| # taz.de -- Grüne vor der Bundestagswahl: Aufstiegskämpfer | |
| > Am Mittwoch entscheidet sich, wer die Grünen in den Wahlkampf führt. | |
| > Özdemir und Hofreiter stammen aus Arbeiterfamilien. Ein Stigma? | |
| Bild: Es sind kleine Momente, in denen man spürt, dass Cem Özdemir und Anton … | |
| Cem Özdemir fühlte sich fremd, als er 1994 plötzlich bei diesem Galadiner | |
| in Berlin saß. Blank polierte Messer und Gabeln lagen auf dem Tischtuch vor | |
| ihm, mehrere neben jedem Teller. Ödzemir hatte einen Schweinedurst, doch er | |
| wusste nicht, in welches der Gläser das Mineralwasser gehört. | |
| Auch Anton Hofreiter fand sich in einer anderen Welt wieder, als er 2005 | |
| aus Bayern in den Bundestag in die Hauptstadt kam. Joschka Fischer fläzte | |
| sich da noch in den Fraktionssitzungen und erklärte die weltpolitische | |
| Lage. Hofreiter irritierten Fischers perfekt sitzender Dreiteiler. Er hatte | |
| selbst noch nie so was getragen. | |
| Özdemir und Hofreiter haben auf den ersten Blick nicht viel mehr gemeinsam | |
| als den Grünen-Mitgliedsausweis. Özdemir, 51, Parteichef, Oberrealo im Bund | |
| mit Faible für Außenpolitik, trägt das Haar akkurat gestutzt, fühlt sich | |
| pudelwohl im schmal geschnittenen Anzug, kennt viele Unternehmer persönlich | |
| und will mit den Grünen in die bürgerliche Mitte. | |
| Hofreiter, 46, Fraktionschef, Anführer der Linksgrünen, Fokus auf Öko und | |
| Gerechtigkeit, weigert sich beharrlich, das schulterlange Haar | |
| abzuschneiden, liebt Heavy Metal, Sakko mit Jeans und will sehr reiche | |
| Menschen mit der Vermögensteuer zur Kasse bitten. | |
| Aber die zwei wichtigen Grünen verbindet etwas, was das ganze Leben prägt: | |
| Beide kommen aus Arbeiterfamilien, den Aufstieg in die gediegene | |
| Mittelschicht mussten sie sich erkämpfen. | |
| ## Keine Partei für das Proletariat | |
| Die Grünen sind keine Partei, die für das Proletariat steht. Einst | |
| systemskeptisch und rebellisch sind sie längst zur Avantgarde einer neuen | |
| deutschen Bürgerlichkeit geworden. In ökoaffinen Milieus wird so genau auf | |
| Lebensstil und Distinktion geachtet wie kaum irgendwo sonst. | |
| Das Gemüse hat bio zu sein, das Echtholzspielzeug gesundheitlich | |
| unbedenklich, RTL II ist auf der Fernbedienung gelöscht. Parteitage sind | |
| Feste der Toleranz, aber wer Lidl-Würstchen, Dosenbier und die Bild-Zeitung | |
| auspackte, würde vermutlich mit sofortigem Ausschluss bestraft. | |
| Wie gehen die Grünen, die von sich glauben, sie seien die toleranteste | |
| aller Parteien, mit Aufsteigern um? Lassen sie sie ihr Anderssein spüren? | |
| „Dass jemand wie ich ein ausgebildeter Erzieher und ein Öko wird, ist ja | |
| fast so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.“ Özdemir, grünes | |
| Samtsakko, müde Augen von den anstrengenden Wochen vor Weihnachten, erzählt | |
| bei einem Italiener in Berlin-Mitte von seiner Kindheit. | |
| Seinen Eltern, türkischen Gastarbeitern, waren die Rituale der deutschen | |
| Mittelschicht fremd. Freiwillig auf einen Fernseher verzichten? Oder auf | |
| Süßigkeiten für die Kinder? „Unvorstellbar. Für meine Mutter war es | |
| Ausdruck von Liebe, ihrem Kind Süßigkeiten zu geben.“ | |
| ## Der Sohn soll es besser haben | |
| Freitags, wenn im Wohnzimmer der Özdemirs die Filme mit Stan Laurel und | |
| Oliver Hardy liefen, saßen alle Kinder aus der Nachbarschaft vor dem | |
| Fernseher und bekamen Hanuta, Duplo und türkische Spezialitäten. | |
| Özdemirs Vater, der sich aus einem türkischen Dorf bei Tokat nach Bad | |
