gemeinsamen Themen. Ich | |
| zumindest scheue dazu keine sachliche Diskussion. | |
| Özdemir: Und ganz so schlecht ist unser Land bei der Integration offenbar | |
| nicht: Drei wie uns als Spitzenpolitiker in drei Parteien hätte es vor | |
| zehn, zwanzig Jahren nicht gegeben. Aber klar, die Verantwortung für eine | |
| gemeinsame europäische Bekämpfung von Fluchtursachen bleibt. | |
| Ein wichtiges Feld für ein Linksbündnis wäre die Finanz- und Sozialpolitik. | |
| Die Grünen werben ja nun für eine Vermögensteuer für Superreiche. Herr | |
| Özdemir, wer ist das überhaupt? | |
| Özdemir: Das sind Multimillionäre und Milliardäre. Wir wollen eine | |
| verfassungsfeste, ergiebige Vermögensteuer, die diese Gruppe der | |
| Steuerzahler stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzieht – aber | |
| gleichzeitig Investitionen von Unternehmen nicht verhindert. | |
| Wagenknecht: Wenn Sie auch nach der Wahl dazu stehen, wäre es gut. Bei | |
| dieser unglaublichen Konzentration von Riesenvermögen in wenigen Händen | |
| brauchen wir in Deutschland eine Vermögensteuer. Dabei geht es nicht um | |
| Belastungen für die Mittelschicht. Unser Modell gewährt zum Beispiel einen | |
| Freibetrag von 1 Million Euro. | |
| Wäre die SPD dabei? | |
| Barley: Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen sollten unbedingt | |
| entlastet werden. Gleichzeitig ist es in Ordnung, wenn sehr wohlhabende | |
| Leute mehr bezahlen. Wir arbeiten gerade im Zuge unseres | |
| Regierungsprogramms daran, wie wir das umsetzen können. | |
| Wirklich? Ihr Parteichef hat mal gesagt, die Vermögensteuer sei tot. | |
| Barley: Wir haben ja das klitzekleine Problem eines | |
| Verfassungsgerichtsurteils, das Hürden für eine Vermögensteuer aufstellt. | |
| Wir sollten daher nichts versprechen, was wir am Ende nicht halten können. | |
| Wagenknecht: Wichtig ist neben der Umverteilung durch Steuern die | |
| Entwicklung der Löhne. Der Staat muss die Arbeitnehmer stärken, indem er | |
| Gesetze zurücknimmt, die sie wehrlos gemacht haben: etwa was Leiharbeit, | |
| Werkverträge oder Dauerbefristungen angeht. | |
| Barley: Die SPD hat den Mindestlohn durchgesetzt, auch deshalb geht jetzt | |
| die Reallohnentwicklung wieder nach oben. Aber wir sehen ganz klar, wo es | |
| mit CDU und CSU nicht weitergeht. Bei Befristungen von Arbeitsverträgen | |
| kriegen wir beispielsweise mit der Union Verbesserungen hin, aber eben | |
| keine Abschaffung. | |
| Özdemir: Wir dürfen auch nicht vergessen: Wenn man etwas verteilen will, | |
| muss man vorher etwas erwirtschaften. Das setzt voraus, dass wir in die | |
| Infrastruktur investieren und den Mittelstand stärken. Ob diese schlichte | |
| Tatsache in einem solchen Bündnis jeder der Partner anerkennt, ist für mich | |
| fraglich. Wir müssen auch über die Probleme reden, die in einem solchen | |
| Bündnis auftreten können. | |
| Barley: Herr Özdemir, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn | |
| wir weiterkommen wollen, dürfen wir auch Gemeinsamkeiten nicht ausblenden. | |
| Özdemir: Bei Rot-Rot-Grün kommt es besonders darauf an, dass ein solches | |
| Bündnis überrascht. In Thüringen hat Rot-Rot-Grün eine klarere Position zur | |
| DDR-Vergangenheit formuliert als die Große Koalition davor. Berlin stellt | |
| unter Rot-Rot-Grün mehr Polizisten ein. | |
| Barley: Das ist oft so. CDU und CSU reden den ganzen Tag von innerer | |
| Sicherheit, machen dann am Ende aber nichts Greifbares. | |
| Özdemir: Das sagen Sie jetzt. Aber dann sind Sie und Ihre Partei doch die | |