| Urach, Baden-Württemberg, aufmachte, war Hilfsarbeiter in einer | |
| Feuerlöscherfabrik. Die Mutter arbeitete in der Papierherstellung, machte | |
| dann eine Änderungsschneiderei auf. Er schuftete nach Feierabend noch an | |
| der Tankstelle, sie schnitt sich am scharfen Papier die Arme auf. Alles, | |
| damit es der einzige Sohn es mal besser hat. | |
| Auch Hofreiters Großväter waren Arbeiter. Der eine Maurer, der andere | |
| stellte Strommasten auf. Er konnte, so die Familienlegende, einen Holzmast | |
| allein auf der Schulter tragen. Hofreiters Vater lernte Maschinenschlosser, | |
| die Mutter schaffte im Büro. Hofreiter und seine beiden Brüder waren die | |
| Ersten aus der Familie, die aufs Gymnasium gingen. | |
| Özdemirs und Hofreiters Karrieren münden in unterschiedliche Entwürfe von | |
| sich selbst. Bei den Grünen funktionieren sie als perfekte Gegenspieler, | |
| inhaltlich und habituell. Beide wollen Spitzenkandidat im Wahlkampf werden. | |
| Am 18. Januar geben die Grünen bekannt, wen die 60.000 Mitglieder gewählt | |
| haben. | |
| Spitzenkandidat, das könnte das Sprungbrett in die nächste Regierung sein. | |
| Özdemir und Hofreiter, die Aufsteiger, wollen noch höher hinaus. | |
| ## 50 Fehler, Rekord, Applaus für Cem, ätzte der Lehrer | |
| Manchmal blitzt im politischen Alltag auf, dass beide ihre Herkunft | |
| verbindet. Ein Dezemberabend in Stuttgart. Die vier Konkurrenten um die | |
| Spitzenkandidatur – Özdemir, Hofreiter, Katrin Göring-Eckardt und Robert | |
| Habeck – stehen an einem Tresen, hinter ihnen ein Großplakat, auf das der | |
| Slogan „Basis ist Boss“ gedruckt ist. | |
| Habeck, Schleswig-Holsteins Energiewendeminister, wirbt gerade für das | |
| bedingungslose Grundeinkommen. Jeder bekäme ein Gehalt vom Staat, von dem | |
| er leben könnte. Kein Zwang zu ungeliebter Arbeit mehr, kein Frust, totale | |
| Selbstverwirklichung. Habeck redet und redet, jetzt schon sieben Minuten | |
| lang. | |
| Hofreiter hat den Kopf in die Hand gestützt und starrt ins Leere, Özdemir | |
| hebt angriffslustig das Kinn. Dann legt er los. Das Grundeinkommen werde | |
| immer von Leuten aus einer bestimmten Schicht vorgeschlagen, sagt Özdemir. | |
| Architekten etwa, bei denen zwischen Aufträgen Pausen lägen. | |
| Aber was hätte einem Kind wie ihm damals wirklich geholfen? Eine | |
| Ganztagsschule, ein Mittagessen, eine gute Kita, ein elternunabhängiges | |
| Bafög. Özdemir pickt bei jedem Wort mit dem Zeigefinger in die Luft. | |
| Er wolle nicht, dass die Grünen die nächsten vier Jahre „philosophisch über | |
| große Fragen diskutieren“, statt an solchen Stellschrauben zu drehen. | |
| Hofreiter schiebt für das Grundeinkommen das gemeine Lob einer | |
| „wunderschönen Idee“ hinterher. | |
| ## Nicht in der Akademikerblase | |
| Da reden zwei, die Ahnung vom echten Leben haben, heißt das. Wir sitzen | |
| nicht in der Akademikerblase, anders als Habeck, dieser intellektuelle | |
| Träumer. Habeck, von Beruf Schriftsteller, die Eltern führten die Apotheke | |
| am Rathaus, schaut bedröppelt. | |
| Es ist einer der Momente, in denen ihnen die Inszenierung ihrer Biografie | |
| Applaus und Lacher einbringt. Sie wird zum Trumpf. Aber so ist es nicht | |
| immer. | |
| Der Aufsteiger genießt ein zerrissenes Glück. Er hat die harte Welt seiner | |
| Kindheit hinter sich und gehört nun zur Elite, doch eine Unsicherheit | |
| bleibt. In die Welt von früher will er nicht zurück, der neuen fühlt er | |
| sich nicht wirklich zugehörig. | |