| Ersten, die in die große Koalition gehen, wenn es darauf ankommt! | |
| Barley: Moment. Sie sind doch hier der Schwarz-Grüne, oder nicht? Die SPD | |
| wird 2017 keine Koalitionsaussage und auch keinen Lagerwahlkampf machen. So | |
| verfahren ja offenbar auch die Grünen. Aber es ist unsere Verantwortung, zu | |
| zeigen, dass die drei Parteien links der Mitte keine Feinde sind. | |
| Die CSU warnt jetzt schon vor der gefährlichen Linksfront. | |
| Barley: Richtig. Wir dürfen uns nicht in die Schmuddelecke schieben lassen. | |
| Es geht um respektvollen Austausch zwischen den drei Parteien. Die | |
| politische Linke hat viel zu oft gegeneinander gekämpft statt miteinander. | |
| Wir haben da auch eine historische Verantwortung. Deutschland und Europa | |
| stehen an einem Wendepunkt. | |
| Wie überrascht Rot-Rot-Grün? | |
| Özdemir: Etwa indem wir den Kohleausstieg, artgerechte Tierhaltung und | |
| Elektromobilität mit der Wirtschaft zusammen zu einem Gewinnerthema machen. | |
| Wir müssen die Ängste vor einer solchen Koalition nehmen – auch denjenigen, | |
| die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden und sich Sorgen machen, | |
| dass Rot-Rot-Grün die Gelddruckmaschine anwirft und enorme Schulden macht. | |
| Das Gefühl muss auch sein: Die Sicherheit ist in diesem Bündnis in guten | |
| Händen, die außenpolitische Verlässlichkeit auch. | |
| Barley: Die SPD will für die ganz normalen Menschen da sein. Für die, die | |
| hart arbeiten, sich an die Regeln halten und ihren Beitrag zur Gesellschaft | |
| leisten. Ehrlich gesagt, möchte ich lieber deren Erwartungen erfüllen und | |
| deren Nöte im Alltag lindern, als sie zu überraschen. Ich finde übrigens | |
| auch, dass wir uns nicht schlechtreden sollten. Warum sollte es unter | |
| Rot-Rot-Grün weniger Jobs geben? | |
| Wagenknecht: Viele Menschen in diesem Land wären schon extrem überrascht, | |
| wenn sich tatsächlich einmal wieder eine Regierung für ihre sozialen | |
| Interessen einsetzen würde. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft | |
| oder den Verband der Familienunternehmen, der in Wahrheit die Interessen | |
| alter Erbdynastien vertritt, möchte ich nicht überraschen. | |
| Beenden wir das Gespräch mit etwas Positivem. Frau Wagenknecht, was | |
| schätzen Sie an Frau Barley und an Herrn Özdemir? | |
| Wagenknecht: Herrn Özdemir kenne ich persönlich wenig. Mit Katarina Barley | |
| habe ich schon öfter diskutiert. Sie kämpft nie unterhalb der Gürtellinie. | |
| Özdemir: Frau Barley hatte den Mut, eine nicht einfache Aufgabe zu | |
| übernehmen. Sie hat als SPD-Generalsekretärin einen guten eigenen Stil | |
| gefunden, was bei einem so selbstbewussten Parteivorsitzenden sicher nicht | |
| einfach ist. Frau Wagenknechts Biografie sieht ein bisschen nach zweitem | |
| Bildungsweg aus. Sie durften ja erst nicht studieren und gingen erst nach | |
| der Wende zur Uni. Mir flößt immer Respekt ein, wenn jemand sich neben der | |
| Arbeit noch Wissen aneignet. | |
| Wagenknecht: Ich habe tatsächlich erst nach der Wende studieren dürfen, | |
| aber nebenbei arbeiten musste ich nicht. Damals gab es noch ein Bafög, von | |
| dem man leben konnte. | |
| Frau Barley, was mögen Sie an Ihren Gesprächspartnern? | |
| Barley: An Frau Wagenknecht schätze ich ihre Eloquenz und ihren Scharfsinn. | |
| Herr Özdemir vertritt klare Standpunkte, das gefällt mir. In diesen Punkten | |
| sind sich die beiden eigentlich sehr ähnlich. | |
| 5 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
| Ulrich Schulte | |
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