| Der Soziologe Pierre Bourdieu bezeichnet den Habitus, also das erlernte | |
| Auftreten einer Person, als „geronnene Lebensgeschichte“. Der Neigung des | |
| Kleinbürgers, sich mit den Augen der anderen zu betrachten, stehe die | |
| Selbstsicherheit des Bourgeois gegenüber. Der eine wirkt in besseren | |
| Kreisen unbeholfen, der andere lässig, weil er verinnerlicht hat, dass ihm | |
| Privilegien zustehen. | |
| Bei beiden Politikern finden sich solche Muster. Hofreiter wirkt bei | |
| Fototerminen heute noch so befangen, als wäre er lieber Tausende Kilometer | |
| weit weg im peruanischen Regenwald, den er als junger Biologe erforschte. | |
| Özdemir hat sich eine akkurate, fast übertriebene Höflichkeit angewöhnt. Er | |
| gibt auch in größeren Runden jedem die Hand, begrüßt selbstverständlich | |
| stets die Frau zuerst. | |
| ## Jeder kann es schaffen? | |
| Das Lachen seiner Mitschüler damals in der Schule habe ihn trainiert für | |
| alle weiteren Kämpfe, sagt Özdemir. Bei dem Italiener in Berlin erzählt er | |
| eine Anekdote nach der anderen. | |
| Wie er und José, der zweite Migrant in der Klasse, in der Grundschule stets | |
| die Schlechtesten waren. Wie der Lehrer die Hefte nach der Klassenarbeit | |
| austeilte, Cems und Josés ganz unten im Stapel. Über 50 Fehler auf zwei | |
| DIN-A5-Seiten, neuer Rekord der Schule, Applaus für Cem. | |
| Wenn man so will, ist Özdemir der Inbegriff des American Way of Life. Von | |
| der Haupt- zur Realschule, Ausbildung zum Erzieher, über den zweiten | |
| Bildungsweg ein Studium der Sozialpädagogik – und die Politikkarriere. | |
| Jeder kann es schaffen, wenn er sich anstrengt. Vom kleinen Cem, der auf | |
| der Hauptschule verprügelt wurde, zum Parteichef. | |
| Aber wenn man wissen will, wie er solche Abwertungen als Kind empfunden | |
| hat, wird Özdemir einsilbig. Darüber spricht man nicht gern, als | |
| Spitzenpolitiker, der Stärke zeigen muss, schon gar nicht. Denn auch die | |
| Grünen waren nicht immer nett zu ihm. | |
| ## Misstrauen verinnerlicht | |
| Lange Jahre schien es eine Art Deal zu geben: Er gab den Vorzeige-Cem, den | |
| einzigen migrantische Parteichef Deutschlands – aber die Grünen gaben nicht | |
| allzu viel auf seine Ansagen. Sie duldeten, liebten ihn aber nie. | |
| Bis heute zieht Özdemir sein Ding meist allein durch. In der Fraktion | |
| lassen sich seine Fans an einer Hand abzählen. Wenn Özdemir also ein | |
| gewisses Misstrauen verinnerlicht hat, ist es nicht ganz unberechtigt. | |
| Der Tiefpunkt war die Bonusmeilen-Affäre. 2002 im Bundestagswahlkampf kam | |
| heraus, dass Özdemir mit dienstlich angesammelten Bonusmeilen privat | |
| verreist war. Außerdem, dass er einen Kredit bei einem umstrittenen | |
| PR-Berater aufgenommen hatte. | |
| Özdemirs Rückhalt bei den Grünen schmolz dahin wie ein Eiswürfel in | |
| sonnenwarmer Bionade. Rücktritt vom Mandat, Auszeit in den USA, Brüssel und | |
| Straßburg. | |
| Rezzo Schlauch, Fraktionschef, Grünen-Urgestein und Sohn eines Pfarrers, | |
| gestand wenig später, ebenfalls Dienstmeilen für einen privaten | |
| First-Class-Flug nach Thailand genutzt zu haben. Er schmetterte | |
| Rücktrittsforderungen ab – und wurde Staatssekretär im | |
| Wirtschaftsministerium. | |
| ## Grüne sind die Inkarnation der Bürgerlichkeit | |
| Als Özdemir 2008 Parteichef werden sollte, wollte er wieder ein | |
| Bundestagsmandat. Doch die Delegierten ließen ihn beim Kampf um gute | |
| Listenplätze zweimal durchfallen. Özdemir schulterte seinen Rucksack und | |
| schlich aus der Halle, er sah von Weitem aus wie eine traurige Schildkröte. | |
| Claudia Roth, die andere Parteichefin, Tochter eines Zahnarztes, saß damals | |
| seit Jahren im Bundestag. | |
| Die Grünen, so schreibt der Politologe Franz Walter, seien zur „Inkarnation | |
| der Bürgerlichkeit“ geworden. Schaut man sich die Menschen an, die Winfried | |
| Kretschmann in Baden-Württemberg zweimal zu historischen Siegen verhalfen, | |
| spricht viel für diese These. | |
| Grün wählten im März 2016 in Baden-Württemberg die Frauen, die hoch | |
| Gebildeten, die evangelischen Christen. Ihre stärkste Wählerkohorte | |
| bildeten die 45- bis 59-Jährigen. Sie schnitten stark bei Angestellten und | |
| Selbstständigen ab und schwach bei den Arbeitslosen. | |
| Grünen-Wähler sind Architekten, Rechtsanwältinnen, sie sitzen im | |
| öffentlichen Dienst, sie verdienen gut, zahlen Häuser ab und achten darauf, | |
| dass ihr Nachwuchs die besten Schulen besucht. Zu viele Cems, das sagt man | |
| aber nur verschämt, sollten nicht in der Klasse der früh geförderten | |
| Johanna-Marie sitzen. Oder zu viele Tonis, die heute Kevins heißen. | |
| „Wir haben das große Glück, einen gewissen Klassenstolz mitbekommen zu | |
| haben.“ Anton Hofreiter, hellblaues Hemd, der oberste Knopf offen, schaut | |
| auf und zitiert mit tiefer Stimme und rollendem R ein paar Sätze aus | |
| Bertolt Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“. | |
| Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? In | |
| seinem Abgeordnetenbüro hinter dem Schreibtisch hängt eine Berglandschaft | |
| in Öl, in der Ecke steht ein schwarzer Boxsack zwischen den Bücherregalen. | |
| ## „Der gibt mal einen guten Bauarbeiter ab“ | |
| Hofreiter wuchs in den Siebzigern in dem Dorf Sauerlach bei München auf. | |
| Die Eltern wählten SPD, schimpften auf Helmut Schmidt, der den Großbauern | |
| das Geld hinterherschmeiße. Franz-Josef Strauß war der Feind. Im Schrank | |
| standen gebundene Ausgaben der Büchergilde Gutenberg. Jack London, Bert | |
| Brecht, Kurt Tucholsky. | |
| Einmal, da war Anton Hofreiter noch in der Grundschule, spielte er mit | |
| anderen Kindern im Schnee. Er zog einen Schlitten, die anderen saßen | |
| darauf. „Schau an“, sagte die Lehrerin, „der Toni ist ja kräftig. Der gi… | |
| mal einen guten Bauarbeiter ab.“ | |
| Hofreiter erzählt anders als Özdemir nur sparsam und vorsichtig von seiner | |
| Familie. Er will der Öffentlichkeit nicht zu viel über sich verraten. | |
| Manchmal vergehen zwölf, vierzehn Sekunden, bevor er antwortet. | |
| „Wer sich bildet, steigt auf. Dieses Versprechen lag damals in der Luft.“ | |
| Das habe ihnen der Vater eingetrichtert. Der hatte schon einen ordentlichen | |
| Aufstieg geschafft: Erst Maschinenschlosser, dann zweiter Bildungsweg, | |
| Ingenieur bei der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung. | |
| „Ich komme aus einem klassisch sozialdemokratisch geprägten | |
| Aufsteigermilieu.“ Der Vater, seine Brüder und er profitierten von der | |
| Bildungsexpansion in den 70ern und 80ern. Anton Hofreiter studierte | |
| Biologie, schrieb seine Dissertation über Inka-Liliengewächse und ist heute | |
| Fraktionschef. Der eine Bruder ist Anwalt, der andere Professor für | |
| Zoologie. | |
| ## Gleiche Chancen für jedes Kind | |
| Hofreiter ist ein Spitzenpolitiker, der sich einen sympathisch egalitären | |
| Blick auf die Welt bewahrt hat. Er grüßt die Pförtner in den | |
| Bundestagsgebäuden, ratscht auf Sommerfesten mit Freunden, ohne im | |
| Augenwinkel zu checken, ob am Nebentisch jemand Wichtigeres steht. | |
| Özdemir und Hofreiter leiten aus ihrer Biografie unterschiedliche | |
| Auffassungen einer gerechten Gesellschaft ab. Özdemir wirbt vor allem für | |
| gute Bildungsinstitutionen – gleiche Chancen für jedes Kind. | |
| Hofreiter betont stärker, dass außerdem der Reichtum in Deutschland anders | |
| verteilt werden müsse. Gute Infrastruktur ist teuer, argumentiert er, und | |
| auch ein Maurer, der nicht zur Uni will, habe ein Recht auf Schwimmbäder. | |
| Wenn man mit Grünen über Özdemir und seine Karriere spricht, fällt oft das | |
| Wort „Überanpassung“. Sie ist eine stete Gefahr für den Aufsteiger: Im | |
| Bemühen dazuzugehören, wirkt er beflissen, strebsam und übereifrig. Was | |
| andere Grüne im Elternhaus nebenbei lernten, muss er sich erarbeiten. | |
| Vergangenes Jahr hat Özdemir im Urlaub den Faust gelesen, davor den | |
| Kohlhaas, seinen Kindern liest er gerade griechische Sagen vor. Er nimmt | |
| Karnevalsorden entgegen und lässt sich vom Deutschen Brauer-Bund zum | |
| Bierbotschafter küren. | |
| Hofreiter wiederum kultiviert seine Unangepasstheit: die Haare, die Liebe | |
| zu Schweinebraten, die deftige Sprache. Etwas total bescheuert zu finden, | |
| gehört bei ihm, verdammt noch mal dazu. | |
| ## Typus des wütenden Klartextpolitikers | |
| Natürlich hat auch er gelernt, sich zu inszenieren, seitdem er 2013 Chef | |
| wurde. Aber es wirkt noch unbeholfener als bei Özdemir. Weil Hofreiter | |
| gemerkt hat, dass der Typus des wütenden Klartextpolitikers gut ankommt, | |
| beschließt er zum Beispiel manchmal, sich nun aber richtig in Rage zu | |
| reden. Die Unsicherheit des Aufsteigers über seinen Status, bei Hofreiter | |
| merkt man sie noch. Aber er hat auch gelernt, sie für sich zu nutzen. | |
| Özdemir hat sich mit den Jahren freigespielt. Kaum ein Grüner bezweifelt | |
| heute noch, dass der nette Cem zum wichtigsten Mann in Berlin geworden ist. | |
| Er, der immer darauf achten musste, was andere von ihm denken, pfeift jetzt | |
| öfter mal darauf. | |
| Als die Grünen sich 2014 darüber stritten, ob die Kurden im Nordirak mit | |
| deutschen Waffen unterstützt werden müssten, sagte Özdemir, die Kurden | |
| könnten die IS-Miliz nicht „mit der Yogamatte unterm Arm“ besiegen. | |
| Viele Grüne wetten bei der Spitzenkandidatenurwahl auf Özdemir. Er habe | |
| das Auftreten und das Format für ein Ministeramt, sagen sie – Hofreiter | |
| nicht. | |
| ## Führt Anpassung zum Erfolg? | |
| Es wäre auch ein Beweis dafür, dass Anpassung zum Erfolg führt. Die Grünen, | |
| die früher als strickende und bärtige Rebellen im Bundestag saßen, wissen | |
| das längst. Sie loben Angela Merkel, die CDU-Kanzlerin. Sie tragen | |
| Asylrechtsverschärfungen mit, die sie früher verdammten. Manchmal wirkt das | |
| so beflissen, als seien sie selbst eifrige Aufsteiger, die unbedingt | |
| dazugehören wollten. | |
| In der vierten Klasse fragte ein Lehrer, wer auf welche Schule wolle. Cem | |
| meldet sich bei „Gymnasium“. Junge, geh aufs Gymnasium, das hatte die | |
| Mutter zu Hause gesagt, die bei den Elternabenden nicht verstand, was die | |
| Lehrer sagten. | |
| Der Lehrer sah Cems Arm spät, er saß ganz hinten. Erst lachte der Lehrer, | |
| am Ende lachte die ganze Klasse. Als derselbe Cem vierzig Jahre später | |
| sagt, er wolle die Grünen in die Bundestagswahl führen, am besten in die | |
| Regierung, da lacht niemand mehr. | |
| 17 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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